Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.die weite Marsch wie eine unerkennbare, von un- Da klang es wie ein Todesschrei unter den War es der Vogel seines Kindes? Hatte er die weite Marſch wie eine unerkennbare, von un- Da klang es wie ein Todesſchrei unter den War es der Vogel ſeines Kindes? Hatte er <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0219" n="207"/> die weite Marſch wie eine unerkennbare, von un-<lb/> ruhigen Schatten erfüllte Wüſte; von dem Waſſer<lb/> hinter dem Deiche, immer ungeheurer, kam ein<lb/> dumpfes Toſen, als müſſe es alles Andere ver-<lb/> ſchlingen. „Vorwärts, Schimmel!” rief Hauke;<lb/> „wir reiten unſeren ſchlimmſten Ritt!”</p><lb/> <p>Da klang es wie ein Todesſchrei unter den<lb/> Hufen ſeines Roſſes. Er riß den Zügel zurück; er<lb/> ſah ſich um: ihm zur Seite dicht über dem Boden,<lb/> halb fliegend, halb vom Sturme geſchleudert, zog<lb/> eine Schaar von weißen Möven, ein höhniſches<lb/> Gegacker ausſtoßend; ſie ſuchten Schutz im Lande.<lb/> Eine von ihnen — der Mond ſchien flüchtig durch<lb/> die Wolken — lag am Weg zertreten: dem Reiter<lb/> war's, als flattere ein rothes Band an ihrem Halſe.<lb/> „Claus!” rief er. „Armer Claus!”</p><lb/> <p>War es der Vogel ſeines Kindes? Hatte er<lb/> Roß und Reiter erkannt und ſich bei ihnen bergen<lb/> wollen? — Der Reiter wußte es nicht. „Vorwärts!”<lb/> rief er wieder, und ſchon hob der Schimmel zu neuem<lb/> Rennen ſeine Hufen, da ſetzte der Sturm plötzlich aus,<lb/> eine Todtenſtille trat an ſeine Stelle; nur eine Se-<lb/> cunde lang, dann kam er mit erneuter Wuth zurück;<lb/> aber Menſchenſtimmen und verlorenes Hunde-Gebell<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [207/0219]
die weite Marſch wie eine unerkennbare, von un-
ruhigen Schatten erfüllte Wüſte; von dem Waſſer
hinter dem Deiche, immer ungeheurer, kam ein
dumpfes Toſen, als müſſe es alles Andere ver-
ſchlingen. „Vorwärts, Schimmel!” rief Hauke;
„wir reiten unſeren ſchlimmſten Ritt!”
Da klang es wie ein Todesſchrei unter den
Hufen ſeines Roſſes. Er riß den Zügel zurück; er
ſah ſich um: ihm zur Seite dicht über dem Boden,
halb fliegend, halb vom Sturme geſchleudert, zog
eine Schaar von weißen Möven, ein höhniſches
Gegacker ausſtoßend; ſie ſuchten Schutz im Lande.
Eine von ihnen — der Mond ſchien flüchtig durch
die Wolken — lag am Weg zertreten: dem Reiter
war's, als flattere ein rothes Band an ihrem Halſe.
„Claus!” rief er. „Armer Claus!”
War es der Vogel ſeines Kindes? Hatte er
Roß und Reiter erkannt und ſich bei ihnen bergen
wollen? — Der Reiter wußte es nicht. „Vorwärts!”
rief er wieder, und ſchon hob der Schimmel zu neuem
Rennen ſeine Hufen, da ſetzte der Sturm plötzlich aus,
eine Todtenſtille trat an ſeine Stelle; nur eine Se-
cunde lang, dann kam er mit erneuter Wuth zurück;
aber Menſchenſtimmen und verlorenes Hunde-Gebell
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeZuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |