zu vermuthen begann, der Mann von solchen Thaten möchte vielleicht der Messias sein. Nicht also von einer ver- schwindenden Gewissheit ist hier die Rede, sondern von ei- ner werdenden, nicht von einer untergehenden Sonne des Glaubens, sondern von einer solchen, die im Aufgang be- griffen ist. So nur wird Alles klar und hell in den be- sprochenen Stellen. Johannes wusste früher von Jesu nichts, als dass er seine Taufe angenommen hatte, wie viele An- dere, und vielleicht einige Zeit im Kreise seiner Schüler ge- wandelt; erst nach des Täufers Gefangennehmung that sich Jesus als Lehrer und Wunderthäter hervor. Das hörte Johannes und nun entstand in ihm, wie er ja die Nähe des Messiasreichs verkündigt hatte, die hoffnungsvolle Vermuthung, ob nicht vielleicht dieser Jesus es sein möch- te, durch welchen sich die Idee des Himmelreichs verwirk- lichen solle. So aufgefasst, schliesst diese Sendung des Täu- fers seine früheren Zeugnisse für Jesum geradezu aus: hat er früher so gesprochen, so kann er später nicht so haben fragen lassen, und wenn dieses, dann jenes nicht. Daher für uns die Aufgabe, die beiden widersprechenden Angaben zu vergleichen, um zu sehen, welche mehr als die andre die Spuren der Wahrheit oder Unwahrheit an sich trägt.
Die bestimmtesten Ausdrücke der früheren Überzeugung des Täufers von Jesu Messianität finden sich im vierten Evangelium, und wir müssen hiebei zwei Fragen unter- scheiden, einmal, ob es denkbar sei, dass Johannes über- haupt einen solchen Begriff vom Messias gehabt, und zwei- tens, ob es wahrscheinlich sei, dass er denselben in der Person Jesu verwirklicht geglaubt habe.
Was das Erstere betrifft, so hat der Messiasbegriff des Täufers nach dem vierten Evangelium die Merkmale des sühnenden Leidens und einer vorweltlichen, himmli- schen Existenz. Zwar hat man versucht, die Ausdrücke, mit welchen er 1, 29 und 36. seine Schüler auf Jesum hin-
Das Leben Jesu I. Band. 22
Erstes Kapitel. §. 42.
zu vermuthen begann, der Mann von solchen Thaten möchte vielleicht der Messias sein. Nicht also von einer ver- schwindenden Gewiſsheit ist hier die Rede, sondern von ei- ner werdenden, nicht von einer untergehenden Sonne des Glaubens, sondern von einer solchen, die im Aufgang be- griffen ist. So nur wird Alles klar und hell in den be- sprochenen Stellen. Johannes wuſste früher von Jesu nichts, als daſs er seine Taufe angenommen hatte, wie viele An- dere, und vielleicht einige Zeit im Kreise seiner Schüler ge- wandelt; erst nach des Täufers Gefangennehmung that sich Jesus als Lehrer und Wunderthäter hervor. Das hörte Johannes und nun entstand in ihm, wie er ja die Nähe des Messiasreichs verkündigt hatte, die hoffnungsvolle Vermuthung, ob nicht vielleicht dieser Jesus es sein möch- te, durch welchen sich die Idee des Himmelreichs verwirk- lichen solle. So aufgefaſst, schlieſst diese Sendung des Täu- fers seine früheren Zeugnisse für Jesum geradezu aus: hat er früher so gesprochen, so kann er später nicht so haben fragen lassen, und wenn dieses, dann jenes nicht. Daher für uns die Aufgabe, die beiden widersprechenden Angaben zu vergleichen, um zu sehen, welche mehr als die andre die Spuren der Wahrheit oder Unwahrheit an sich trägt.
Die bestimmtesten Ausdrücke der früheren Überzeugung des Täufers von Jesu Messianität finden sich im vierten Evangelium, und wir müssen hiebei zwei Fragen unter- scheiden, einmal, ob es denkbar sei, daſs Johannes über- haupt einen solchen Begriff vom Messias gehabt, und zwei- tens, ob es wahrscheinlich sei, daſs er denselben in der Person Jesu verwirklicht geglaubt habe.
Was das Erstere betrifft, so hat der Messiasbegriff des Täufers nach dem vierten Evangelium die Merkmale des sühnenden Leidens und einer vorweltlichen, himmli- schen Existenz. Zwar hat man versucht, die Ausdrücke, mit welchen er 1, 29 und 36. seine Schüler auf Jesum hin-
Das Leben Jesu I. Band. 22
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Erstes Kapitel. §. 42.
zu vermuthen begann, der Mann von solchen Thaten möchte
vielleicht der Messias sein. Nicht also von einer ver-
schwindenden Gewiſsheit ist hier die Rede, sondern von ei-
ner werdenden, nicht von einer untergehenden Sonne des
Glaubens, sondern von einer solchen, die im Aufgang be-
griffen ist. So nur wird Alles klar und hell in den be-
sprochenen Stellen. Johannes wuſste früher von Jesu nichts,
als daſs er seine Taufe angenommen hatte, wie viele An-
dere, und vielleicht einige Zeit im Kreise seiner Schüler ge-
wandelt; erst nach des Täufers Gefangennehmung that
sich Jesus als Lehrer und Wunderthäter hervor. Das
hörte Johannes und nun entstand in ihm, wie er ja die
Nähe des Messiasreichs verkündigt hatte, die hoffnungsvolle
Vermuthung, ob nicht vielleicht dieser Jesus es sein möch-
te, durch welchen sich die Idee des Himmelreichs verwirk-
lichen solle. So aufgefaſst, schlieſst diese Sendung des Täu-
fers seine früheren Zeugnisse für Jesum geradezu aus:
hat er früher so gesprochen, so kann er später nicht so
haben fragen lassen, und wenn dieses, dann jenes nicht.
Daher für uns die Aufgabe, die beiden widersprechenden
Angaben zu vergleichen, um zu sehen, welche mehr als
die andre die Spuren der Wahrheit oder Unwahrheit an
sich trägt.
Die bestimmtesten Ausdrücke der früheren Überzeugung
des Täufers von Jesu Messianität finden sich im vierten
Evangelium, und wir müssen hiebei zwei Fragen unter-
scheiden, einmal, ob es denkbar sei, daſs Johannes über-
haupt einen solchen Begriff vom Messias gehabt, und zwei-
tens, ob es wahrscheinlich sei, daſs er denselben in der
Person Jesu verwirklicht geglaubt habe.
Was das Erstere betrifft, so hat der Messiasbegriff
des Täufers nach dem vierten Evangelium die Merkmale
des sühnenden Leidens und einer vorweltlichen, himmli-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/361>, abgerufen am 25.11.2024.
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