Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Einleitung. §. 8. konnte um so weniger stehen geblieben werden, je mehrdas immer allgemeiner und erfolgreicher betriebene mytho- logische Studium auch auf die Ansicht von der biblischen Geschichte seinen Einfluss äusserte. Wenn schon Eich- horn für hebräische und nichthebräische Urgeschichte glei- che Behandlung verlangt hatte, so verschwand diese Gleich- heit immer mehr, je mehr man für die profane Urge- schichte den mythischen Gesichtspunkt ausbildete, für die hebräische aber bei der natürlichen Erklärungsweise ste- hen blieb. Und Paulus konnten es doch nicht Alle nach- thun, welcher die Consequenz der Behandlung dadurch herstellte, dass er, wie die biblischen, so auch die zur Ver- gleichung sich bietenden griechischen Sagen natürlich zu erklären sich geneigt zeigte: sondern man half lieber auf der andern Seite und fieng an, auch manche biblische Er- zählungen als Mythen zu betrachten. So wurde durch Gabler 1), Schelling 2) u. A. der Begriff des Mythus als ein ganz allgemein, für alle älteste Geschichte, heilige wie profane, gültiger aufgestellt, nach dem Heyne'schen Grundsa- ze: a mythis omnis priscorum hominum cum historia tum philosophia procedit 3) und Bauer wagte es sogar, mit ei- ner "hebräischen Mythologie des alten und neuen Testa- ments" aufzutreten (1802). Die älteste Geschichte aller Völker, meint Bauer, sei mythisch: warum sollte die he- bräische allein eine Ausnahme machen? da vielmehr der Augenschein der heiligen Bücher zeige, dass auch sie my- thische Bestandtheile enthalten. Eine Erzählung nämlich ist, wie Bauer nach Gabler und Schelling ausführt, als Mythus erkennbar, wenn sie aus einer Zeit stammt, in der es noch keine schriftlich dokumentirte Geschichte gab, sondern die Fakta nur durch mündliche Überlieferung fort- 1) In der Einleitung zu Eichhorns Urgesch. 2, S. 481 ff. (1792) 2) Über Mythen, historische Sagen und Philosopheme der älte- sten Welt. In Paulus Memorabilien 5. Stück S. 1 ff. (1793) 3) Comm. in Apollodor. Bibl. P. I. p. 3 und 4.
Einleitung. §. 8. konnte um so weniger stehen geblieben werden, je mehrdas immer allgemeiner und erfolgreicher betriebene mytho- logische Studium auch auf die Ansicht von der biblischen Geschichte seinen Einfluſs äusserte. Wenn schon Eich- horn für hebräische und nichthebräische Urgeschichte glei- che Behandlung verlangt hatte, so verschwand diese Gleich- heit immer mehr, je mehr man für die profane Urge- schichte den mythischen Gesichtspunkt ausbildete, für die hebräische aber bei der natürlichen Erklärungsweise ste- hen blieb. Und Paulus konnten es doch nicht Alle nach- thun, welcher die Consequenz der Behandlung dadurch herstellte, daſs er, wie die biblischen, so auch die zur Ver- gleichung sich bietenden griechischen Sagen natürlich zu erklären sich geneigt zeigte: sondern man half lieber auf der andern Seite und fieng an, auch manche biblische Er- zählungen als Mythen zu betrachten. So wurde durch Gabler 1), Schelling 2) u. A. der Begriff des Mythus als ein ganz allgemein, für alle älteste Geschichte, heilige wie profane, gültiger aufgestellt, nach dem Heyne'schen Grundsa- ze: a mythis omnis priscorum hominum cum historia tum philosophia procedit 3) und Bauer wagte es sogar, mit ei- ner „hebräischen Mythologie des alten und neuen Testa- ments“ aufzutreten (1802). Die älteste Geschichte aller Völker, meint Bauer, sei mythisch: warum sollte die he- bräische allein eine Ausnahme machen? da vielmehr der Augenschein der heiligen Bücher zeige, daſs auch sie my- thische Bestandtheile enthalten. Eine Erzählung nämlich ist, wie Bauer nach Gabler und Schelling ausführt, als Mythus erkennbar, wenn sie aus einer Zeit stammt, in der es noch keine schriftlich dokumentirte Geschichte gab, sondern die Fakta nur durch mündliche Überlieferung fort- 1) In der Einleitung zu Eichhorns Urgesch. 2, S. 481 ff. (1792) 2) Über Mythen, historische Sagen und Philosopheme der älte- sten Welt. In Paulus Memorabilien 5. Stück S. 1 ff. (1793) 3) Comm. in Apollodor. Bibl. P. I. p. 3 und 4.
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Einleitung. §. 8.
konnte um so weniger stehen geblieben werden, je mehr
das immer allgemeiner und erfolgreicher betriebene mytho-
logische Studium auch auf die Ansicht von der biblischen
Geschichte seinen Einfluſs äusserte. Wenn schon Eich-
horn für hebräische und nichthebräische Urgeschichte glei-
che Behandlung verlangt hatte, so verschwand diese Gleich-
heit immer mehr, je mehr man für die profane Urge-
schichte den mythischen Gesichtspunkt ausbildete, für die
hebräische aber bei der natürlichen Erklärungsweise ste-
hen blieb. Und Paulus konnten es doch nicht Alle nach-
thun, welcher die Consequenz der Behandlung dadurch
herstellte, daſs er, wie die biblischen, so auch die zur Ver-
gleichung sich bietenden griechischen Sagen natürlich zu
erklären sich geneigt zeigte: sondern man half lieber auf
der andern Seite und fieng an, auch manche biblische Er-
zählungen als Mythen zu betrachten. So wurde durch
Gabler 1), Schelling 2) u. A. der Begriff des Mythus als
ein ganz allgemein, für alle älteste Geschichte, heilige wie
profane, gültiger aufgestellt, nach dem Heyne'schen Grundsa-
ze: a mythis omnis priscorum hominum cum historia tum
philosophia procedit 3) und Bauer wagte es sogar, mit ei-
ner „hebräischen Mythologie des alten und neuen Testa-
ments“ aufzutreten (1802). Die älteste Geschichte aller
Völker, meint Bauer, sei mythisch: warum sollte die he-
bräische allein eine Ausnahme machen? da vielmehr der
Augenschein der heiligen Bücher zeige, daſs auch sie my-
thische Bestandtheile enthalten. Eine Erzählung nämlich
ist, wie Bauer nach Gabler und Schelling ausführt, als
Mythus erkennbar, wenn sie aus einer Zeit stammt, in der
es noch keine schriftlich dokumentirte Geschichte gab,
sondern die Fakta nur durch mündliche Überlieferung fort-
1) In der Einleitung zu Eichhorns Urgesch. 2, S. 481 ff. (1792)
2) Über Mythen, historische Sagen und Philosopheme der älte-
sten Welt. In Paulus Memorabilien 5. Stück S. 1 ff. (1793)
3) Comm. in Apollodor. Bibl. P. I. p. 3 und 4.
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