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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Viertes Kapitel. §. 35.
tern wohnhaft waren, mit einem eben so wenig historischen
Datum, nämlich der Schatzung, zusammen, und mit dieser
fällt jeder Anlass für die Eltern Jesu weg, bei herannahen-
der Entbindung der Maria eine so weite Reise zu unter-
nehmen, so dass wir in diesem Stücke dem Matthäus Recht
geben müssen, wenn er Jesum nicht auswärts, sondern an
dem Wohnorte seiner Eltern geboren werden lässt. Doch
nur diess Formelle haben wir bis jezt, dass Jesu Eltern nir-
gends anders früher gewohnt haben als später, und dass
Jesus nirgends anders geboren ist, als wo seine Eltern
wohnten: über das Materielle, welches denn dieser Ort
gewesen, ist die Untersuchung erst anzustellen.

In dieser Hinsicht werden wir nun in entgegengesez-
ter Richtung auseinandergezogen, indem wir als Geburtsort
Jesu, wo nach unsrem eben gewonnenen Resultat seine
Eltern auch wohnhaft gewesen sein müssten, in beiden
Evangelien Bethlehem angegeben finden, als späteren Wohn-
ort dagegen, welcher nach dem Obigen auch als der ur-
sprüngliche und somit als Geburtsort Jesu zu denken wä-
re, gleichfalls in beiden Nazaret. Dieser Widerspruch ist
unauflöslich, wenn beide Richtungen wirklich gleich stark
anziehen; er löst sich aber, sobald auf der einen Seite
das Band reisst, und uns der andern Richtung ungehindert
folgen lässt. Prüfen wir zuerst das Band, welches uns
an die Annahme des galiläischen Nazaret als des späteren
Wohnsitzes der Eltern Jesu knüpft, so besteht es nicht
allein in der trockenen Angabe der vorliegenden Stellen
im zweiten Kapitel des Matthäus und Lukas, dass die El-
tern Jesu nach dessen Geburt sich in Nazaret aufgehalten:
sondern in einer fortlaufenden Reihe von Daten aus der
evangelischen und der ältesten Kirchengeschichte. Der Ga-
liläer, der Nazarener, war der stehende Beiname Jesu: als
Jesus von Nazaret stellte ihn Philippus dem Nathanael vor,
welcher ihm die Frage zurückgab: was kann aus Nazaret
Gutes kommen? (Joh. 1, 46. f.) Nazaret wird nicht blos

Das Leben Jesu I. Band. 18

Viertes Kapitel. §. 35.
tern wohnhaft waren, mit einem eben so wenig historischen
Datum, nämlich der Schatzung, zusammen, und mit dieser
fällt jeder Anlaſs für die Eltern Jesu weg, bei herannahen-
der Entbindung der Maria eine so weite Reise zu unter-
nehmen, so daſs wir in diesem Stücke dem Matthäus Recht
geben müssen, wenn er Jesum nicht auswärts, sondern an
dem Wohnorte seiner Eltern geboren werden läſst. Doch
nur dieſs Formelle haben wir bis jezt, daſs Jesu Eltern nir-
gends anders früher gewohnt haben als später, und daſs
Jesus nirgends anders geboren ist, als wo seine Eltern
wohnten: über das Materielle, welches denn dieser Ort
gewesen, ist die Untersuchung erst anzustellen.

In dieser Hinsicht werden wir nun in entgegengesez-
ter Richtung auseinandergezogen, indem wir als Geburtsort
Jesu, wo nach unsrem eben gewonnenen Resultat seine
Eltern auch wohnhaft gewesen sein müſsten, in beiden
Evangelien Bethlehem angegeben finden, als späteren Wohn-
ort dagegen, welcher nach dem Obigen auch als der ur-
sprüngliche und somit als Geburtsort Jesu zu denken wä-
re, gleichfalls in beiden Nazaret. Dieser Widerspruch ist
unauflöslich, wenn beide Richtungen wirklich gleich stark
anziehen; er löst sich aber, sobald auf der einen Seite
das Band reiſst, und uns der andern Richtung ungehindert
folgen läſst. Prüfen wir zuerst das Band, welches uns
an die Annahme des galiläischen Nazaret als des späteren
Wohnsitzes der Eltern Jesu knüpft, so besteht es nicht
allein in der trockenen Angabe der vorliegenden Stellen
im zweiten Kapitel des Matthäus und Lukas, daſs die El-
tern Jesu nach dessen Geburt sich in Nazaret aufgehalten:
sondern in einer fortlaufenden Reihe von Daten aus der
evangelischen und der ältesten Kirchengeschichte. Der Ga-
liläer, der Nazarener, war der stehende Beiname Jesu: als
Jesus von Nazaret stellte ihn Philippus dem Nathanaël vor,
welcher ihm die Frage zurückgab: was kann aus Nazaret
Gutes kommen? (Joh. 1, 46. f.) Nazaret wird nicht blos

Das Leben Jesu I. Band. 18
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[273/0297] Viertes Kapitel. §. 35. tern wohnhaft waren, mit einem eben so wenig historischen Datum, nämlich der Schatzung, zusammen, und mit dieser fällt jeder Anlaſs für die Eltern Jesu weg, bei herannahen- der Entbindung der Maria eine so weite Reise zu unter- nehmen, so daſs wir in diesem Stücke dem Matthäus Recht geben müssen, wenn er Jesum nicht auswärts, sondern an dem Wohnorte seiner Eltern geboren werden läſst. Doch nur dieſs Formelle haben wir bis jezt, daſs Jesu Eltern nir- gends anders früher gewohnt haben als später, und daſs Jesus nirgends anders geboren ist, als wo seine Eltern wohnten: über das Materielle, welches denn dieser Ort gewesen, ist die Untersuchung erst anzustellen. In dieser Hinsicht werden wir nun in entgegengesez- ter Richtung auseinandergezogen, indem wir als Geburtsort Jesu, wo nach unsrem eben gewonnenen Resultat seine Eltern auch wohnhaft gewesen sein müſsten, in beiden Evangelien Bethlehem angegeben finden, als späteren Wohn- ort dagegen, welcher nach dem Obigen auch als der ur- sprüngliche und somit als Geburtsort Jesu zu denken wä- re, gleichfalls in beiden Nazaret. Dieser Widerspruch ist unauflöslich, wenn beide Richtungen wirklich gleich stark anziehen; er löst sich aber, sobald auf der einen Seite das Band reiſst, und uns der andern Richtung ungehindert folgen läſst. Prüfen wir zuerst das Band, welches uns an die Annahme des galiläischen Nazaret als des späteren Wohnsitzes der Eltern Jesu knüpft, so besteht es nicht allein in der trockenen Angabe der vorliegenden Stellen im zweiten Kapitel des Matthäus und Lukas, daſs die El- tern Jesu nach dessen Geburt sich in Nazaret aufgehalten: sondern in einer fortlaufenden Reihe von Daten aus der evangelischen und der ältesten Kirchengeschichte. Der Ga- liläer, der Nazarener, war der stehende Beiname Jesu: als Jesus von Nazaret stellte ihn Philippus dem Nathanaël vor, welcher ihm die Frage zurückgab: was kann aus Nazaret Gutes kommen? (Joh. 1, 46. f.) Nazaret wird nicht blos Das Leben Jesu I. Band. 18

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/297>, abgerufen am 21.11.2024.