Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Kapitel. §. 42.
10, 4. Kol. 1, 15 f.) und den Rabbinen 18), und wenn sie
auch ursprünglich alexandrinisch gewesen wäre, was Bret-
schneider
gegen unsre Stelle geltend macht 19): so fragt
sich, ob nicht auch schon vor Christi Zeit die alexandri-
nisch-jüdische Theologie auf die Ansichten des Mutterlands
von Einfluss war? 20) Also auch diese Aussprüche ent-
scheiden für sich noch nichts, ob es gleich bedenklich zu
werden anfängt, dem Täufer, der sonst nur dafür bekannt
ist, die praktische Seite an der Idee des Messiasreichs her-
vorgekehrt zu haben, von dem einzigen vierten Evangeli-
sten zwei Begriffe, welche in jener Zeit ohne Zweifel nur der
tiefsten messianischen Speculation angehörten, zugeschrie-
ben zu sehen, und zwar in solcher Weise, dass jedenfalls
die Form, in welcher er sie ausdrückt, zu johanneisch ist,
um nicht auf Rechnung dieses Evangelisten geschrieben
werden zu müssen.

Von dieser letzten Seite vollendet sich nun das Resul-
tat, wenn wir noch die Stelle Joh. 3, 27--36. in Betracht
ziehen, wo der Täufer auf die Klage einiger Jünger über
den Abbruch, den Jesu Taufe der ihrigen thue, auf
eine Weise antwortet, welche alle Ausleger in Verle-
genheit setzt. Nachdem er sich nämlich darüber erklärt
hatte, wie es in ihrer beiderseitigen Bestimmung, über
welche er nicht hinauszuschreiten verlange, begründet sei,
dass er abnehmen, Jesus aber zunehmen müsse, fährt
er von V. 31. an in Formeln fort, welche ganz dieselben
sind mit denjenigen, in welchen sonst der vierte Evange-
list Jesum selbst von sich reden lässt, oder seine eigenen
Gedanken über Jesum ausdrückt; namentlich, wie auch

18) s. Bertholdt, Christologia Judaeorum Jesu apostolorumque
aetate, §§. 23--25.
19) Probabilia S. 41.
20) s. Gfrörer, Philo und die alexandr. Theosophie, 2. Thl. von
S. 280 an.

Erstes Kapitel. §. 42.
10, 4. Kol. 1, 15 f.) und den Rabbinen 18), und wenn sie
auch ursprünglich alexandrinisch gewesen wäre, was Bret-
schneider
gegen unsre Stelle geltend macht 19): so fragt
sich, ob nicht auch schon vor Christi Zeit die alexandri-
nisch-jüdische Theologie auf die Ansichten des Mutterlands
von Einfluss war? 20) Also auch diese Aussprüche ent-
scheiden für sich noch nichts, ob es gleich bedenklich zu
werden anfängt, dem Täufer, der sonst nur dafür bekannt
ist, die praktische Seite an der Idee des Messiasreichs her-
vorgekehrt zu haben, von dem einzigen vierten Evangeli-
sten zwei Begriffe, welche in jener Zeit ohne Zweifel nur der
tiefsten messianischen Speculation angehörten, zugeschrie-
ben zu sehen, und zwar in solcher Weise, daſs jedenfalls
die Form, in welcher er sie ausdrückt, zu johanneisch ist,
um nicht auf Rechnung dieses Evangelisten geschrieben
werden zu müssen.

Von dieser letzten Seite vollendet sich nun das Resul-
tat, wenn wir noch die Stelle Joh. 3, 27—36. in Betracht
ziehen, wo der Täufer auf die Klage einiger Jünger über
den Abbruch, den Jesu Taufe der ihrigen thue, auf
eine Weise antwortet, welche alle Ausleger in Verle-
genheit setzt. Nachdem er sich nämlich darüber erklärt
hatte, wie es in ihrer beiderseitigen Bestimmung, über
welche er nicht hinauszuschreiten verlange, begründet sei,
daſs er abnehmen, Jesus aber zunehmen müsse, fährt
er von V. 31. an in Formeln fort, welche ganz dieselben
sind mit denjenigen, in welchen sonst der vierte Evange-
list Jesum selbst von sich reden läſst, oder seine eigenen
Gedanken über Jesum ausdrückt; namentlich, wie auch

18) s. Bertholdt, Christologia Judaeorum Jesu apostolorumque
aetate, §§. 23—25.
19) Probabilia S. 41.
20) s. Gfrörer, Philo und die alexandr. Theosophie, 2. Thl. von
S. 280 an.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0365" n="341"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erstes Kapitel</hi>. §. 42.</fw><lb/>
10, 4. Kol. 1, 15 f.) und den Rabbinen <note place="foot" n="18)">s. <hi rendition="#k">Bertholdt</hi>, Christologia Judaeorum Jesu apostolorumque<lb/>
aetate, §§. 23&#x2014;25.</note>, und wenn sie<lb/>
auch ursprünglich alexandrinisch gewesen wäre, was <hi rendition="#k">Bret-<lb/>
schneider</hi> gegen unsre Stelle geltend macht <note place="foot" n="19)">Probabilia S. 41.</note>: so fragt<lb/>
sich, ob nicht auch schon vor Christi Zeit die alexandri-<lb/>
nisch-jüdische Theologie auf die Ansichten des Mutterlands<lb/>
von Einfluss war? <note place="foot" n="20)">s. <hi rendition="#k">Gfrörer</hi>, Philo und die alexandr. Theosophie, 2. Thl. von<lb/>
S. 280 an.</note> Also auch diese Aussprüche ent-<lb/>
scheiden für sich noch nichts, ob es gleich bedenklich zu<lb/>
werden anfängt, dem Täufer, der sonst nur dafür bekannt<lb/>
ist, die praktische Seite an der Idee des Messiasreichs her-<lb/>
vorgekehrt zu haben, von dem einzigen vierten Evangeli-<lb/>
sten zwei Begriffe, welche in jener Zeit ohne Zweifel nur der<lb/>
tiefsten messianischen Speculation angehörten, zugeschrie-<lb/>
ben zu sehen, und zwar in solcher Weise, da&#x017F;s jedenfalls<lb/>
die Form, in welcher er sie ausdrückt, zu johanneisch ist,<lb/>
um nicht auf Rechnung dieses Evangelisten geschrieben<lb/>
werden zu müssen.</p><lb/>
            <p>Von dieser letzten Seite vollendet sich nun das Resul-<lb/>
tat, wenn wir noch die Stelle Joh. 3, 27&#x2014;36. in Betracht<lb/>
ziehen, wo der Täufer auf die Klage einiger Jünger über<lb/>
den Abbruch, den Jesu Taufe der ihrigen thue, auf<lb/>
eine Weise antwortet, welche alle Ausleger in Verle-<lb/>
genheit setzt. Nachdem er sich nämlich darüber erklärt<lb/>
hatte, wie es in ihrer beiderseitigen Bestimmung, über<lb/>
welche er nicht hinauszuschreiten verlange, begründet sei,<lb/>
da&#x017F;s er abnehmen, Jesus aber zunehmen müsse, fährt<lb/>
er von V. 31. an in Formeln fort, welche ganz dieselben<lb/>
sind mit denjenigen, in welchen sonst der vierte Evange-<lb/>
list Jesum selbst von sich reden lä&#x017F;st, oder seine eigenen<lb/>
Gedanken über Jesum ausdrückt; namentlich, wie auch<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0365] Erstes Kapitel. §. 42. 10, 4. Kol. 1, 15 f.) und den Rabbinen 18), und wenn sie auch ursprünglich alexandrinisch gewesen wäre, was Bret- schneider gegen unsre Stelle geltend macht 19): so fragt sich, ob nicht auch schon vor Christi Zeit die alexandri- nisch-jüdische Theologie auf die Ansichten des Mutterlands von Einfluss war? 20) Also auch diese Aussprüche ent- scheiden für sich noch nichts, ob es gleich bedenklich zu werden anfängt, dem Täufer, der sonst nur dafür bekannt ist, die praktische Seite an der Idee des Messiasreichs her- vorgekehrt zu haben, von dem einzigen vierten Evangeli- sten zwei Begriffe, welche in jener Zeit ohne Zweifel nur der tiefsten messianischen Speculation angehörten, zugeschrie- ben zu sehen, und zwar in solcher Weise, daſs jedenfalls die Form, in welcher er sie ausdrückt, zu johanneisch ist, um nicht auf Rechnung dieses Evangelisten geschrieben werden zu müssen. Von dieser letzten Seite vollendet sich nun das Resul- tat, wenn wir noch die Stelle Joh. 3, 27—36. in Betracht ziehen, wo der Täufer auf die Klage einiger Jünger über den Abbruch, den Jesu Taufe der ihrigen thue, auf eine Weise antwortet, welche alle Ausleger in Verle- genheit setzt. Nachdem er sich nämlich darüber erklärt hatte, wie es in ihrer beiderseitigen Bestimmung, über welche er nicht hinauszuschreiten verlange, begründet sei, daſs er abnehmen, Jesus aber zunehmen müsse, fährt er von V. 31. an in Formeln fort, welche ganz dieselben sind mit denjenigen, in welchen sonst der vierte Evange- list Jesum selbst von sich reden läſst, oder seine eigenen Gedanken über Jesum ausdrückt; namentlich, wie auch 18) s. Bertholdt, Christologia Judaeorum Jesu apostolorumque aetate, §§. 23—25. 19) Probabilia S. 41. 20) s. Gfrörer, Philo und die alexandr. Theosophie, 2. Thl. von S. 280 an.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/365
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/365>, abgerufen am 25.11.2024.