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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
ständig zusezt (Ephes. 6, 11. 1. Petr. 5, 8.). Indem die An-
griffe des Teufels auf die Frommen nichts Anders als Ver-
suche sind, ob er nicht den einen oder andern in seine
Gewalt bekommen, d. h. zum Sündigen bewegen könne
(Luc. 22, 31.), diese Probe aber nicht anders gemacht wer-
den kann, als durch mittelbares Veranlassen oder unmittel-
bares Eingeben böser, verführerischer Gedanken: so war
damit der Satan als Versucher, als o peirazon aufgefasst.
Mittelbar, durch Verhängung von Plagen und Unglück, sucht
er im Prolog des Hiob den Frommen von Gott abzuziehen;
als unmittelbare diabolische Einflüsterung aber wurde früh-
zeitig der verführerische Rathschlag aufgefasst, welchen
nach 1. Mos. 3. die Schlange den ersten Menschen gab
(Weish. 2, 24. Joh. 8, 44. Offenb. 12, 9.).

Der Begriff des Versuchens (nis'ah LXX: peirazein)
war dem älteren Hebraismus in Bezug auf Gott selbst ge-
läufig, welcher seine Lieblinge, wie Abraham (1. Mos. 22, 1.)
und das Volk Israel (2. Mos. 16, 4. u. sonst) auf die Probe
stellte, oder auch im gerechten Zorne die Menschen zu un-
heilbringenden Handlungen reizte (2. Sam. 24, 1.). Nach-
dem sich aber die Vorstellung des Satans ausgebildet hatte,
wurde dieselbe benüzt, um das Versuchen, welches, wie
man nachgerade zu bemerken anfieng, mit Gottes absoluter
Güte sich nicht vertrug ([s]. Jac. 1, 13.), Gott abzunehmen
und auf den Satan zu überwälzen. Daher ist es nun die-
ser, welcher bei Gott die Erlaubniss auswirkt, den Hiob
durch Leiden auf die gefährlichste Probe zu stellen; daher
ist der strafbare Gedanke Davids, das Volk zu zählen,
welcher im zweiten Buch Samuels noch vom Zorne Gottes
hergeleitet war, in der späteren Chronik (1 Chr. 22, 1.)
geradezu auf Rechnung des Teufels geschrieben, und selbst
die gutgemeinte Versuchung, welche der Genesis zufolge
Gott mit Abraham vornahm, als er die Opferung des Sol-
nes von ihm forderte, war nach späterer jüdischer Ansicht

Zweiter Abschnitt.
ständig zusezt (Ephes. 6, 11. 1. Petr. 5, 8.). Indem die An-
griffe des Teufels auf die Frommen nichts Anders als Ver-
suche sind, ob er nicht den einen oder andern in seine
Gewalt bekommen, d. h. zum Sündigen bewegen könne
(Luc. 22, 31.), diese Probe aber nicht anders gemacht wer-
den kann, als durch mittelbares Veranlassen oder unmittel-
bares Eingeben böser, verführerischer Gedanken: so war
damit der Satan als Versucher, als ὁ πειράζων aufgefaſst.
Mittelbar, durch Verhängung von Plagen und Unglück, sucht
er im Prolog des Hiob den Frommen von Gott abzuziehen;
als unmittelbare diabolische Einflüsterung aber wurde früh-
zeitig der verführerische Rathschlag aufgefaſst, welchen
nach 1. Mos. 3. die Schlange den ersten Menschen gab
(Weish. 2, 24. Joh. 8, 44. Offenb. 12, 9.).

Der Begriff des Versuchens (נִסָּה LXX: πειράζειν)
war dem älteren Hebraismus in Bezug auf Gott selbst ge-
läufig, welcher seine Lieblinge, wie Abraham (1. Mos. 22, 1.)
und das Volk Israël (2. Mos. 16, 4. u. sonst) auf die Probe
stellte, oder auch im gerechten Zorne die Menschen zu un-
heilbringenden Handlungen reizte (2. Sam. 24, 1.). Nach-
dem sich aber die Vorstellung des Satans ausgebildet hatte,
wurde dieselbe benüzt, um das Versuchen, welches, wie
man nachgerade zu bemerken anfieng, mit Gottes absoluter
Güte sich nicht vertrug ([s]. Jac. 1, 13.), Gott abzunehmen
und auf den Satan zu überwälzen. Daher ist es nun die-
ser, welcher bei Gott die Erlaubniſs auswirkt, den Hiob
durch Leiden auf die gefährlichste Probe zu stellen; daher
ist der strafbare Gedanke Davids, das Volk zu zählen,
welcher im zweiten Buch Samuels noch vom Zorne Gottes
hergeleitet war, in der späteren Chronik (1 Chr. 22, 1.)
geradezu auf Rechnung des Teufels geschrieben, und selbst
die gutgemeinte Versuchung, welche der Genesis zufolge
Gott mit Abraham vornahm, als er die Opferung des Sol-
nes von ihm forderte, war nach späterer jüdischer Ansicht

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[420/0444] Zweiter Abschnitt. ständig zusezt (Ephes. 6, 11. 1. Petr. 5, 8.). Indem die An- griffe des Teufels auf die Frommen nichts Anders als Ver- suche sind, ob er nicht den einen oder andern in seine Gewalt bekommen, d. h. zum Sündigen bewegen könne (Luc. 22, 31.), diese Probe aber nicht anders gemacht wer- den kann, als durch mittelbares Veranlassen oder unmittel- bares Eingeben böser, verführerischer Gedanken: so war damit der Satan als Versucher, als ὁ πειράζων aufgefaſst. Mittelbar, durch Verhängung von Plagen und Unglück, sucht er im Prolog des Hiob den Frommen von Gott abzuziehen; als unmittelbare diabolische Einflüsterung aber wurde früh- zeitig der verführerische Rathschlag aufgefaſst, welchen nach 1. Mos. 3. die Schlange den ersten Menschen gab (Weish. 2, 24. Joh. 8, 44. Offenb. 12, 9.). Der Begriff des Versuchens (נִסָּה LXX: πειράζειν) war dem älteren Hebraismus in Bezug auf Gott selbst ge- läufig, welcher seine Lieblinge, wie Abraham (1. Mos. 22, 1.) und das Volk Israël (2. Mos. 16, 4. u. sonst) auf die Probe stellte, oder auch im gerechten Zorne die Menschen zu un- heilbringenden Handlungen reizte (2. Sam. 24, 1.). Nach- dem sich aber die Vorstellung des Satans ausgebildet hatte, wurde dieselbe benüzt, um das Versuchen, welches, wie man nachgerade zu bemerken anfieng, mit Gottes absoluter Güte sich nicht vertrug (s. Jac. 1, 13.), Gott abzunehmen und auf den Satan zu überwälzen. Daher ist es nun die- ser, welcher bei Gott die Erlaubniſs auswirkt, den Hiob durch Leiden auf die gefährlichste Probe zu stellen; daher ist der strafbare Gedanke Davids, das Volk zu zählen, welcher im zweiten Buch Samuels noch vom Zorne Gottes hergeleitet war, in der späteren Chronik (1 Chr. 22, 1.) geradezu auf Rechnung des Teufels geschrieben, und selbst die gutgemeinte Versuchung, welche der Genesis zufolge Gott mit Abraham vornahm, als er die Opferung des Sol- nes von ihm forderte, war nach späterer jüdischer Ansicht

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/444>, abgerufen am 22.11.2024.