Über die Ursache seiner Gefangennehmung und Hin- richtung aber findet zwischen Josephus und den Evange- listen eine Abweichung statt. Während nämlich nach den lezteren der Tadel, welchen Johannes über die Verheura- thung des Herodes mit der Frau seines (Halb-) Bruders 2) ausgesprochen hatte, die Veranlassung seiner Gefangenneh- mung war, und die rachsüchtige List der Herodias während eines Hoffestes die Hinrichtung herbeiführte: giebt Jose- phus die Furcht vor Unruhen, welche Herodes von dem bedeutenden Anhang des Täufers besorgt habe, als Grund der Verhaftung und des Mordes an 3). Hält man diese beiden Relationen, wie sie sich zunächst geben, für ver- schiedene und unvereinbare, so könnte man zu zweifeln veranlasst sein, welche von beiden den Vorzug verdienen möge? Hier ist es nämlich keineswegs so, wie z. B. bei dem Bericht vom Tode des Herodes Agrippa, A. G. 12, 23., dass die N. T.liche Erzählung durch Einmischung einer über- natürlichen Ursache, wo Josephus nur eine natürliche hat, sich zum Voraus als die unhistorische zeigte; sondern man könnte hier umgekehrt der evangelischen Erzählung, we- gen der ausgezeichneten Individualität ihrer Züge, vor der des Josephus den Vorzug geben 4). Doch muss man auf der andern Seite auch erwägen, dass eben solche Indivi- dualisirung und namentlich die Verwandlung eines politi- schen Grundes in einen persönlichen, einer Staatsaktion in eine Familienscene, ganz im Geiste der Sage ist, wie sie sich unter dem im häuslichen mehr als im politischen Krei- se einheimischen Volke zu bilden pflegt. Indessen ist es
2) Diesen früheren Gemahl der Herodias nennen die Evangelien Philippus, Josephus Herodes. Von dem Tetrarchen Philip- pus war er verschieden. s. Paulus z. d. St. und Winer, b. Realwörterb. d. A. Herodias.
3) a. a. O.
4)Hase, Leben Jesu, §. 79.
Erstes Kapitel. §. 44.
Über die Ursache seiner Gefangennehmung und Hin- richtung aber findet zwischen Josephus und den Evange- listen eine Abweichung statt. Während nämlich nach den lezteren der Tadel, welchen Johannes über die Verheura- thung des Herodes mit der Frau seines (Halb-) Bruders 2) ausgesprochen hatte, die Veranlassung seiner Gefangenneh- mung war, und die rachsüchtige List der Herodias während eines Hoffestes die Hinrichtung herbeiführte: giebt Jose- phus die Furcht vor Unruhen, welche Herodes von dem bedeutenden Anhang des Täufers besorgt habe, als Grund der Verhaftung und des Mordes an 3). Hält man diese beiden Relationen, wie sie sich zunächst geben, für ver- schiedene und unvereinbare, so könnte man zu zweifeln veranlaſst sein, welche von beiden den Vorzug verdienen möge? Hier ist es nämlich keineswegs so, wie z. B. bei dem Bericht vom Tode des Herodes Agrippa, A. G. 12, 23., daſs die N. T.liche Erzählung durch Einmischung einer über- natürlichen Ursache, wo Josephus nur eine natürliche hat, sich zum Voraus als die unhistorische zeigte; sondern man könnte hier umgekehrt der evangelischen Erzählung, we- gen der ausgezeichneten Individualität ihrer Züge, vor der des Josephus den Vorzug geben 4). Doch muſs man auf der andern Seite auch erwägen, daſs eben solche Indivi- dualisirung und namentlich die Verwandlung eines politi- schen Grundes in einen persönlichen, einer Staatsaktion in eine Familienscene, ganz im Geiste der Sage ist, wie sie sich unter dem im häuslichen mehr als im politischen Krei- se einheimischen Volke zu bilden pflegt. Indessen ist es
2) Diesen früheren Gemahl der Herodias nennen die Evangelien Philippus, Josephus Herodes. Von dem Tetrarchen Philip- pus war er verschieden. s. Paulus z. d. St. und Winer, b. Realwörterb. d. A. Herodias.
3) a. a. O.
4)Hase, Leben Jesu, §. 79.
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Erstes Kapitel. §. 44.
Über die Ursache seiner Gefangennehmung und Hin-
richtung aber findet zwischen Josephus und den Evange-
listen eine Abweichung statt. Während nämlich nach den
lezteren der Tadel, welchen Johannes über die Verheura-
thung des Herodes mit der Frau seines (Halb-) Bruders 2)
ausgesprochen hatte, die Veranlassung seiner Gefangenneh-
mung war, und die rachsüchtige List der Herodias während
eines Hoffestes die Hinrichtung herbeiführte: giebt Jose-
phus die Furcht vor Unruhen, welche Herodes von dem
bedeutenden Anhang des Täufers besorgt habe, als Grund
der Verhaftung und des Mordes an 3). Hält man diese
beiden Relationen, wie sie sich zunächst geben, für ver-
schiedene und unvereinbare, so könnte man zu zweifeln
veranlaſst sein, welche von beiden den Vorzug verdienen
möge? Hier ist es nämlich keineswegs so, wie z. B. bei
dem Bericht vom Tode des Herodes Agrippa, A. G. 12, 23.,
daſs die N. T.liche Erzählung durch Einmischung einer über-
natürlichen Ursache, wo Josephus nur eine natürliche hat,
sich zum Voraus als die unhistorische zeigte; sondern man
könnte hier umgekehrt der evangelischen Erzählung, we-
gen der ausgezeichneten Individualität ihrer Züge, vor der
des Josephus den Vorzug geben 4). Doch muſs man auf
der andern Seite auch erwägen, daſs eben solche Indivi-
dualisirung und namentlich die Verwandlung eines politi-
schen Grundes in einen persönlichen, einer Staatsaktion in
eine Familienscene, ganz im Geiste der Sage ist, wie sie
sich unter dem im häuslichen mehr als im politischen Krei-
se einheimischen Volke zu bilden pflegt. Indessen ist es
2) Diesen früheren Gemahl der Herodias nennen die Evangelien
Philippus, Josephus Herodes. Von dem Tetrarchen Philip-
pus war er verschieden. s. Paulus z. d. St. und Winer, b.
Realwörterb. d. A. Herodias.
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4) Hase, Leben Jesu, §. 79.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/389>, abgerufen am 24.11.2024.
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