Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweites Kapitel. §. 47. dem, welchen unsere Evangelien haben 6), und Klemens vonAlexandrien 7) und Augustin 8) scheinen selbst in Exempla- ren von diesen jene Worte gelesen zu haben, welche bei Lukas wenigstens auch noch einige unsrer Codices an die Hand geben 9). Hier waren also in der Himmelsstimme nicht Worte aus der angeführten jesaianischen Stelle, son- dern aus Ps. 2, 7., einer Stelle, welche von den jüdischen Erklärern auf den Messias gedeutet 10), auch Hebr. 1, 5. auf Christum angewendet wird, und durch die Form einer unmittelbaren Anrede eine noch stärkere Veranlassung ent- hielt, sie als eine wirkliche, vom Himmel herab an den Mes- sias gerichtete Stimme aufzufassen. Waren nun ursprüng- lich vielleicht die Worte des Psalms der Himmelsstimme in den Mund gelegt, oder war auch nur, wie jedenfalls aus der zweiten Person: su ei, bei Markus und Lukas sich er- giebt, welche nur durch die Psalmstelle, nicht aber durch die jesaianische an die Hand gegeben war, neben dieser auch noch auf jene Rücksicht genommen: was bedürfen wir weiter Zeugniss, um in diesen, längst messianisch gedeu- teten und bald auch als himmlische Anrede an den auf Er- den gegenwärtigen Messias gefassten Stellen die Quelle un- serer Erzählung von der himmlischen Stimme bei Jesu Tau- fe zu finden? Denn dass sie gerade mit der Taufe verbun- den wurde, ergab sich von selbst, sobald diese einmal als Einweihung Jesu zu seinem Amte aufgefasst war. Was nun das Herabkommen des pneuma in Gestalt ei- 6) Haeres. 30, 13. 7) Paedagog. 1, 6. 8) De consens. Evangg. 2. 14. 9) s. Wetstein z. d. St. des Lukas und de Wette Einl. in das N. T. S. 100. 10) s. Rosenmüller's Schol. in Psalm. zu Ps. 2. Das Leben Jesu I. Band. 25
Zweites Kapitel. §. 47. dem, welchen unsere Evangelien haben 6), und Klemens vonAlexandrien 7) und Augustin 8) scheinen selbst in Exempla- ren von diesen jene Worte gelesen zu haben, welche bei Lukas wenigstens auch noch einige unsrer Codices an die Hand geben 9). Hier waren also in der Himmelsstimme nicht Worte aus der angeführten jesaianischen Stelle, son- dern aus Ps. 2, 7., einer Stelle, welche von den jüdischen Erklärern auf den Messias gedeutet 10), auch Hebr. 1, 5. auf Christum angewendet wird, und durch die Form einer unmittelbaren Anrede eine noch stärkere Veranlassung ent- hielt, sie als eine wirkliche, vom Himmel herab an den Mes- sias gerichtete Stimme aufzufassen. Waren nun ursprüng- lich vielleicht die Worte des Psalms der Himmelsstimme in den Mund gelegt, oder war auch nur, wie jedenfalls aus der zweiten Person: συ εἶ, bei Markus und Lukas sich er- giebt, welche nur durch die Psalmstelle, nicht aber durch die jesaianische an die Hand gegeben war, neben dieser auch noch auf jene Rücksicht genommen: was bedürfen wir weiter Zeugniſs, um in diesen, längst messianisch gedeu- teten und bald auch als himmlische Anrede an den auf Er- den gegenwärtigen Messias gefaſsten Stellen die Quelle un- serer Erzählung von der himmlischen Stimme bei Jesu Tau- fe zu finden? Denn daſs sie gerade mit der Taufe verbun- den wurde, ergab sich von selbst, sobald diese einmal als Einweihung Jesu zu seinem Amte aufgefaſst war. Was nun das Herabkommen des πνεῦμα in Gestalt ei- 6) Haeres. 30, 13. 7) Paedagog. 1, 6. 8) De consens. Evangg. 2. 14. 9) s. Wetstein z. d. St. des Lukas und de Wette Einl. in das N. T. S. 100. 10) s. Rosenmüller's Schol. in Psalm. zu Ps. 2. Das Leben Jesu I. Band. 25
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Zweites Kapitel. §. 47.
dem, welchen unsere Evangelien haben 6), und Klemens von
Alexandrien 7) und Augustin 8) scheinen selbst in Exempla-
ren von diesen jene Worte gelesen zu haben, welche bei
Lukas wenigstens auch noch einige unsrer Codices an die
Hand geben 9). Hier waren also in der Himmelsstimme
nicht Worte aus der angeführten jesaianischen Stelle, son-
dern aus Ps. 2, 7., einer Stelle, welche von den jüdischen
Erklärern auf den Messias gedeutet 10), auch Hebr. 1, 5.
auf Christum angewendet wird, und durch die Form einer
unmittelbaren Anrede eine noch stärkere Veranlassung ent-
hielt, sie als eine wirkliche, vom Himmel herab an den Mes-
sias gerichtete Stimme aufzufassen. Waren nun ursprüng-
lich vielleicht die Worte des Psalms der Himmelsstimme
in den Mund gelegt, oder war auch nur, wie jedenfalls aus
der zweiten Person: συ εἶ, bei Markus und Lukas sich er-
giebt, welche nur durch die Psalmstelle, nicht aber durch
die jesaianische an die Hand gegeben war, neben dieser
auch noch auf jene Rücksicht genommen: was bedürfen wir
weiter Zeugniſs, um in diesen, längst messianisch gedeu-
teten und bald auch als himmlische Anrede an den auf Er-
den gegenwärtigen Messias gefaſsten Stellen die Quelle un-
serer Erzählung von der himmlischen Stimme bei Jesu Tau-
fe zu finden? Denn daſs sie gerade mit der Taufe verbun-
den wurde, ergab sich von selbst, sobald diese einmal als
Einweihung Jesu zu seinem Amte aufgefaſst war.
Was nun das Herabkommen des πνεῦμα in Gestalt ei-
ner περιςερα betrifft, so müssen wir das Herabsteigen des
Geistes und die Gestalt der Taube trennen und jedes be-
sonders betrachten. Daſs der göttliche Geist in besonde-
6) Haeres. 30, 13.
7) Paedagog. 1, 6.
8) De consens. Evangg. 2. 14.
9) s. Wetstein z. d. St. des Lukas und de Wette Einl. in das
N. T. S. 100.
10) s. Rosenmüller's Schol. in Psalm. zu Ps. 2.
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