Seite zeigt, dass die Vorstellung eines Wesens, wie der Teu- fel eines sein müsste, aus Widersprüchen zusammengesezt ist, auf der andern bemerklich macht, dass, wie die En- gelvorstellung aus beschränkter Naturbeobachtung, so sie aus beschränkter Selbstbeobachtung entstanden, mit den Fortschritten von dieser immer mehr in den Hintergrund treten und die Berufung auf den Teufel hinfort als Aus- flucht der Unwissenheit oder Trägheit gelten muss 9). Aber auch die Existenz des Teufels zugegeben, so hat doch ein persönliches und sichtbares Erscheinen desselben, wie es hier vorausgesezt wird, noch seine besonderen Schwierig- keiten. Selbst Olshausen erinnert, dass ein solches sonst weder im alten noch im neuen Testament vorkomme 10). Ferner, wenn doch der Teufel, um hoffen zu können, Je- sum zu täuschen, nicht in seiner eigenthümlichen Gestalt, sondern nur entweder als Mensch, oder als guter Engel erscheinen durfte: so fragt man mit Recht, ob denn die Stelle 2. Kor. 11, 14, nach welcher o satanas metaskhema- tizetai eis aggelon photos, buchstäblich zu verstehen sei, und wenn diess, ob diese abenteuerliche Vorstellung in- nere Wahrheit haben könne? 11)
Was nun die Versuchungen betrifft, so hat im Allge- meinen schon Julian gefragt, wie denn der Teufel habe hoffen können, Jesum zu verführen, da er doch seine hö- here Natur gekannt haben müsse 12)? und Theodors von Mopsvestia Antwort darauf, dass dem Teufel Jesu Gött- lichkeit damals noch unbekannt gewesen sei, widerlegt sich leicht durch die Bemerkung, wenn er nicht damals schon in Jesu ein höheres Wesen gesehen hätte, würde er sich schwerlich die Mühe gegeben haben, ihm ausnahmsweise
9) Glaubenslehre 1, §§. 44. 45. der zweiten Ausg.
10) Bibl. Comm. 1, S. 183.
11) s. Schmidt, exeg. Beiträge, 1, S. 279. Kuinöl, in Matth. S. 76.
12) In einem Fragment Theodors von Mopsvestia, in Münter's Fragm. Patr. graec. Fasc. 1, S. 99 f.
Zweites Kapitel. §. 50.
Seite zeigt, daſs die Vorstellung eines Wesens, wie der Teu- fel eines sein müſste, aus Widersprüchen zusammengesezt ist, auf der andern bemerklich macht, daſs, wie die En- gelvorstellung aus beschränkter Naturbeobachtung, so sie aus beschränkter Selbstbeobachtung entstanden, mit den Fortschritten von dieser immer mehr in den Hintergrund treten und die Berufung auf den Teufel hinfort als Aus- flucht der Unwissenheit oder Trägheit gelten muſs 9). Aber auch die Existenz des Teufels zugegeben, so hat doch ein persönliches und sichtbares Erscheinen desselben, wie es hier vorausgesezt wird, noch seine besonderen Schwierig- keiten. Selbst Olshausen erinnert, daſs ein solches sonst weder im alten noch im neuen Testament vorkomme 10). Ferner, wenn doch der Teufel, um hoffen zu können, Je- sum zu täuschen, nicht in seiner eigenthümlichen Gestalt, sondern nur entweder als Mensch, oder als guter Engel erscheinen durfte: so fragt man mit Recht, ob denn die Stelle 2. Kor. 11, 14, nach welcher ὁ σατανᾶς μετασχημα- τὶζεται εἰς ἂγγελον φωτὸς, buchstäblich zu verstehen sei, und wenn dieſs, ob diese abenteuerliche Vorstellung in- nere Wahrheit haben könne? 11)
Was nun die Versuchungen betrifft, so hat im Allge- meinen schon Julian gefragt, wie denn der Teufel habe hoffen können, Jesum zu verführen, da er doch seine hö- here Natur gekannt haben müsse 12)? und Theodors von Mopsvestia Antwort darauf, daſs dem Teufel Jesu Gött- lichkeit damals noch unbekannt gewesen sei, widerlegt sich leicht durch die Bemerkung, wenn er nicht damals schon in Jesu ein höheres Wesen gesehen hätte, würde er sich schwerlich die Mühe gegeben haben, ihm ausnahmsweise
9) Glaubenslehre 1, §§. 44. 45. der zweiten Ausg.
10) Bibl. Comm. 1, S. 183.
11) s. Schmidt, exeg. Beiträge, 1, S. 279. Kuinöl, in Matth. S. 76.
12) In einem Fragment Theodors von Mopsvestia, in Münter's Fragm. Patr. graec. Fasc. 1, S. 99 f.
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Zweites Kapitel. §. 50.
Seite zeigt, daſs die Vorstellung eines Wesens, wie der Teu-
fel eines sein müſste, aus Widersprüchen zusammengesezt
ist, auf der andern bemerklich macht, daſs, wie die En-
gelvorstellung aus beschränkter Naturbeobachtung, so sie
aus beschränkter Selbstbeobachtung entstanden, mit den
Fortschritten von dieser immer mehr in den Hintergrund
treten und die Berufung auf den Teufel hinfort als Aus-
flucht der Unwissenheit oder Trägheit gelten muſs 9). Aber
auch die Existenz des Teufels zugegeben, so hat doch ein
persönliches und sichtbares Erscheinen desselben, wie es
hier vorausgesezt wird, noch seine besonderen Schwierig-
keiten. Selbst Olshausen erinnert, daſs ein solches sonst
weder im alten noch im neuen Testament vorkomme 10).
Ferner, wenn doch der Teufel, um hoffen zu können, Je-
sum zu täuschen, nicht in seiner eigenthümlichen Gestalt,
sondern nur entweder als Mensch, oder als guter Engel
erscheinen durfte: so fragt man mit Recht, ob denn die
Stelle 2. Kor. 11, 14, nach welcher ὁ σατανᾶς μετασχημα-
τὶζεται εἰς ἂγγελον φωτὸς, buchstäblich zu verstehen sei,
und wenn dieſs, ob diese abenteuerliche Vorstellung in-
nere Wahrheit haben könne? 11)
Was nun die Versuchungen betrifft, so hat im Allge-
meinen schon Julian gefragt, wie denn der Teufel habe
hoffen können, Jesum zu verführen, da er doch seine hö-
here Natur gekannt haben müsse 12)? und Theodors von
Mopsvestia Antwort darauf, daſs dem Teufel Jesu Gött-
lichkeit damals noch unbekannt gewesen sei, widerlegt sich
leicht durch die Bemerkung, wenn er nicht damals schon
in Jesu ein höheres Wesen gesehen hätte, würde er sich
schwerlich die Mühe gegeben haben, ihm ausnahmsweise
9) Glaubenslehre 1, §§. 44. 45. der zweiten Ausg.
10) Bibl. Comm. 1, S. 183.
11) s. Schmidt, exeg. Beiträge, 1, S. 279. Kuinöl, in Matth. S. 76.
12) In einem Fragment Theodors von Mopsvestia, in Münter's
Fragm. Patr. graec. Fasc. 1, S. 99 f.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/431>, abgerufen am 16.07.2024.
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