deutet worden sei, sondern schon Johannes versteht es ei- gentlich, und da dieser die richtige Darstellung haben soll: so müsste der Täufer selbst schon von einer sichtbaren, taubenähnlichen Erscheinung gesprochen haben, womit alle Schwierigkeiten der Erklärung dieses Punktes wiederkehren.
Wie also in Bezug auf die Taube der angebliche Un- terschied zwischen den drei ersten und dem vierten Evan- gelium sich gar nicht findet: so ist hinsichtlich der Stimme dieser Unterschied so gross, dass man nicht begreift, wie aus der einen Darstellung die andre geworden sein kann. Denn hier soll nach Usteri die Erklärung, welche Johan- nes in Folge jener Erscheinung über Jesum abgab: oti outos esin o uios tou theou (Joh. 1, 34.) in der fortgehenden Überlieferung zu einer unmittelbaren himmlischen Erklä- rung geworden sein, wie wir sie bei Matthäus in der Form: ou`~tos esin o uios mou o agapetos en o eudokesa, lesen. Da zu einer solchen Umwandlung, wenn sie annehmlich sein soll, auch irgend eine Veranlassung nachgewiesen werden muss: so bietet sich Jes. 42, 1. dar, wo Jehova von sei- nem `ebed aussagt: hen `ab@d'iy et@mak@b'v b@khiyriy' rats@tah nap@shiy wovon die ausser Klammer befindlichen Worte durch die Worte der Himmelsstimme bei Matthäus fast wörtlich über- setzt sind. Wurde nun diese Stelle, wie wir aus Matth. 12, 17 ff. sehen, auch sonst auf Jesus als den Messias an- gewendet: so lag in ihr, indem doch hier wie bei der Tau- fe Gott selbst der Redende ist, nähere Veranlassung, eine Himmelsstimme zu fingiren, als in dem bezeichneten Aus- spruch des Johannes. Indem wir also, um die Entstehung der Sage von einer Gottesstimme zu erklären, den Missver- stand der Rede des Täufers nicht brauchen; zur Ableitung der Sage von der Taube aber jene Rede nicht brauchen können: so müssen wir die Quelle unsrer Erzählung nicht in einem der evangelischen Berichte, sondern ausserhalb des N. T.s im Gebiete der auf das A. T. gegründeten Zeit-
Zweites Kapitel. §. 47.
deutet worden sei, sondern schon Johannes versteht es ei- gentlich, und da dieser die richtige Darstellung haben soll: so müſste der Täufer selbst schon von einer sichtbaren, taubenähnlichen Erscheinung gesprochen haben, womit alle Schwierigkeiten der Erklärung dieses Punktes wiederkehren.
Wie also in Bezug auf die Taube der angebliche Un- terschied zwischen den drei ersten und dem vierten Evan- gelium sich gar nicht findet: so ist hinsichtlich der Stimme dieser Unterschied so groſs, daſs man nicht begreift, wie aus der einen Darstellung die andre geworden sein kann. Denn hier soll nach Usteri die Erklärung, welche Johan- nes in Folge jener Erscheinung über Jesum abgab: ὅτι οὖτός ἐςιν ὁ υἱὸς τοῦ ϑεοῦ (Joh. 1, 34.) in der fortgehenden Überlieferung zu einer unmittelbaren himmlischen Erklä- rung geworden sein, wie wir sie bei Matthäus in der Form: ου῟τός ἐςιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητὸς ἐν ᾧ εὐδόκησα, lesen. Da zu einer solchen Umwandlung, wenn sie annehmlich sein soll, auch irgend eine Veranlassung nachgewiesen werden muſs: so bietet sich Jes. 42, 1. dar, wo Jehova von sei- nem עֶבֶד aussagt: הֵן עַבְדִּי אֶתְמָךְ־בּוֺ בְחִירִיּ רָֽצְתָה נַפְשִׁי wovon die ausser Klammer befindlichen Worte durch die Worte der Himmelsstimme bei Matthäus fast wörtlich über- setzt sind. Wurde nun diese Stelle, wie wir aus Matth. 12, 17 ff. sehen, auch sonst auf Jesus als den Messias an- gewendet: so lag in ihr, indem doch hier wie bei der Tau- fe Gott selbst der Redende ist, nähere Veranlassung, eine Himmelsstimme zu fingiren, als in dem bezeichneten Aus- spruch des Johannes. Indem wir also, um die Entstehung der Sage von einer Gottesstimme zu erklären, den Miſsver- stand der Rede des Täufers nicht brauchen; zur Ableitung der Sage von der Taube aber jene Rede nicht brauchen können: so müssen wir die Quelle unsrer Erzählung nicht in einem der evangelischen Berichte, sondern ausserhalb des N. T.s im Gebiete der auf das A. T. gegründeten Zeit-
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Zweites Kapitel. §. 47.
deutet worden sei, sondern schon Johannes versteht es ei-
gentlich, und da dieser die richtige Darstellung haben soll:
so müſste der Täufer selbst schon von einer sichtbaren,
taubenähnlichen Erscheinung gesprochen haben, womit alle
Schwierigkeiten der Erklärung dieses Punktes wiederkehren.
Wie also in Bezug auf die Taube der angebliche Un-
terschied zwischen den drei ersten und dem vierten Evan-
gelium sich gar nicht findet: so ist hinsichtlich der Stimme
dieser Unterschied so groſs, daſs man nicht begreift, wie
aus der einen Darstellung die andre geworden sein kann.
Denn hier soll nach Usteri die Erklärung, welche Johan-
nes in Folge jener Erscheinung über Jesum abgab: ὅτι
οὖτός ἐςιν ὁ υἱὸς τοῦ ϑεοῦ (Joh. 1, 34.) in der fortgehenden
Überlieferung zu einer unmittelbaren himmlischen Erklä-
rung geworden sein, wie wir sie bei Matthäus in der Form:
ου῟τός ἐςιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητὸς ἐν ᾧ εὐδόκησα, lesen. Da
zu einer solchen Umwandlung, wenn sie annehmlich sein
soll, auch irgend eine Veranlassung nachgewiesen werden
muſs: so bietet sich Jes. 42, 1. dar, wo Jehova von sei-
nem עֶבֶד aussagt: הֵן עַבְדִּי אֶתְמָךְ־בּוֺ בְחִירִיּ רָֽצְתָה נַפְשִׁי
wovon die ausser Klammer befindlichen Worte durch die
Worte der Himmelsstimme bei Matthäus fast wörtlich über-
setzt sind. Wurde nun diese Stelle, wie wir aus Matth.
12, 17 ff. sehen, auch sonst auf Jesus als den Messias an-
gewendet: so lag in ihr, indem doch hier wie bei der Tau-
fe Gott selbst der Redende ist, nähere Veranlassung, eine
Himmelsstimme zu fingiren, als in dem bezeichneten Aus-
spruch des Johannes. Indem wir also, um die Entstehung
der Sage von einer Gottesstimme zu erklären, den Miſsver-
stand der Rede des Täufers nicht brauchen; zur Ableitung
der Sage von der Taube aber jene Rede nicht brauchen
können: so müssen wir die Quelle unsrer Erzählung nicht
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/407>, abgerufen am 22.11.2024.
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