Storm, Theodor: Waldwinkel, Pole Poppenspäler. Novellen. Braunschweig, 1875.
Ich wäre gern fortgelaufen, aber ich schämte mich. Und wenn gar dem Lisei meinetwegen etwas geschähe! Da begann Kasperl auf der Bühne plötzlich ein klägliches Geheule, wobei ihm Kopf und Arme schlaff herunterhingen, und der Famulus Wagner erschien wieder und fragte ihn, warum er denn so lamentire. "Ach, mei Zahnerl, mei Zahnerl!" schrie Kasperl. "Guter Freund," sagte Wagner, "so laß Er sich einmal in das Maul sehen!" - Als er ihn hierauf bei der großen Nase packte und ihm zwischen die Kinnladen hineinschaute, trat auch der Doctor Faust wieder in das Zimmer. - "Verzeihen Eure Magnificenz," sagte Wagner, "ich werde diesen jungen Mann in meinem Dienst nicht gebrauchen können; er muß sofort in das Lazareth geschafft werden!" "Is das a Wirthshaus?" fragte Kasperle. "Nein, guter Freund," erwiederte Wagner, "das ist ein Schlachthaus. Man wird ihm dort einen Weisheitszahn aus der Haut schneiden, und dann wird er seiner Schmerzen ledig sein." "Ach, du lieb's Herrgottl," jammerte Kasper, Ich wäre gern fortgelaufen, aber ich schämte mich. Und wenn gar dem Lisei meinetwegen etwas geschähe! Da begann Kasperl auf der Bühne plötzlich ein klägliches Geheule, wobei ihm Kopf und Arme schlaff herunterhingen, und der Famulus Wagner erschien wieder und fragte ihn, warum er denn so lamentire. „Ach, mei Zahnerl, mei Zahnerl!“ schrie Kasperl. „Guter Freund,“ sagte Wagner, „so laß Er sich einmal in das Maul sehen!“ – Als er ihn hierauf bei der großen Nase packte und ihm zwischen die Kinnladen hineinschaute, trat auch der Doctor Faust wieder in das Zimmer. – „Verzeihen Eure Magnificenz,“ sagte Wagner, „ich werde diesen jungen Mann in meinem Dienst nicht gebrauchen können; er muß sofort in das Lazareth geschafft werden!“ „Is das a Wirthshaus?“ fragte Kasperle. „Nein, guter Freund,“ erwiederte Wagner, „das ist ein Schlachthaus. Man wird ihm dort einen Weisheitszahn aus der Haut schneiden, und dann wird er seiner Schmerzen ledig sein.“ „Ach, du lieb’s Herrgottl,“ jammerte Kasper, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0153" n="149"/> Ich wäre gern fortgelaufen, aber ich schämte mich. Und wenn gar dem Lisei meinetwegen etwas geschähe!</p> <p>Da begann Kasperl auf der Bühne plötzlich ein klägliches Geheule, wobei ihm Kopf und Arme schlaff herunterhingen, und der Famulus Wagner erschien wieder und fragte ihn, warum er denn so lamentire.</p> <p>„Ach, mei Zahnerl, mei Zahnerl!“ schrie Kasperl.</p> <p>„Guter Freund,“ sagte Wagner, „so laß Er sich einmal in das Maul sehen!“ – Als er ihn hierauf bei der großen Nase packte und ihm zwischen die Kinnladen hineinschaute, trat auch der Doctor Faust wieder in das Zimmer. – „Verzeihen Eure Magnificenz,“ sagte Wagner, „ich werde diesen jungen Mann in meinem Dienst nicht gebrauchen können; er muß sofort in das Lazareth geschafft werden!“</p> <p>„Is das a Wirthshaus?“ fragte Kasperle.</p> <p>„Nein, guter Freund,“ erwiederte Wagner, „das ist ein Schlachthaus. Man wird ihm dort einen Weisheitszahn aus der Haut schneiden, und dann wird er seiner Schmerzen ledig sein.“</p> <p>„Ach, du lieb’s Herrgottl,“ jammerte Kasper, </p> </div> </body> </text> </TEI> [149/0153]
Ich wäre gern fortgelaufen, aber ich schämte mich. Und wenn gar dem Lisei meinetwegen etwas geschähe!
Da begann Kasperl auf der Bühne plötzlich ein klägliches Geheule, wobei ihm Kopf und Arme schlaff herunterhingen, und der Famulus Wagner erschien wieder und fragte ihn, warum er denn so lamentire.
„Ach, mei Zahnerl, mei Zahnerl!“ schrie Kasperl.
„Guter Freund,“ sagte Wagner, „so laß Er sich einmal in das Maul sehen!“ – Als er ihn hierauf bei der großen Nase packte und ihm zwischen die Kinnladen hineinschaute, trat auch der Doctor Faust wieder in das Zimmer. – „Verzeihen Eure Magnificenz,“ sagte Wagner, „ich werde diesen jungen Mann in meinem Dienst nicht gebrauchen können; er muß sofort in das Lazareth geschafft werden!“
„Is das a Wirthshaus?“ fragte Kasperle.
„Nein, guter Freund,“ erwiederte Wagner, „das ist ein Schlachthaus. Man wird ihm dort einen Weisheitszahn aus der Haut schneiden, und dann wird er seiner Schmerzen ledig sein.“
„Ach, du lieb’s Herrgottl,“ jammerte Kasper,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/storm_waldwinkel_1875 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/storm_waldwinkel_1875/153 |
| Zitationshilfe: | Storm, Theodor: Waldwinkel, Pole Poppenspäler. Novellen. Braunschweig, 1875, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_waldwinkel_1875/153>, abgerufen am 27.11.2024. |
