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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erster Abschnitt.
sinnigkeit, dass die Prophetenstelle zunächst zwar auf das
Volk Israel gehe, nichtsdestoweniger aber zugleich als
Weissagung auf Christum gefasst werden könne, weil die
Schicksale des leiblichen Israel Vorbilder der Schicksale
Jesu seien 22), ist hier um so weniger anwendbar, als
diese Vorbildlichkeit in unsrem Falle eine völlig äusserliche
und geistlose wäre, indem nur das Formelle eines Aufent-
halts in Ägypten auf beiden Seiten gleich, die näheren
Verhältnisse aber, unter welchen das israelitische Volk und
das Kind Jesus sich daselbst aufhielten, ganz verschiedene
gewesen sind.

Wie die Rückkehr der Magier sich so lange ver-
zieht, dass Herodes merken kann, sie haben nicht im Sinn,
ihm Wort zu halten: erlässt er einen Mordbefehl gegen
alle männlichen Kinder in und um Bethlehem, welche in-
nerhalb der Altersklasse standen, in welche, nach den
Angaben der Magier über die Zeit der Erscheinung des
Sterns, auch der messianische Knabe gehören musste (V.
16--18.). Wollen wir hier auch nicht viel Gewicht auf
die Bemerkung legen, dass der bei aller Grausamkeit doch
kluge Herodes schwerlich so in's Blinde hinein gewüthet
haben würde, da er ja leicht erfahren konnte, dass der
Knabe, welchem so kostbare Geschenke gebracht worden
waren, gar nicht mehr in Bethlehem zu finden war 23):
so sollte man doch jedenfalls erwarten, dass von einer so
ganz besonders empörenden Blutthat auch andre Schrift-
steller uns etwas berichten würden 24). Allein weder Jo-
sephus, welcher sehr ausführlich über Herodes ist, noch
die Rabbinen, die ihm sonst alles Üble nachsagen, erwäh-
nen dieses Faktums mit einem Worte. Diese setzen die
Reise Jesu nach Ägypten zwar gleichfalls mit einer Mord-

22) a. a. O. S. 74.
23) Schleiermacher, über den Lukas, S. 44 f.
24) S. Schmidt, a. a. O. S. 156.

Erster Abschnitt.
sinnigkeit, daſs die Prophetenstelle zunächst zwar auf das
Volk Israël gehe, nichtsdestoweniger aber zugleich als
Weissagung auf Christum gefaſst werden könne, weil die
Schicksale des leiblichen Israël Vorbilder der Schicksale
Jesu seien 22), ist hier um so weniger anwendbar, als
diese Vorbildlichkeit in unsrem Falle eine völlig äusserliche
und geistlose wäre, indem nur das Formelle eines Aufent-
halts in Ägypten auf beiden Seiten gleich, die näheren
Verhältnisse aber, unter welchen das israëlitische Volk und
das Kind Jesus sich daselbst aufhielten, ganz verschiedene
gewesen sind.

Wie die Rückkehr der Magier sich so lange ver-
zieht, daſs Herodes merken kann, sie haben nicht im Sinn,
ihm Wort zu halten: erläſst er einen Mordbefehl gegen
alle männlichen Kinder in und um Bethlehem, welche in-
nerhalb der Altersklasse standen, in welche, nach den
Angaben der Magier über die Zeit der Erscheinung des
Sterns, auch der messianische Knabe gehören muſste (V.
16—18.). Wollen wir hier auch nicht viel Gewicht auf
die Bemerkung legen, daſs der bei aller Grausamkeit doch
kluge Herodes schwerlich so in's Blinde hinein gewüthet
haben würde, da er ja leicht erfahren konnte, daſs der
Knabe, welchem so kostbare Geschenke gebracht worden
waren, gar nicht mehr in Bethlehem zu finden war 23):
so sollte man doch jedenfalls erwarten, daſs von einer so
ganz besonders empörenden Blutthat auch andre Schrift-
steller uns etwas berichten würden 24). Allein weder Jo-
sephus, welcher sehr ausführlich über Herodes ist, noch
die Rabbinen, die ihm sonst alles Üble nachsagen, erwäh-
nen dieses Faktums mit einem Worte. Diese setzen die
Reise Jesu nach Ägypten zwar gleichfalls mit einer Mord-

22) a. a. O. S. 74.
23) Schleiermacher, über den Lukas, S. 44 f.
24) S. Schmidt, a. a. O. S. 156.
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[232/0256] Erster Abschnitt. sinnigkeit, daſs die Prophetenstelle zunächst zwar auf das Volk Israël gehe, nichtsdestoweniger aber zugleich als Weissagung auf Christum gefaſst werden könne, weil die Schicksale des leiblichen Israël Vorbilder der Schicksale Jesu seien 22), ist hier um so weniger anwendbar, als diese Vorbildlichkeit in unsrem Falle eine völlig äusserliche und geistlose wäre, indem nur das Formelle eines Aufent- halts in Ägypten auf beiden Seiten gleich, die näheren Verhältnisse aber, unter welchen das israëlitische Volk und das Kind Jesus sich daselbst aufhielten, ganz verschiedene gewesen sind. Wie die Rückkehr der Magier sich so lange ver- zieht, daſs Herodes merken kann, sie haben nicht im Sinn, ihm Wort zu halten: erläſst er einen Mordbefehl gegen alle männlichen Kinder in und um Bethlehem, welche in- nerhalb der Altersklasse standen, in welche, nach den Angaben der Magier über die Zeit der Erscheinung des Sterns, auch der messianische Knabe gehören muſste (V. 16—18.). Wollen wir hier auch nicht viel Gewicht auf die Bemerkung legen, daſs der bei aller Grausamkeit doch kluge Herodes schwerlich so in's Blinde hinein gewüthet haben würde, da er ja leicht erfahren konnte, daſs der Knabe, welchem so kostbare Geschenke gebracht worden waren, gar nicht mehr in Bethlehem zu finden war 23): so sollte man doch jedenfalls erwarten, daſs von einer so ganz besonders empörenden Blutthat auch andre Schrift- steller uns etwas berichten würden 24). Allein weder Jo- sephus, welcher sehr ausführlich über Herodes ist, noch die Rabbinen, die ihm sonst alles Üble nachsagen, erwäh- nen dieses Faktums mit einem Worte. Diese setzen die Reise Jesu nach Ägypten zwar gleichfalls mit einer Mord- 22) a. a. O. S. 74. 23) Schleiermacher, über den Lukas, S. 44 f. 24) S. Schmidt, a. a. O. S. 156.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/256>, abgerufen am 21.11.2024.