Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

vorüberflog? Allmächtiger Gott! Sein Weib, sein
Kind waren es; schon kamen sie dicht heran, und
die schäumende Wassermasse drängte auf sie zu.
Ein Schrei, ein Verzweiflungsschrei brach aus der
Brust des Reiters: "Elke!" schrie er; "Elke!
Zurück! Zurück!"

Aber Sturm und Meer waren nicht barm-
herzig, ihr Toben zerwehte seine Worte; nur seinen
Mantel hatte der Sturm erfaßt, es hätte ihn bald
vom Pferd herabgerissen; und das Fuhrwerk flog
ohne Aufenthalt der stürzenden Fluth entgegen.
Da sah er, daß das Weib wie gegen ihn hinauf
die Arme streckte: Hatte sie ihn erkannt? Hatte
die Sehnsucht, die Todesangst um ihn sie aus
dem sicheren Haus getrieben? Und jetzt -- rief
sie ein letztes Wort ihm zu? -- Die Fragen fuhren
durch sein Hirn; sie blieben ohne Antwort: von
ihr zu ihm, von ihm zu ihr waren die Worte
all' verloren; nur ein Brausen wie vom Welten-
untergang füllte ihre Ohren und ließ keinen andern
Laut hinein.

"Mein Kind! O Elke, o getreue Elke!" schrie
Hauke in den Sturm hinaus. Da sank aufs Neu'
ein großes Stück des Deiches vor ihm in die Tiefe,

vorüberflog? Allmächtiger Gott! Sein Weib, ſein
Kind waren es; ſchon kamen ſie dicht heran, und
die ſchäumende Waſſermaſſe drängte auf ſie zu.
Ein Schrei, ein Verzweiflungsſchrei brach aus der
Bruſt des Reiters: „Elke!” ſchrie er; „Elke!
Zurück! Zurück!”

Aber Sturm und Meer waren nicht barm-
herzig, ihr Toben zerwehte ſeine Worte; nur ſeinen
Mantel hatte der Sturm erfaßt, es hätte ihn bald
vom Pferd herabgeriſſen; und das Fuhrwerk flog
ohne Aufenthalt der ſtürzenden Fluth entgegen.
Da ſah er, daß das Weib wie gegen ihn hinauf
die Arme ſtreckte: Hatte ſie ihn erkannt? Hatte
die Sehnſucht, die Todesangſt um ihn ſie aus
dem ſicheren Haus getrieben? Und jetzt — rief
ſie ein letztes Wort ihm zu? — Die Fragen fuhren
durch ſein Hirn; ſie blieben ohne Antwort: von
ihr zu ihm, von ihm zu ihr waren die Worte
all' verloren; nur ein Brauſen wie vom Welten-
untergang füllte ihre Ohren und ließ keinen andern
Laut hinein.

„Mein Kind! O Elke, o getreue Elke!” ſchrie
Hauke in den Sturm hinaus. Da ſank aufs Neu'
ein großes Stück des Deiches vor ihm in die Tiefe,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0229" n="217"/>
vorüberflog? Allmächtiger Gott! Sein Weib, &#x017F;ein<lb/>
Kind waren es; &#x017F;chon kamen &#x017F;ie dicht heran, und<lb/>
die &#x017F;chäumende Wa&#x017F;&#x017F;erma&#x017F;&#x017F;e drängte auf &#x017F;ie zu.<lb/>
Ein Schrei, ein Verzweiflungs&#x017F;chrei brach aus der<lb/>
Bru&#x017F;t des Reiters: &#x201E;Elke!&#x201D; &#x017F;chrie er; &#x201E;Elke!<lb/>
Zurück! Zurück!&#x201D;</p><lb/>
        <p>Aber Sturm und Meer waren nicht barm-<lb/>
herzig, ihr Toben zerwehte &#x017F;eine Worte; nur &#x017F;einen<lb/>
Mantel hatte der Sturm erfaßt, es hätte ihn bald<lb/>
vom Pferd herabgeri&#x017F;&#x017F;en; und das Fuhrwerk flog<lb/>
ohne Aufenthalt der &#x017F;türzenden Fluth entgegen.<lb/>
Da &#x017F;ah er, daß das Weib wie gegen ihn hinauf<lb/>
die Arme &#x017F;treckte: Hatte &#x017F;ie ihn erkannt? Hatte<lb/>
die Sehn&#x017F;ucht, die Todesang&#x017F;t um ihn &#x017F;ie aus<lb/>
dem &#x017F;icheren Haus getrieben? Und jetzt &#x2014; rief<lb/>
&#x017F;ie ein letztes Wort ihm zu? &#x2014; Die Fragen fuhren<lb/>
durch &#x017F;ein Hirn; &#x017F;ie blieben ohne Antwort: von<lb/>
ihr zu ihm, von ihm zu ihr waren die Worte<lb/>
all' verloren; nur ein Brau&#x017F;en wie vom Welten-<lb/>
untergang füllte ihre Ohren und ließ keinen andern<lb/>
Laut hinein.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mein Kind! O Elke, o getreue Elke!&#x201D; &#x017F;chrie<lb/>
Hauke in den Sturm hinaus. Da &#x017F;ank aufs Neu'<lb/>
ein großes Stück des Deiches vor ihm in die Tiefe,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0229] vorüberflog? Allmächtiger Gott! Sein Weib, ſein Kind waren es; ſchon kamen ſie dicht heran, und die ſchäumende Waſſermaſſe drängte auf ſie zu. Ein Schrei, ein Verzweiflungsſchrei brach aus der Bruſt des Reiters: „Elke!” ſchrie er; „Elke! Zurück! Zurück!” Aber Sturm und Meer waren nicht barm- herzig, ihr Toben zerwehte ſeine Worte; nur ſeinen Mantel hatte der Sturm erfaßt, es hätte ihn bald vom Pferd herabgeriſſen; und das Fuhrwerk flog ohne Aufenthalt der ſtürzenden Fluth entgegen. Da ſah er, daß das Weib wie gegen ihn hinauf die Arme ſtreckte: Hatte ſie ihn erkannt? Hatte die Sehnſucht, die Todesangſt um ihn ſie aus dem ſicheren Haus getrieben? Und jetzt — rief ſie ein letztes Wort ihm zu? — Die Fragen fuhren durch ſein Hirn; ſie blieben ohne Antwort: von ihr zu ihm, von ihm zu ihr waren die Worte all' verloren; nur ein Brauſen wie vom Welten- untergang füllte ihre Ohren und ließ keinen andern Laut hinein. „Mein Kind! O Elke, o getreue Elke!” ſchrie Hauke in den Sturm hinaus. Da ſank aufs Neu' ein großes Stück des Deiches vor ihm in die Tiefe,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/229
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/229>, abgerufen am 24.11.2024.