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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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durch neu zu legende Dämme oder Lahnungen
abgeleitet werden. Noch einmal ritt er auf dem
neuen Deich bis an die äußerste Nord-West-Ecke,
dann wieder rückwärts, die Augen unablässig auf
das neu gewühlte Bett des Priehles heftend, der
ihm zur Seite sich deutlich genug in dem bloß-
gelegten Schlickgrund abzeichnete. Der Schimmel
drängte vorwärts und schnob und schlug mit den
Vorderhufen; aber der Reiter drückte ihn zurück,
er wollte langsam reiten, er wollte auch die innere
Unruhe bändigen, die immer wilder in ihm aufgohr.

Wenn eine Sturmfluth wiederkäme -- eine,
wie 1655 dagewesen, wo Gut und Menschen un-
gezählt verschlungen wurden -- wenn sie wieder-
käme, wie sie schon mehrmals einst gekommen
war! -- Ein heißer Schauer überrieselte den
Reiter -- der alte Deich, er würde den Stoß
nicht aushalten, der gegen ihn heraufschösse! Was
dann, was sollte dann geschehen? -- Nur eines,
ein einzig Mittel würde es geben, um vielleicht
den alten Koog und Gut und Leben darin zu retten.
Hauke fühlte sein Herz still stehen, sein sonst so fester
Kopf schwindelte; er sprach es nicht aus, aber in
ihm sprach es stark genug: Dein Koog, der Hauken-

durch neu zu legende Dämme oder Lahnungen
abgeleitet werden. Noch einmal ritt er auf dem
neuen Deich bis an die äußerſte Nord–Weſt–Ecke,
dann wieder rückwärts, die Augen unabläſſig auf
das neu gewühlte Bett des Priehles heftend, der
ihm zur Seite ſich deutlich genug in dem bloß-
gelegten Schlickgrund abzeichnete. Der Schimmel
drängte vorwärts und ſchnob und ſchlug mit den
Vorderhufen; aber der Reiter drückte ihn zurück,
er wollte langſam reiten, er wollte auch die innere
Unruhe bändigen, die immer wilder in ihm aufgohr.

Wenn eine Sturmfluth wiederkäme — eine,
wie 1655 dageweſen, wo Gut und Menſchen un-
gezählt verſchlungen wurden — wenn ſie wieder-
käme, wie ſie ſchon mehrmals einſt gekommen
war! — Ein heißer Schauer überrieſelte den
Reiter — der alte Deich, er würde den Stoß
nicht aushalten, der gegen ihn heraufſchöſſe! Was
dann, was ſollte dann geſchehen? — Nur eines,
ein einzig Mittel würde es geben, um vielleicht
den alten Koog und Gut und Leben darin zu retten.
Hauke fühlte ſein Herz ſtill ſtehen, ſein ſonſt ſo feſter
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[188/0200] durch neu zu legende Dämme oder Lahnungen abgeleitet werden. Noch einmal ritt er auf dem neuen Deich bis an die äußerſte Nord–Weſt–Ecke, dann wieder rückwärts, die Augen unabläſſig auf das neu gewühlte Bett des Priehles heftend, der ihm zur Seite ſich deutlich genug in dem bloß- gelegten Schlickgrund abzeichnete. Der Schimmel drängte vorwärts und ſchnob und ſchlug mit den Vorderhufen; aber der Reiter drückte ihn zurück, er wollte langſam reiten, er wollte auch die innere Unruhe bändigen, die immer wilder in ihm aufgohr. Wenn eine Sturmfluth wiederkäme — eine, wie 1655 dageweſen, wo Gut und Menſchen un- gezählt verſchlungen wurden — wenn ſie wieder- käme, wie ſie ſchon mehrmals einſt gekommen war! — Ein heißer Schauer überrieſelte den Reiter — der alte Deich, er würde den Stoß nicht aushalten, der gegen ihn heraufſchöſſe! Was dann, was ſollte dann geſchehen? — Nur eines, ein einzig Mittel würde es geben, um vielleicht den alten Koog und Gut und Leben darin zu retten. Hauke fühlte ſein Herz ſtill ſtehen, ſein ſonſt ſo feſter Kopf ſchwindelte; er ſprach es nicht aus, aber in ihm ſprach es ſtark genug: Dein Koog, der Hauken-

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/200>, abgerufen am 21.11.2024.