lassen bei der Taufe Jesu Dinge sich ereignen, welche ihn selbst, sofern er es nicht schon vorher war, und alle, wel- che den Erzählungen darüber Glauben schenkten, von se[i]- ner Messianität überzeugen mussten, und wie hierauf nach Johannes die ersten Jünger ihn gleich beim ersten Zusam- mentreffen in dieser Würde anerkennen (1, 42 ff.): so hat er nach Matthäus (7, 21 ff.) gleich zu Anfang seiner Lehr- thätigkeit in der Bergrede sich als Weltrichter, mithin als Messias dargestellt.
Bei näherer Betrachtung jedoch thut sich in dieser Hinsicht zwischen der synoptischen und johanneischen Dar- stellung eine merkliche Abweichung hervor. Während näm- lich bei Johannes Jesus seinem Bekenntniss, die Jünger und seine Anhänger unter dem Volk ihrer Überzeugung, dass er der Messias sei, durchweg getreu bleiben: so sind bei den Synoptikern gleichsam Rückfälle zu bemerken, in- dem bei den Jüngern und dem Volke die in früheren Fäl- len ausgesprochene Überzeugung von Jesu Messianität im Verlauf der Erzählung zuweilen wieder verschwindet, um einer weit niedrigeren Ansicht von ihm Platz zu machen, und auch Jesus selbst mit der früher unumwunden gege- benen Erklärung in späteren Fällen mehr zurückhält. Diess ist zwar besonders auffallend, wenn man die synoptische Darstellung gegen die johanneische hält; aber auch jene für sich betrachtet, ist das Ergebniss ein ähnliches. In ersterer Beziehung soll nach Johannes (6, 15.) das Volk in Folge der wunderbaren Speisung Lust bekommen haben, Jesum als (messianischen) König auszurufen: wogegen den ersten Evangelisten zufolge entweder um dieselbe Zeit (Luc. 9, 18 f.) oder noch etwas später (Matth. 16, 13 f. Marc. 8, 27 f.) die Jünger ihm als die Ansicht des Volks über ihn nur diess zu berichten wissen, dass die Einen ihn für den (wiedererstandenen) Täufer, die Anderen für Elias, die Dritten für Jeremias oder sonst einen Propheten halten. Indess mit Grund kann in Bezug auf jene johanneische
Zweiter Abschnitt.
lassen bei der Taufe Jesu Dinge sich ereignen, welche ihn selbst, sofern er es nicht schon vorher war, und alle, wel- che den Erzählungen darüber Glauben schenkten, von se[i]- ner Messianität überzeugen muſsten, und wie hierauf nach Johannes die ersten Jünger ihn gleich beim ersten Zusam- mentreffen in dieser Würde anerkennen (1, 42 ff.): so hat er nach Matthäus (7, 21 ff.) gleich zu Anfang seiner Lehr- thätigkeit in der Bergrede sich als Weltrichter, mithin als Messias dargestellt.
Bei näherer Betrachtung jedoch thut sich in dieser Hinsicht zwischen der synoptischen und johanneischen Dar- stellung eine merkliche Abweichung hervor. Während näm- lich bei Johannes Jesus seinem Bekenntniſs, die Jünger und seine Anhänger unter dem Volk ihrer Überzeugung, daſs er der Messias sei, durchweg getreu bleiben: so sind bei den Synoptikern gleichsam Rückfälle zu bemerken, in- dem bei den Jüngern und dem Volke die in früheren Fäl- len ausgesprochene Überzeugung von Jesu Messianität im Verlauf der Erzählung zuweilen wieder verschwindet, um einer weit niedrigeren Ansicht von ihm Platz zu machen, und auch Jesus selbst mit der früher unumwunden gege- benen Erklärung in späteren Fällen mehr zurückhält. Dieſs ist zwar besonders auffallend, wenn man die synoptische Darstellung gegen die johanneische hält; aber auch jene für sich betrachtet, ist das Ergebniſs ein ähnliches. In ersterer Beziehung soll nach Johannes (6, 15.) das Volk in Folge der wunderbaren Speisung Lust bekommen haben, Jesum als (messianischen) König auszurufen: wogegen den ersten Evangelisten zufolge entweder um dieselbe Zeit (Luc. 9, 18 f.) oder noch etwas später (Matth. 16, 13 f. Marc. 8, 27 f.) die Jünger ihm als die Ansicht des Volks über ihn nur dieſs zu berichten wissen, daſs die Einen ihn für den (wiedererstandenen) Täufer, die Anderen für Elias, die Dritten für Jeremias oder sonst einen Propheten halten. Indeſs mit Grund kann in Bezug auf jene johanneische
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Zweiter Abschnitt.
lassen bei der Taufe Jesu Dinge sich ereignen, welche ihn
selbst, sofern er es nicht schon vorher war, und alle, wel-
che den Erzählungen darüber Glauben schenkten, von sei-
ner Messianität überzeugen muſsten, und wie hierauf nach
Johannes die ersten Jünger ihn gleich beim ersten Zusam-
mentreffen in dieser Würde anerkennen (1, 42 ff.): so hat
er nach Matthäus (7, 21 ff.) gleich zu Anfang seiner Lehr-
thätigkeit in der Bergrede sich als Weltrichter, mithin als
Messias dargestellt.
Bei näherer Betrachtung jedoch thut sich in dieser
Hinsicht zwischen der synoptischen und johanneischen Dar-
stellung eine merkliche Abweichung hervor. Während näm-
lich bei Johannes Jesus seinem Bekenntniſs, die Jünger
und seine Anhänger unter dem Volk ihrer Überzeugung,
daſs er der Messias sei, durchweg getreu bleiben: so sind
bei den Synoptikern gleichsam Rückfälle zu bemerken, in-
dem bei den Jüngern und dem Volke die in früheren Fäl-
len ausgesprochene Überzeugung von Jesu Messianität im
Verlauf der Erzählung zuweilen wieder verschwindet, um
einer weit niedrigeren Ansicht von ihm Platz zu machen,
und auch Jesus selbst mit der früher unumwunden gege-
benen Erklärung in späteren Fällen mehr zurückhält. Dieſs
ist zwar besonders auffallend, wenn man die synoptische
Darstellung gegen die johanneische hält; aber auch jene
für sich betrachtet, ist das Ergebniſs ein ähnliches. In
ersterer Beziehung soll nach Johannes (6, 15.) das Volk in
Folge der wunderbaren Speisung Lust bekommen haben,
Jesum als (messianischen) König auszurufen: wogegen den
ersten Evangelisten zufolge entweder um dieselbe Zeit (Luc.
9, 18 f.) oder noch etwas später (Matth. 16, 13 f. Marc. 8,
27 f.) die Jünger ihm als die Ansicht des Volks über ihn
nur dieſs zu berichten wissen, daſs die Einen ihn für den
(wiedererstandenen) Täufer, die Anderen für Elias, die
Dritten für Jeremias oder sonst einen Propheten halten.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/494>, abgerufen am 22.11.2024.
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