(6, 59.). Auch die vornehmsten Jünger lässt das johan- neische Evangelium nicht, wie die Synoptiker, aus Kaper- naum, sondern theils aus Kana (21, 2.), theils aus Bethsai- da sein (1, 45.). Der leztere Ort übrigens wird neben Chorazin auch von den Synoptikern als ein solcher erwähnt, an welchem Jesus vorzugsweise wirksam gewesen (Matth. 11, 21. Luc. 10, 13.).
Wie es gekommen sei, dass Jesus gerade Kapernaum zum Mittelpunkt seines galiläischen Aufenthalts machte, davon giebt Markus gar keine Rechenschaft, sondern lässt ihn nach seiner Rückkehr nach Galiläa und der Berufung der Fischerpaare ohne Weiteres dahin kommen (1, 21.). Matthäus (4, 13 ff.) giebt einen Grund an, aber einen wunderlichen, dass nämlich eine A. T.liche Weissa- gung (Jes. 8, 23. 9, 1.) dadurch habe erfüllt werden müs- sen; eine Begründung, welche nur zeigt, dass der Evange- list keine bessere zu geben wusste. Lukas glaubt den Grund in etwas Andrem gefunden zu haben, das sich weit eher hören lässt. Nach ihm nämlich nimmt Jesus nicht sogleich nach seiner Rückkehr von der Taufe in Kapernaum seinen Aufenthalt, sondern macht zuerst in Nazaret einen Versuch, nach dessen Fehlschlagen er sich erst nach Kapernaum wendet. Mit grösster Anschaulichkeit wird uns berichtet, wie Jesus am Sabbat in der Synagoge zu Nazaret aufge- treten sei, und eine Prophetenstelle auf eine Weise ausge- legt habe, welche allgemeine Bewunderung seines Vortrags, aber ebensobald auch hämische Rückblicke auf seine be- schränkten Familienverhältnisse hervorrief. Jesus hierauf habe die Unzufriedenheit der Nazaretaner darüber, dass er nicht auch bei ihnen wie in Kapernaum Wunder thue, auf die Geringschätzung, die jeder Prophet eben in seiner Heimath am meisten zu erfahren habe, zurückgeführt, und ihnen in A. T.lichen Beispielen gedroht, dass die gött- lichen Wohlthaten ihnen entzogen und Auswärtigen wer- den zugewendet werden. Hierüber ergrimmt, haben sie
Zweiter Abschnitt.
(6, 59.). Auch die vornehmsten Jünger läſst das johan- neische Evangelium nicht, wie die Synoptiker, aus Kaper- naum, sondern theils aus Kana (21, 2.), theils aus Bethsai- da sein (1, 45.). Der leztere Ort übrigens wird neben Chorazin auch von den Synoptikern als ein solcher erwähnt, an welchem Jesus vorzugsweise wirksam gewesen (Matth. 11, 21. Luc. 10, 13.).
Wie es gekommen sei, daſs Jesus gerade Kapernaum zum Mittelpunkt seines galiläischen Aufenthalts machte, davon giebt Markus gar keine Rechenschaft, sondern läſst ihn nach seiner Rückkehr nach Galiläa und der Berufung der Fischerpaare ohne Weiteres dahin kommen (1, 21.). Matthäus (4, 13 ff.) giebt einen Grund an, aber einen wunderlichen, daſs nämlich eine A. T.liche Weissa- gung (Jes. 8, 23. 9, 1.) dadurch habe erfüllt werden müs- sen; eine Begründung, welche nur zeigt, daſs der Evange- list keine bessere zu geben wuſste. Lukas glaubt den Grund in etwas Andrem gefunden zu haben, das sich weit eher hören läſst. Nach ihm nämlich nimmt Jesus nicht sogleich nach seiner Rückkehr von der Taufe in Kapernaum seinen Aufenthalt, sondern macht zuerst in Nazaret einen Versuch, nach dessen Fehlschlagen er sich erst nach Kapernaum wendet. Mit gröſster Anschaulichkeit wird uns berichtet, wie Jesus am Sabbat in der Synagoge zu Nazaret aufge- treten sei, und eine Prophetenstelle auf eine Weise ausge- legt habe, welche allgemeine Bewunderung seines Vortrags, aber ebensobald auch hämische Rückblicke auf seine be- schränkten Familienverhältnisse hervorrief. Jesus hierauf habe die Unzufriedenheit der Nazaretaner darüber, daſs er nicht auch bei ihnen wie in Kapernaum Wunder thue, auf die Geringschätzung, die jeder Prophet eben in seiner Heimath am meisten zu erfahren habe, zurückgeführt, und ihnen in A. T.lichen Beispielen gedroht, daſs die gött- lichen Wohlthaten ihnen entzogen und Auswärtigen wer- den zugewendet werden. Hierüber ergrimmt, haben sie
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Zweiter Abschnitt.
(6, 59.). Auch die vornehmsten Jünger läſst das johan-
neische Evangelium nicht, wie die Synoptiker, aus Kaper-
naum, sondern theils aus Kana (21, 2.), theils aus Bethsai-
da sein (1, 45.). Der leztere Ort übrigens wird neben
Chorazin auch von den Synoptikern als ein solcher erwähnt,
an welchem Jesus vorzugsweise wirksam gewesen (Matth.
11, 21. Luc. 10, 13.).
Wie es gekommen sei, daſs Jesus gerade Kapernaum
zum Mittelpunkt seines galiläischen Aufenthalts machte,
davon giebt Markus gar keine Rechenschaft, sondern läſst
ihn nach seiner Rückkehr nach Galiläa und der Berufung
der Fischerpaare ohne Weiteres dahin kommen (1, 21.).
Matthäus (4, 13 ff.) giebt einen Grund an, aber einen
wunderlichen, daſs nämlich eine A. T.liche Weissa-
gung (Jes. 8, 23. 9, 1.) dadurch habe erfüllt werden müs-
sen; eine Begründung, welche nur zeigt, daſs der Evange-
list keine bessere zu geben wuſste. Lukas glaubt den Grund
in etwas Andrem gefunden zu haben, das sich weit eher
hören läſst. Nach ihm nämlich nimmt Jesus nicht sogleich
nach seiner Rückkehr von der Taufe in Kapernaum seinen
Aufenthalt, sondern macht zuerst in Nazaret einen Versuch,
nach dessen Fehlschlagen er sich erst nach Kapernaum
wendet. Mit gröſster Anschaulichkeit wird uns berichtet,
wie Jesus am Sabbat in der Synagoge zu Nazaret aufge-
treten sei, und eine Prophetenstelle auf eine Weise ausge-
legt habe, welche allgemeine Bewunderung seines Vortrags,
aber ebensobald auch hämische Rückblicke auf seine be-
schränkten Familienverhältnisse hervorrief. Jesus hierauf
habe die Unzufriedenheit der Nazaretaner darüber, daſs er
nicht auch bei ihnen wie in Kapernaum Wunder thue,
auf die Geringschätzung, die jeder Prophet eben in seiner
Heimath am meisten zu erfahren habe, zurückgeführt,
und ihnen in A. T.lichen Beispielen gedroht, daſs die gött-
lichen Wohlthaten ihnen entzogen und Auswärtigen wer-
den zugewendet werden. Hierüber ergrimmt, haben sie
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/470>, abgerufen am 22.11.2024.
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