Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. nigen zufolge, nach welchen die Versuchungsgeschichte vonihm als Parabel erzählt, von den Jüngern dagegen geschicht- lich verstanden worden ist. Dabei wird meistens das Be- denkliche, dass ein wirkliches inneres Erlebniss Jesu zum Grunde gelegen, fallen gelassen: nicht Jesus selbst soll sol- che Versuchungen durchlebt, sondern nur seine Jünger vor denselben zu verwahren beabsichtigt haben, indem er ih- nen, gleichsam als ein Compendium messianischer und apo- stolischer Weisheit, die drei Maximen einprägen wollte: 1) kein Wunder zu thun zu eigenem Vortheil, selbst un- ter den dringendsten Umständen; 2) nie in Hoffnung auf ausserordentlichen göttlichen Beistand etwas Abenteuerli- ches zu unternehmen; 3) nie, auch wenn der grösste Vor- theil dadurch zu erreichen wäre, sich in Gemeinschaft mit dem Bösen einzulassen 16). -- Längst hat man gegen diese Auffassung bemerkt, dass die Erzählung nicht leicht als Pa- rabel zu erkennen, und die Belehrung schwer herauszufin- den gewesen wäre 17). Gewiss wäre, was das Leztere be- trifft, namentlich die zweite Versuchung ein wenig passend gewähltes Bild 18); doch die erstere Bemerkung bleibt die Hauptsache. Warum diese Erzählung so gar nicht das Ge- präge einer Parabel trage, das ist neuerlich dahin bestimmt worden, eine Parabel könne bei der ihr wesentlichen ge- schichtlichen Form nur dadurch sich von wirklicher Ge- schichte unterscheiden, dass die in derselben handelnden Personen sich sogleich als fingirte ergeben 19). Diess ist aber 16) J. E. C. Schmidt, in seiner Bibliothek, 1, 1, S. 60 f.; Schlei- ermacher, über den Lukas, 8. 54 f.; Usteri, über den Täu- fer Johannes, die Taufe und Versuchung Christi, in Ull- mann's und Umbreit's Studien, 2, 3, S. 456 ff. 17) R. Ch. L. Schmidt, exeg. Beiträge, 1, S. 339. 18) Usteri, Beitrag zur Erklärung der Versuchungsgeschichte, Studien, 1832, 4, S. 780. 19) Hasert, Bemerkungen über die Ansichten Ullmann's und Uste-
ri's von der Versuchungsgesch., Studien, 3, 1, S. 74 f. Zweiter Abschnitt. nigen zufolge, nach welchen die Versuchungsgeschichte vonihm als Parabel erzählt, von den Jüngern dagegen geschicht- lich verstanden worden ist. Dabei wird meistens das Be- denkliche, daſs ein wirkliches inneres Erlebniſs Jesu zum Grunde gelegen, fallen gelassen: nicht Jesus selbst soll sol- che Versuchungen durchlebt, sondern nur seine Jünger vor denselben zu verwahren beabsichtigt haben, indem er ih- nen, gleichsam als ein Compendium messianischer und apo- stolischer Weisheit, die drei Maximen einprägen wollte: 1) kein Wunder zu thun zu eigenem Vortheil, selbst un- ter den dringendsten Umständen; 2) nie in Hoffnung auf ausserordentlichen göttlichen Beistand etwas Abenteuerli- ches zu unternehmen; 3) nie, auch wenn der gröſste Vor- theil dadurch zu erreichen wäre, sich in Gemeinschaft mit dem Bösen einzulassen 16). — Längst hat man gegen diese Auffassung bemerkt, daſs die Erzählung nicht leicht als Pa- rabel zu erkennen, und die Belehrung schwer herauszufin- den gewesen wäre 17). Gewiſs wäre, was das Leztere be- trifft, namentlich die zweite Versuchung ein wenig passend gewähltes Bild 18); doch die erstere Bemerkung bleibt die Hauptsache. Warum diese Erzählung so gar nicht das Ge- präge einer Parabel trage, das ist neuerlich dahin bestimmt worden, eine Parabel könne bei der ihr wesentlichen ge- schichtlichen Form nur dadurch sich von wirklicher Ge- schichte unterscheiden, daſs die in derselben handelnden Personen sich sogleich als fingirte ergeben 19). Dieſs ist aber 16) J. E. C. Schmidt, in seiner Bibliothek, 1, 1, S. 60 f.; Schlei- ermacher, über den Lukas, 8. 54 f.; Usteri, über den Täu- fer Johannes, die Taufe und Versuchung Christi, in Ull- mann's und Umbreit's Studien, 2, 3, S. 456 ff. 17) R. Ch. L. Schmidt, exeg. Beiträge, 1, S. 339. 18) Usteri, Beitrag zur Erklärung der Versuchungsgeschichte, Studien, 1832, 4, S. 780. 19) Hasert, Bemerkungen über die Ansichten Ullmann's und Uste-
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Zweiter Abschnitt.
nigen zufolge, nach welchen die Versuchungsgeschichte von
ihm als Parabel erzählt, von den Jüngern dagegen geschicht-
lich verstanden worden ist. Dabei wird meistens das Be-
denkliche, daſs ein wirkliches inneres Erlebniſs Jesu zum
Grunde gelegen, fallen gelassen: nicht Jesus selbst soll sol-
che Versuchungen durchlebt, sondern nur seine Jünger vor
denselben zu verwahren beabsichtigt haben, indem er ih-
nen, gleichsam als ein Compendium messianischer und apo-
stolischer Weisheit, die drei Maximen einprägen wollte:
1) kein Wunder zu thun zu eigenem Vortheil, selbst un-
ter den dringendsten Umständen; 2) nie in Hoffnung auf
ausserordentlichen göttlichen Beistand etwas Abenteuerli-
ches zu unternehmen; 3) nie, auch wenn der gröſste Vor-
theil dadurch zu erreichen wäre, sich in Gemeinschaft mit
dem Bösen einzulassen 16). — Längst hat man gegen diese
Auffassung bemerkt, daſs die Erzählung nicht leicht als Pa-
rabel zu erkennen, und die Belehrung schwer herauszufin-
den gewesen wäre 17). Gewiſs wäre, was das Leztere be-
trifft, namentlich die zweite Versuchung ein wenig passend
gewähltes Bild 18); doch die erstere Bemerkung bleibt die
Hauptsache. Warum diese Erzählung so gar nicht das Ge-
präge einer Parabel trage, das ist neuerlich dahin bestimmt
worden, eine Parabel könne bei der ihr wesentlichen ge-
schichtlichen Form nur dadurch sich von wirklicher Ge-
schichte unterscheiden, daſs die in derselben handelnden
Personen sich sogleich als fingirte ergeben 19). Dieſs ist aber
16) J. E. C. Schmidt, in seiner Bibliothek, 1, 1, S. 60 f.; Schlei-
ermacher, über den Lukas, 8. 54 f.; Usteri, über den Täu-
fer Johannes, die Taufe und Versuchung Christi, in Ull-
mann's und Umbreit's Studien, 2, 3, S. 456 ff.
17) R. Ch. L. Schmidt, exeg. Beiträge, 1, S. 339.
18) Usteri, Beitrag zur Erklärung der Versuchungsgeschichte,
Studien, 1832, 4, S. 780.
19) Hasert, Bemerkungen über die Ansichten Ullmann's und Uste-
ri's von der Versuchungsgesch., Studien, 3, 1, S. 74 f.
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