Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. die dritte Abweichung, welche die eignen Erklärungen Jesuüber seine Messianität betrifft. Nach Johannes bestätigt er nicht blos gleich Anfangs die Huldigung, welche ihm Na- thanael als dem Sohn Gottes und König Israels darbringt, als den richtigen Glauben (piseueis) und bezeichnet sich so- fort durch den messianischen Titel, Menschensohn (1, 51 f.), sondern auch den Samaritern giebt er sich nach seinem er- sten Festbesuch (4, 26. 39 ff.) und den Juden auf dem zwei- ten (5, 46.) als den von Moses geweissagten Messias zu er- kennen. Nach den Synoptikern hingegen verbietet er nicht allein in dem angeführten und vielen andern Fällen die Ausbreitung der Überzeugung von seiner Messianität in weiteren Kreisen, sondern wenn er bei der bezeichneten Gelegenheit seine Jünger fragt: umeis de tina me legete einai (Matth. 16, 15.); so scheint er gewünscht zu haben, dass sie selbst aus seinen messiaswürdigen Reden und Thaten auf die Einsicht von seiner Messianität kommen möchten 2), und wenn er die von Petrus geäusserte Überzeugung einer Offenbarung des himmlischen Vaters zuschreibt, so kann 2) In dieser Hinsicht macht übrigens die Art und Weise Schwie-
rigkeit, wie Jesus nach Matthäus die Frage nach der Mei- nung der Leute von ihm ausgedrückt haben soll, nämlich: tina me legousin oi anthropoi einai, ton uion tou anthrope; d. h. welche Ansicht haben die Leute von mir, der ich der Messias bin? Diese vorgreifende Erklärung haben die Aus- leger auf verschiedene Weise zu entfernen gesucht. Die Ei- nen (z. B. Beza) fassen den Beisaz nicht als eigene Aussage Jesu über seine Person, sondern als nähere Bestimmung der Frage: wofür halten mich die Leute? etwa für den Mcs- sias? Allein diess wäre eine Suggestivfrage, welche, wie Fritzsche richtig bemerkt, ein Haschen nach dem Messiastitel verrathen würde, wie es Jesu sonst nicht eigen war. Daher wollen Andre (wie Paulus, Fritzsche) dem uios t. a. die allgemeine Bedeutung: dieser Mensch hier, geben, was je- doch nach dem früher Ausgeführten nicht angeht. So bleibt nichts übrig, als der Ausweg, welchen das Fehlen jener Wor- Zweiter Abschnitt. die dritte Abweichung, welche die eignen Erklärungen Jesuüber seine Messianität betrifft. Nach Johannes bestätigt er nicht blos gleich Anfangs die Huldigung, welche ihm Na- thanaël als dem Sohn Gottes und König Israëls darbringt, als den richtigen Glauben (πιςεύεις) und bezeichnet sich so- fort durch den messianischen Titel, Menschensohn (1, 51 f.), sondern auch den Samaritern giebt er sich nach seinem er- sten Festbesuch (4, 26. 39 ff.) und den Juden auf dem zwei- ten (5, 46.) als den von Moses geweissagten Messias zu er- kennen. Nach den Synoptikern hingegen verbietet er nicht allein in dem angeführten und vielen andern Fällen die Ausbreitung der Überzeugung von seiner Messianität in weiteren Kreisen, sondern wenn er bei der bezeichneten Gelegenheit seine Jünger fragt: ὑμεῖς δὲ τίνα με λέγετε εἶναι (Matth. 16, 15.); so scheint er gewünscht zu haben, daſs sie selbst aus seinen messiaswürdigen Reden und Thaten auf die Einsicht von seiner Messianität kommen möchten 2), und wenn er die von Petrus geäusserte Überzeugung einer Offenbarung des himmlischen Vaters zuschreibt, so kann 2) In dieser Hinsicht macht übrigens die Art und Weise Schwie-
rigkeit, wie Jesus nach Matthäus die Frage nach der Mei- nung der Leute von ihm ausgedrückt haben soll, nämlich: τίνα με λέγουσιν οἱ ἄνϑρωποι εἶναι, τὸν υἱὸν τοῦ ἀνϑρώπε; d. h. welche Ansicht haben die Leute von mir, der ich der Messias bin? Diese vorgreifende Erklärung haben die Aus- leger auf verschiedene Weise zu entfernen gesucht. Die Ei- nen (z. B. Beza) fassen den Beisaz nicht als eigene Aussage Jesu über seine Person, sondern als nähere Bestimmung der Frage: wofür halten mich die Leute? etwa für den Mcs- sias? Allein diess wäre eine Suggestivfrage, welche, wie Fritzsche richtig bemerkt, ein Haschen nach dem Messiastitel verrathen würde, wie es Jesu sonst nicht eigen war. Daher wollen Andre (wie Paulus, Fritzsche) dem υἱὸς τ. ἀ. die allgemeine Bedeutung: dieser Mensch hier, geben, was je- doch nach dem früher Ausgeführten nicht angeht. So bleibt nichts übrig, als der Ausweg, welchen das Fehlen jener Wor- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0496" n="472"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> die dritte Abweichung, welche die eignen Erklärungen Jesu<lb/> über seine Messianität betrifft. Nach Johannes bestätigt er<lb/> nicht blos gleich Anfangs die Huldigung, welche ihm Na-<lb/> thanaël als dem Sohn Gottes und König Israëls darbringt,<lb/> als den richtigen Glauben (<foreign xml:lang="ell">πιςεύεις</foreign>) und bezeichnet sich so-<lb/> fort durch den messianischen Titel, Menschensohn (1, 51 f.),<lb/> sondern auch den Samaritern giebt er sich nach seinem er-<lb/> sten Festbesuch (4, 26. 39 ff.) und den Juden auf dem zwei-<lb/> ten (5, 46.) als den von Moses geweissagten Messias zu er-<lb/> kennen. Nach den Synoptikern hingegen verbietet er nicht<lb/> allein in dem angeführten und vielen andern Fällen die<lb/> Ausbreitung der Überzeugung von seiner Messianität in<lb/> weiteren Kreisen, sondern wenn er bei der bezeichneten<lb/> Gelegenheit seine Jünger fragt: <foreign xml:lang="ell">ὑμεῖς δὲ τίνα με λέγετε εἶναι</foreign><lb/> (Matth. 16, 15.); so scheint er gewünscht zu haben, daſs<lb/> sie selbst aus seinen messiaswürdigen Reden und Thaten<lb/> auf die Einsicht von seiner Messianität kommen möchten <note xml:id="seg2pn_18_1" next="#seg2pn_18_2" place="foot" n="2)">In dieser Hinsicht macht übrigens die Art und Weise Schwie-<lb/> rigkeit, wie Jesus nach Matthäus die Frage nach der Mei-<lb/> nung der Leute von ihm ausgedrückt haben soll, nämlich:<lb/><foreign xml:lang="ell">τίνα με λέγουσιν οἱ ἄνϑρωποι εἶναι, τὸν υἱὸν τοῦ ἀνϑρώπε;</foreign><lb/> d. h. welche Ansicht haben die Leute von mir, der ich der<lb/> Messias bin? Diese vorgreifende Erklärung haben die Aus-<lb/> leger auf verschiedene Weise zu entfernen gesucht. Die Ei-<lb/> nen (z. B. <hi rendition="#k">Beza</hi>) fassen den Beisaz nicht als eigene Aussage<lb/> Jesu über seine Person, sondern als nähere Bestimmung der<lb/> Frage: wofür halten mich die Leute? etwa für den Mcs-<lb/> sias? Allein diess wäre eine Suggestivfrage, welche, wie<lb/><hi rendition="#k">Fritzsche</hi> richtig bemerkt, ein Haschen nach dem Messiastitel<lb/> verrathen würde, wie es Jesu sonst nicht eigen war. Daher<lb/> wollen Andre (wie <hi rendition="#k">Paulus, Fritzsche</hi>) dem <foreign xml:lang="ell">υἱὸς τ. ἀ.</foreign> die<lb/> allgemeine Bedeutung: dieser Mensch hier, geben, was je-<lb/> doch nach dem früher Ausgeführten nicht angeht. So bleibt<lb/> nichts übrig, als der Ausweg, welchen das Fehlen jener Wor-</note>,<lb/> und wenn er die von Petrus geäusserte Überzeugung einer<lb/> Offenbarung des himmlischen Vaters zuschreibt, so kann<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [472/0496]
Zweiter Abschnitt.
die dritte Abweichung, welche die eignen Erklärungen Jesu
über seine Messianität betrifft. Nach Johannes bestätigt er
nicht blos gleich Anfangs die Huldigung, welche ihm Na-
thanaël als dem Sohn Gottes und König Israëls darbringt,
als den richtigen Glauben (πιςεύεις) und bezeichnet sich so-
fort durch den messianischen Titel, Menschensohn (1, 51 f.),
sondern auch den Samaritern giebt er sich nach seinem er-
sten Festbesuch (4, 26. 39 ff.) und den Juden auf dem zwei-
ten (5, 46.) als den von Moses geweissagten Messias zu er-
kennen. Nach den Synoptikern hingegen verbietet er nicht
allein in dem angeführten und vielen andern Fällen die
Ausbreitung der Überzeugung von seiner Messianität in
weiteren Kreisen, sondern wenn er bei der bezeichneten
Gelegenheit seine Jünger fragt: ὑμεῖς δὲ τίνα με λέγετε εἶναι
(Matth. 16, 15.); so scheint er gewünscht zu haben, daſs
sie selbst aus seinen messiaswürdigen Reden und Thaten
auf die Einsicht von seiner Messianität kommen möchten 2),
und wenn er die von Petrus geäusserte Überzeugung einer
Offenbarung des himmlischen Vaters zuschreibt, so kann
2) In dieser Hinsicht macht übrigens die Art und Weise Schwie-
rigkeit, wie Jesus nach Matthäus die Frage nach der Mei-
nung der Leute von ihm ausgedrückt haben soll, nämlich:
τίνα με λέγουσιν οἱ ἄνϑρωποι εἶναι, τὸν υἱὸν τοῦ ἀνϑρώπε;
d. h. welche Ansicht haben die Leute von mir, der ich der
Messias bin? Diese vorgreifende Erklärung haben die Aus-
leger auf verschiedene Weise zu entfernen gesucht. Die Ei-
nen (z. B. Beza) fassen den Beisaz nicht als eigene Aussage
Jesu über seine Person, sondern als nähere Bestimmung der
Frage: wofür halten mich die Leute? etwa für den Mcs-
sias? Allein diess wäre eine Suggestivfrage, welche, wie
Fritzsche richtig bemerkt, ein Haschen nach dem Messiastitel
verrathen würde, wie es Jesu sonst nicht eigen war. Daher
wollen Andre (wie Paulus, Fritzsche) dem υἱὸς τ. ἀ. die
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