Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeichnungen und Rissen; war er allein, dann ging
es ebenso und endete oft weit nach Mitternacht.
Dann schlich er in die gemeinsame Schlafkammer --
denn die dumpfen Wandbetten im Wohngemach
wurden in Hauke's Wirthschaft nicht mehr ge-
braucht -- und sein Weib, damit er endlich nur
zur Ruhe komme, lag wie schlafend mit geschlossenen
Augen, obgleich sie mit klopfendem Herzen nur auf
ihn gewartet hatte; dann küßt er mitunter ihre
Stirn und sprach ein leises Liebeswort dabei, und
legte sich selbst zum Schlafe, der ihm oft nur beim
ersten Hahnenkraht zu willen war. Im Winter-
sturm lief er auf den Deich hinaus, mit Bleistift
und Papier in der Hand, und stand und zeichnete
und notierte, während ein Windstoß ihm die Mütze
vom Kopf riß, und das lange, fahle Haar ihm
um sein heißes Antlitz flog; bald fuhr er, solange
nur das Eis ihm nicht den Weg versperrte, mit
einem Knecht zu Boot ins Wattenmeer hinaus und
maß dort mit Loth und Stange die Tiefen der
Ströme, über die er noch nicht sicher war. Elke
zitterte oft genug für ihn; aber war er wieder
da, so hätte er das nur aus ihrem festen Hände-
druck oder dem leuchtenden Blitz aus ihren sonst

Zeichnungen und Riſſen; war er allein, dann ging
es ebenſo und endete oft weit nach Mitternacht.
Dann ſchlich er in die gemeinſame Schlafkammer —
denn die dumpfen Wandbetten im Wohngemach
wurden in Hauke's Wirthſchaft nicht mehr ge-
braucht — und ſein Weib, damit er endlich nur
zur Ruhe komme, lag wie ſchlafend mit geſchloſſenen
Augen, obgleich ſie mit klopfendem Herzen nur auf
ihn gewartet hatte; dann küßt er mitunter ihre
Stirn und ſprach ein leiſes Liebeswort dabei, und
legte ſich ſelbſt zum Schlafe, der ihm oft nur beim
erſten Hahnenkraht zu willen war. Im Winter-
ſturm lief er auf den Deich hinaus, mit Bleiſtift
und Papier in der Hand, und ſtand und zeichnete
und notierte, während ein Windſtoß ihm die Mütze
vom Kopf riß, und das lange, fahle Haar ihm
um ſein heißes Antlitz flog; bald fuhr er, ſolange
nur das Eis ihm nicht den Weg verſperrte, mit
einem Knecht zu Boot ins Wattenmeer hinaus und
maß dort mit Loth und Stange die Tiefen der
Ströme, über die er noch nicht ſicher war. Elke
zitterte oft genug für ihn; aber war er wieder
da, ſo hätte er das nur aus ihrem feſten Hände-
druck oder dem leuchtenden Blitz aus ihren ſonſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0122" n="110"/>
Zeichnungen und Ri&#x017F;&#x017F;en; war er allein, dann ging<lb/>
es eben&#x017F;o und endete oft weit nach Mitternacht.<lb/>
Dann &#x017F;chlich er in die gemein&#x017F;ame Schlafkammer &#x2014;<lb/>
denn die dumpfen Wandbetten im Wohngemach<lb/>
wurden in Hauke's Wirth&#x017F;chaft nicht mehr ge-<lb/>
braucht &#x2014; und &#x017F;ein Weib, damit er endlich nur<lb/>
zur Ruhe komme, lag wie &#x017F;chlafend mit ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Augen, obgleich &#x017F;ie mit klopfendem Herzen nur auf<lb/>
ihn gewartet hatte; dann küßt er mitunter ihre<lb/>
Stirn und &#x017F;prach ein lei&#x017F;es Liebeswort dabei, und<lb/>
legte &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zum Schlafe, der ihm oft nur beim<lb/>
er&#x017F;ten Hahnenkraht zu willen war. Im Winter-<lb/>
&#x017F;turm lief er auf den Deich hinaus, mit Blei&#x017F;tift<lb/>
und Papier in der Hand, und &#x017F;tand und zeichnete<lb/>
und notierte, während ein Wind&#x017F;toß ihm die Mütze<lb/>
vom Kopf riß, und das lange, fahle Haar ihm<lb/>
um &#x017F;ein heißes Antlitz flog; bald fuhr er, &#x017F;olange<lb/>
nur das Eis ihm nicht den Weg ver&#x017F;perrte, mit<lb/>
einem Knecht zu Boot ins Wattenmeer hinaus und<lb/>
maß dort mit Loth und Stange die Tiefen der<lb/>
Ströme, über die er noch nicht &#x017F;icher war. Elke<lb/>
zitterte oft genug für ihn; aber war er wieder<lb/>
da, &#x017F;o hätte er das nur aus ihrem fe&#x017F;ten Hände-<lb/>
druck oder dem leuchtenden Blitz aus ihren &#x017F;on&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0122] Zeichnungen und Riſſen; war er allein, dann ging es ebenſo und endete oft weit nach Mitternacht. Dann ſchlich er in die gemeinſame Schlafkammer — denn die dumpfen Wandbetten im Wohngemach wurden in Hauke's Wirthſchaft nicht mehr ge- braucht — und ſein Weib, damit er endlich nur zur Ruhe komme, lag wie ſchlafend mit geſchloſſenen Augen, obgleich ſie mit klopfendem Herzen nur auf ihn gewartet hatte; dann küßt er mitunter ihre Stirn und ſprach ein leiſes Liebeswort dabei, und legte ſich ſelbſt zum Schlafe, der ihm oft nur beim erſten Hahnenkraht zu willen war. Im Winter- ſturm lief er auf den Deich hinaus, mit Bleiſtift und Papier in der Hand, und ſtand und zeichnete und notierte, während ein Windſtoß ihm die Mütze vom Kopf riß, und das lange, fahle Haar ihm um ſein heißes Antlitz flog; bald fuhr er, ſolange nur das Eis ihm nicht den Weg verſperrte, mit einem Knecht zu Boot ins Wattenmeer hinaus und maß dort mit Loth und Stange die Tiefen der Ströme, über die er noch nicht ſicher war. Elke zitterte oft genug für ihn; aber war er wieder da, ſo hätte er das nur aus ihrem feſten Hände- druck oder dem leuchtenden Blitz aus ihren ſonſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/122
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/122>, abgerufen am 24.11.2024.