niss seiner prophetischen Gabe auch noch das seiner Mes- sianität sich erzwingen wollte, wozu jene Wendung des Gesprächs nothwendig schien. So einseitig aber kann die eigne Absicht Jesu nicht gewesen sein, von welchem wir sonst eine angemessenere Behandlung der Menschen ken- nen, sondern nur die Absicht der verherrlichenden Sage oder eines idealisirenden Biographen. Aber auch an sich schon ist die Verkündigung V. 21. 23 f. so einzig in ihrer Art, sie geht so weit über Alles hinaus, was wir sonst im Munde Jesu von universalistischen Aussprüchen finden, dass man gegen sie Verdacht schöpfen müsste, wenn sie auch in angemessenerem Zusammenhang stände.
Indessen, fährt die Erzählung V. 27. fort, kamen die Jünger Jesu mit Lebensmitteln aus der Stadt zurück, und wunderten sich, dass er gegen den rabbinischen Grund- satz 16) mit einem Weibe sich unterhalte. Während die Frau, durch die lezte Eröffnung Jesu aufgeregt, in die Stadt zurückläuft, um ihre Mitbürger zur Besichtigung des messiasartigen Fremden einzuladen, fordern ihn die Jünger auf, von der mitgebrachten Speise etwas zu sich zu nehmen, worauf er erwiedert: ego brosin ekho phagein, en umeis ouk oidate (V. 32.), was seine Jünger dahin miss- verstehen, es habe ihm vielleicht in ihrer Abwesenheit jemand zu essen gebracht; eine jener fleischlichen Auffas- sungen geistig gemeinter Aussprüche Jesu, wie sie im vierten Evangelium stehend sind, und eben dadurch ver- dächtig werden. Weiter folgt eine Rede über Säen und Ernten (V. 35 ff.), welche, wenn man V. 37 f. vergleicht, nur den Sinn haben kann, dass, was Jesus gesäet habe, die Jünger ernten sollten 17). Kann diess gleich ganz all- gemein darauf bezogen werden, dass Jesus die Keime der basileia tou theou, welche unter der Pflege seiner Jünger
16) bei Lightfoot, S. 1002.
17)Lücke, 1, S. 542.
Zweiter Abschnitt.
niſs seiner prophetischen Gabe auch noch das seiner Mes- sianität sich erzwingen wollte, wozu jene Wendung des Gesprächs nothwendig schien. So einseitig aber kann die eigne Absicht Jesu nicht gewesen sein, von welchem wir sonst eine angemessenere Behandlung der Menschen ken- nen, sondern nur die Absicht der verherrlichenden Sage oder eines idealisirenden Biographen. Aber auch an sich schon ist die Verkündigung V. 21. 23 f. so einzig in ihrer Art, sie geht so weit über Alles hinaus, was wir sonst im Munde Jesu von universalistischen Aussprüchen finden, daſs man gegen sie Verdacht schöpfen müſste, wenn sie auch in angemessenerem Zusammenhang stände.
Indessen, fährt die Erzählung V. 27. fort, kamen die Jünger Jesu mit Lebensmitteln aus der Stadt zurück, und wunderten sich, daſs er gegen den rabbinischen Grund- satz 16) mit einem Weibe sich unterhalte. Während die Frau, durch die lezte Eröffnung Jesu aufgeregt, in die Stadt zurückläuft, um ihre Mitbürger zur Besichtigung des messiasartigen Fremden einzuladen, fordern ihn die Jünger auf, von der mitgebrachten Speise etwas zu sich zu nehmen, worauf er erwiedert: ἐγὼ βρῶσιν ἔχω φαγεῖν, ἣν ὑμεῖς οὐκ οἴδατε (V. 32.), was seine Jünger dahin miſs- verstehen, es habe ihm vielleicht in ihrer Abwesenheit jemand zu essen gebracht; eine jener fleischlichen Auffas- sungen geistig gemeinter Aussprüche Jesu, wie sie im vierten Evangelium stehend sind, und eben dadurch ver- dächtig werden. Weiter folgt eine Rede über Säen und Ernten (V. 35 ff.), welche, wenn man V. 37 f. vergleicht, nur den Sinn haben kann, daſs, was Jesus gesäet habe, die Jünger ernten sollten 17). Kann dieſs gleich ganz all- gemein darauf bezogen werden, daſs Jesus die Keime der βασιλεία τοῦ ϑεοῦ, welche unter der Pflege seiner Jünger
16) bei Lightfoot, S. 1002.
17)Lücke, 1, S. 542.
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Zweiter Abschnitt.
niſs seiner prophetischen Gabe auch noch das seiner Mes-
sianität sich erzwingen wollte, wozu jene Wendung des
Gesprächs nothwendig schien. So einseitig aber kann die
eigne Absicht Jesu nicht gewesen sein, von welchem wir
sonst eine angemessenere Behandlung der Menschen ken-
nen, sondern nur die Absicht der verherrlichenden Sage
oder eines idealisirenden Biographen. Aber auch an sich
schon ist die Verkündigung V. 21. 23 f. so einzig in ihrer
Art, sie geht so weit über Alles hinaus, was wir sonst im
Munde Jesu von universalistischen Aussprüchen finden,
daſs man gegen sie Verdacht schöpfen müſste, wenn sie
auch in angemessenerem Zusammenhang stände.
Indessen, fährt die Erzählung V. 27. fort, kamen die
Jünger Jesu mit Lebensmitteln aus der Stadt zurück, und
wunderten sich, daſs er gegen den rabbinischen Grund-
satz 16) mit einem Weibe sich unterhalte. Während die
Frau, durch die lezte Eröffnung Jesu aufgeregt, in die
Stadt zurückläuft, um ihre Mitbürger zur Besichtigung
des messiasartigen Fremden einzuladen, fordern ihn die
Jünger auf, von der mitgebrachten Speise etwas zu sich
zu nehmen, worauf er erwiedert: ἐγὼ βρῶσιν ἔχω φαγεῖν,
ἣν ὑμεῖς οὐκ οἴδατε (V. 32.), was seine Jünger dahin miſs-
verstehen, es habe ihm vielleicht in ihrer Abwesenheit
jemand zu essen gebracht; eine jener fleischlichen Auffas-
sungen geistig gemeinter Aussprüche Jesu, wie sie im
vierten Evangelium stehend sind, und eben dadurch ver-
dächtig werden. Weiter folgt eine Rede über Säen und
Ernten (V. 35 ff.), welche, wenn man V. 37 f. vergleicht,
nur den Sinn haben kann, daſs, was Jesus gesäet habe,
die Jünger ernten sollten 17). Kann dieſs gleich ganz all-
gemein darauf bezogen werden, daſs Jesus die Keime der
βασιλεία τοῦ ϑεοῦ, welche unter der Pflege seiner Jünger
16) bei Lightfoot, S. 1002.
17) Lücke, 1, S. 542.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/540>, abgerufen am 22.11.2024.
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