Den Ausdruck: o uios tou theou haben wir Luc. 1, 35. in der engsten, eigentlich physischen Bedeutung gefunden, indem dort Jesus vermöge seiner unmittelbaren Erzeugung durch den göttlichen Geist so genannt worden war. Um- gekehrt im allerweitesten moralischen und metaphorischen Sinne findet sich der Ausdruck Matth. 5, 45, wenn die Gott in der Feindesliebe Nachahmenden als Söhne des himmli- schen Vaters bezeichnet werden. In einem mittleren Sinn, welchen wir den metaphysischen nennen können, weil er mehr als eine blosse Ähnlichkeit der Willensrichtung, und doch nicht das Verhältniss wirklicher Vaterschaft, sondern eine innere Gemeinschaft des Wesens enthält, kommt der Ausdruck besonders häufig im vierten Evangelium vor, wenn Jesus von sich sagt, er rede und thue nichts von ihm sel- ber, sondern nur was er als Sohn vom Vater gelernt habe (5, 19. 12, 49. und sonst), welcher übrigens in ihm (17, 21.), und unerachtet seiner Erhabenheit über ihn (14, 28.) doch auch wieder Eins mit ihm sei (10, 30.). Der Ausdruck kommt aber auch noch in einem andern Sinne vor. Wenn (Matth. 4, 3.) der Teufel Jesum unter der Voraussetzung: ei uios ei tou theou, zum Verwandeln der Steine auffordert; wenn Nathanael zu Jesu sagt: su ei o uios tou theou, o ba- sileus tou Israel (Joh. 1, 50.); wenn Petrus bekennt: su ei o Khrisos, o uios tou theou tou zontos (Matth. 16, 16. vgl. Joh. 6, 69.); wenn Martha ihren Glauben an Jesum so aus- spricht: ego pepiseuka, oti su ei o Khrisos, o uios tou theou (Joh. 11, 47.); wenn der Hohepriester Jesum beschwört, ihm zu sagen, ob er sei o Khrisos, o uios tou theou; (Matth. 26, 63.): so will weder der Teufel etwas Anderes sagen, als: wenn du der Messias bist, noch lässt in den übrigen Stellen die Verbindung des uios tou theou mit Khrisos und ba- sileus verkennen, dass es nur Epexegese des Messiasbe- griffs ist.
Zweiter Abschnitt.
§. 59. Jesus als ὁ υἱος τοῦ ϑεοῦ.
Den Ausdruck: ὁ υἱος τοῦ ϑεοῦ haben wir Luc. 1, 35. in der engsten, eigentlich physischen Bedeutung gefunden, indem dort Jesus vermöge seiner unmittelbaren Erzeugung durch den göttlichen Geist so genannt worden war. Um- gekehrt im allerweitesten moralischen und metaphorischen Sinne findet sich der Ausdruck Matth. 5, 45, wenn die Gott in der Feindesliebe Nachahmenden als Söhne des himmli- schen Vaters bezeichnet werden. In einem mittleren Sinn, welchen wir den metaphysischen nennen können, weil er mehr als eine bloſse Ähnlichkeit der Willensrichtung, und doch nicht das Verhältniſs wirklicher Vaterschaft, sondern eine innere Gemeinschaft des Wesens enthält, kommt der Ausdruck besonders häufig im vierten Evangelium vor, wenn Jesus von sich sagt, er rede und thue nichts von ihm sel- ber, sondern nur was er als Sohn vom Vater gelernt habe (5, 19. 12, 49. und sonst), welcher übrigens in ihm (17, 21.), und unerachtet seiner Erhabenheit über ihn (14, 28.) doch auch wieder Eins mit ihm sei (10, 30.). Der Ausdruck kommt aber auch noch in einem andern Sinne vor. Wenn (Matth. 4, 3.) der Teufel Jesum unter der Voraussetzung: εἱ υἱὸς εἶ τοῦ ϑεοῦ, zum Verwandeln der Steine auffordert; wenn Nathanaël zu Jesu sagt: σὺ εἶ ὁ υἱος τοῦ ϑεοῦ, ὁ βα- σιλεὐς τοῦ Ἰσραὴλ (Joh. 1, 50.); wenn Petrus bekennt: σὺ εἶ ὁ Χριςὸς, ὁ υἱὸς τοῦ ϑεοῦ τοὐ ζῶντος (Matth. 16, 16. vgl. Joh. 6, 69.); wenn Martha ihren Glauben an Jesum so aus- spricht: ἐγὼ πεπίςευκα, ὅτι σὺ εἶ ὁ Χριςὸς, ὁ υἱὸς τοῦ ϑεοῦ (Joh. 11, 47.); wenn der Hohepriester Jesum beschwört, ihm zu sagen, ob er sei ὁ Χριςὸς, ὁ υἱὸς τοῦ ϑεοῦ; (Matth. 26, 63.): so will weder der Teufel etwas Anderes sagen, als: wenn du der Messias bist, noch läſst in den übrigen Stellen die Verbindung des υἱὸς τοῦ ϑεοῦ mit Χριςὸς und βα- σιλεὺς verkennen, daſs es nur Epexegese des Messiasbe- griffs ist.
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Zweiter Abschnitt.
§. 59.
Jesus als ὁ υἱος τοῦ ϑεοῦ.
Den Ausdruck: ὁ υἱος τοῦ ϑεοῦ haben wir Luc. 1, 35.
in der engsten, eigentlich physischen Bedeutung gefunden,
indem dort Jesus vermöge seiner unmittelbaren Erzeugung
durch den göttlichen Geist so genannt worden war. Um-
gekehrt im allerweitesten moralischen und metaphorischen
Sinne findet sich der Ausdruck Matth. 5, 45, wenn die Gott
in der Feindesliebe Nachahmenden als Söhne des himmli-
schen Vaters bezeichnet werden. In einem mittleren Sinn,
welchen wir den metaphysischen nennen können, weil er
mehr als eine bloſse Ähnlichkeit der Willensrichtung, und
doch nicht das Verhältniſs wirklicher Vaterschaft, sondern
eine innere Gemeinschaft des Wesens enthält, kommt der
Ausdruck besonders häufig im vierten Evangelium vor, wenn
Jesus von sich sagt, er rede und thue nichts von ihm sel-
ber, sondern nur was er als Sohn vom Vater gelernt habe
(5, 19. 12, 49. und sonst), welcher übrigens in ihm (17, 21.),
und unerachtet seiner Erhabenheit über ihn (14, 28.) doch
auch wieder Eins mit ihm sei (10, 30.). Der Ausdruck
kommt aber auch noch in einem andern Sinne vor. Wenn
(Matth. 4, 3.) der Teufel Jesum unter der Voraussetzung:
εἱ υἱὸς εἶ τοῦ ϑεοῦ, zum Verwandeln der Steine auffordert;
wenn Nathanaël zu Jesu sagt: σὺ εἶ ὁ υἱος τοῦ ϑεοῦ, ὁ βα-
σιλεὐς τοῦ Ἰσραὴλ (Joh. 1, 50.); wenn Petrus bekennt: σὺ
εἶ ὁ Χριςὸς, ὁ υἱὸς τοῦ ϑεοῦ τοὐ ζῶντος (Matth. 16, 16. vgl.
Joh. 6, 69.); wenn Martha ihren Glauben an Jesum so aus-
spricht: ἐγὼ πεπίςευκα, ὅτι σὺ εἶ ὁ Χριςὸς, ὁ υἱὸς τοῦ ϑεοῦ
(Joh. 11, 47.); wenn der Hohepriester Jesum beschwört,
ihm zu sagen, ob er sei ὁ Χριςὸς, ὁ υἱὸς τοῦ ϑεοῦ; (Matth.
26, 63.): so will weder der Teufel etwas Anderes sagen,
als: wenn du der Messias bist, noch läſst in den übrigen
Stellen die Verbindung des υἱὸς τοῦ ϑεοῦ mit Χριςὸς und βα-
σιλεὺς verkennen, daſs es nur Epexegese des Messiasbe-
griffs ist.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/502>, abgerufen am 22.11.2024.
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