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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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gestellt; nur im Nothfall durften sie von den an-
gewiesenen Plätzen weichen. Das hatte er zurück-
gelassen; dann, vor kaum einer Viertelstunde, naß,
zerzaust, war er in seinem Hause angekommen, und
jetzt, das Ohr nach den Windböen, welche die in
Blei gefaßten Scheiben rasseln machten, blickte er
wie gedankenlos in die wüste Nacht hinaus; die
Wanduhr hinter ihrer Glasscheibe schlug eben acht.
Das Kind, das neben der Mutter stand, fuhr zu-
sammen und barg den Kopf in deren Kleider.
"Claus!" rief sie weinend; "wo ist mein Claus?"

Sie konnte wohl so fragen; denn die Möve
hatte, wie schon im vorigen Jahre, so auch jetzt
ihre Winterreise nicht mehr angetreten. Der Vater
überhörte die Frage; die Mutter aber nahm das
Kind auf ihren Arm. "Dein Claus ist in der
Scheune," sagte sie; "da sitzt er warm."

"Warum?" sagte Wienke, "ist das gut?"

-- "Ja, das ist gut."

Der Hausherr stand noch am Fenster: "Es
geht nicht länger, Elke!" sagte er; "ruf' eine von
den Dirnen; der Sturm drückt uns die Scheiben
ein; die Luken müssen angeschroben werden!"

Auf das Wort der Hausfrau war die Magd

geſtellt; nur im Nothfall durften ſie von den an-
gewieſenen Plätzen weichen. Das hatte er zurück-
gelaſſen; dann, vor kaum einer Viertelſtunde, naß,
zerzauſt, war er in ſeinem Hauſe angekommen, und
jetzt, das Ohr nach den Windböen, welche die in
Blei gefaßten Scheiben raſſeln machten, blickte er
wie gedankenlos in die wüſte Nacht hinaus; die
Wanduhr hinter ihrer Glasſcheibe ſchlug eben acht.
Das Kind, das neben der Mutter ſtand, fuhr zu-
ſammen und barg den Kopf in deren Kleider.
„Claus!” rief ſie weinend; „wo iſt mein Claus?”

Sie konnte wohl ſo fragen; denn die Möve
hatte, wie ſchon im vorigen Jahre, ſo auch jetzt
ihre Winterreiſe nicht mehr angetreten. Der Vater
überhörte die Frage; die Mutter aber nahm das
Kind auf ihren Arm. „Dein Claus iſt in der
Scheune,” ſagte ſie; „da ſitzt er warm.”

„Warum?” ſagte Wienke, „iſt das gut?”

— „Ja, das iſt gut.”

Der Hausherr ſtand noch am Fenſter: „Es
geht nicht länger, Elke!” ſagte er; „ruf' eine von
den Dirnen; der Sturm drückt uns die Scheiben
ein; die Luken müſſen angeſchroben werden!”

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[202/0214] geſtellt; nur im Nothfall durften ſie von den an- gewieſenen Plätzen weichen. Das hatte er zurück- gelaſſen; dann, vor kaum einer Viertelſtunde, naß, zerzauſt, war er in ſeinem Hauſe angekommen, und jetzt, das Ohr nach den Windböen, welche die in Blei gefaßten Scheiben raſſeln machten, blickte er wie gedankenlos in die wüſte Nacht hinaus; die Wanduhr hinter ihrer Glasſcheibe ſchlug eben acht. Das Kind, das neben der Mutter ſtand, fuhr zu- ſammen und barg den Kopf in deren Kleider. „Claus!” rief ſie weinend; „wo iſt mein Claus?” Sie konnte wohl ſo fragen; denn die Möve hatte, wie ſchon im vorigen Jahre, ſo auch jetzt ihre Winterreiſe nicht mehr angetreten. Der Vater überhörte die Frage; die Mutter aber nahm das Kind auf ihren Arm. „Dein Claus iſt in der Scheune,” ſagte ſie; „da ſitzt er warm.” „Warum?” ſagte Wienke, „iſt das gut?” — „Ja, das iſt gut.” Der Hausherr ſtand noch am Fenſter: „Es geht nicht länger, Elke!” ſagte er; „ruf' eine von den Dirnen; der Sturm drückt uns die Scheiben ein; die Luken müſſen angeſchroben werden!” Auf das Wort der Hausfrau war die Magd

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/214>, abgerufen am 21.11.2024.