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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Fünftes Kapitel. §. 66.
ben. Hier erregt es gleich kein gutes Präjudiz, dass Jo-
hannes der Täufer es ist, welcher Jesu die zwei ersten
Schüler zugewiesen haben soll; denn, ist in der früher
gegebenen Darstellung des Verhältnisses zwischen Jesu
und dem Täufer nur irgend etwas Wahres: so konnten
zwar wohl Johannisjünger aus eignem Antrieb sich an
Jesus, ihren früheren Mitschüler, anschliessen, aber dem
Täufer fiel nichts weniger ein, als Jemanden von sich weg
an Jesum zu verweisen, und es scheint dieser Zug sein
Dasein nur dem apologetischen Interesse des vierten Evan-
geliums zu verdanken, durch das Zeugniss des Täufers die
Sache Jesu zu stützen. Darüber ferner, dass Andreas, nach-
dem er einen Abend mit Jesu zusammengewesen, ihn seinem
Bruder sogleich mit den Worten: eurekamen ton Messian an-
gekündigt haben soll (1, 42) und auf ähnliche Weise Phi-
lippus gleich nach seiner Berufung sich gegen Nathanael
über ihn ausspricht (V. 46.), weiss ich mich nicht stark
genug auszudrücken, wie unmöglich es ist. Aus der, nach
dem oben Ausgeführten, glaubwürdigen Darstellung der
Synoptiker wissen wir besser, wie lange Zeit es brauchte,
bis die Jünger Jesum als den Messias anerkannten, und
diess durch ihren Sprecher Petrus laut werden liessen, des-
sen späte Einsicht Jesus mit Unrecht als Offenbarung ge-
priesen haben würde, wenn sie ihm gleich Anfangs durch
seinen Bruder Andreas entgegengebracht worden wäre.
Ebenso anstössig ist die Art, wie sofort Jesus den Simon
empfangen haben soll. Schon das, dass er, nachdem er
ihn in das Auge gefasst, ihm sagt: su ei Simon, u uios
Iona klingt nach Bengel's richtiger Beobachtung 8) so, als
sollte hier Jesu eine übernatürliche Kenntniss des Namens
und der Abkunft eines ihm sonst unbekannten Mannes zu-
geschrieben werden, in demselben Sinne, wie er von den
Männern der Samariterin und in unserer Stelle von dem

8) Gnomon, z. d. St.

Fünftes Kapitel. §. 66.
ben. Hier erregt es gleich kein gutes Präjudiz, daſs Jo-
hannes der Täufer es ist, welcher Jesu die zwei ersten
Schüler zugewiesen haben soll; denn, ist in der früher
gegebenen Darstellung des Verhältnisses zwischen Jesu
und dem Täufer nur irgend etwas Wahres: so konnten
zwar wohl Johannisjünger aus eignem Antrieb sich an
Jesus, ihren früheren Mitschüler, anschlieſsen, aber dem
Täufer fiel nichts weniger ein, als Jemanden von sich weg
an Jesum zu verweisen, und es scheint dieser Zug sein
Dasein nur dem apologetischen Interesse des vierten Evan-
geliums zu verdanken, durch das Zeugniſs des Täufers die
Sache Jesu zu stützen. Darüber ferner, daſs Andreas, nach-
dem er einen Abend mit Jesu zusammengewesen, ihn seinem
Bruder sogleich mit den Worten: εύρήκαμεν τὸν Μεσσίαν an-
gekündigt haben soll (1, 42) und auf ähnliche Weise Phi-
lippus gleich nach seiner Berufung sich gegen Nathanaël
über ihn ausspricht (V. 46.), weiſs ich mich nicht stark
genug auszudrücken, wie unmöglich es ist. Aus der, nach
dem oben Ausgeführten, glaubwürdigen Darstellung der
Synoptiker wissen wir besser, wie lange Zeit es brauchte,
bis die Jünger Jesum als den Messias anerkannten, und
dieſs durch ihren Sprecher Petrus laut werden lieſsen, des-
sen späte Einsicht Jesus mit Unrecht als Offenbarung ge-
priesen haben würde, wenn sie ihm gleich Anfangs durch
seinen Bruder Andreas entgegengebracht worden wäre.
Ebenso anstöſsig ist die Art, wie sofort Jesus den Simon
empfangen haben soll. Schon das, daſs er, nachdem er
ihn in das Auge gefasst, ihm sagt: σὺ εἶ Σίμων, ὑ υἱὸς
Ἰωνᾶ klingt nach Bengel's richtiger Beobachtung 8) so, als
sollte hier Jesu eine übernatürliche Kenntniſs des Namens
und der Abkunft eines ihm sonst unbekannten Mannes zu-
geschrieben werden, in demselben Sinne, wie er von den
Männern der Samariterin und in unserer Stelle von dem

8) Gnomon, z. d. St.
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[527/0551] Fünftes Kapitel. §. 66. ben. Hier erregt es gleich kein gutes Präjudiz, daſs Jo- hannes der Täufer es ist, welcher Jesu die zwei ersten Schüler zugewiesen haben soll; denn, ist in der früher gegebenen Darstellung des Verhältnisses zwischen Jesu und dem Täufer nur irgend etwas Wahres: so konnten zwar wohl Johannisjünger aus eignem Antrieb sich an Jesus, ihren früheren Mitschüler, anschlieſsen, aber dem Täufer fiel nichts weniger ein, als Jemanden von sich weg an Jesum zu verweisen, und es scheint dieser Zug sein Dasein nur dem apologetischen Interesse des vierten Evan- geliums zu verdanken, durch das Zeugniſs des Täufers die Sache Jesu zu stützen. Darüber ferner, daſs Andreas, nach- dem er einen Abend mit Jesu zusammengewesen, ihn seinem Bruder sogleich mit den Worten: εύρήκαμεν τὸν Μεσσίαν an- gekündigt haben soll (1, 42) und auf ähnliche Weise Phi- lippus gleich nach seiner Berufung sich gegen Nathanaël über ihn ausspricht (V. 46.), weiſs ich mich nicht stark genug auszudrücken, wie unmöglich es ist. Aus der, nach dem oben Ausgeführten, glaubwürdigen Darstellung der Synoptiker wissen wir besser, wie lange Zeit es brauchte, bis die Jünger Jesum als den Messias anerkannten, und dieſs durch ihren Sprecher Petrus laut werden lieſsen, des- sen späte Einsicht Jesus mit Unrecht als Offenbarung ge- priesen haben würde, wenn sie ihm gleich Anfangs durch seinen Bruder Andreas entgegengebracht worden wäre. Ebenso anstöſsig ist die Art, wie sofort Jesus den Simon empfangen haben soll. Schon das, daſs er, nachdem er ihn in das Auge gefasst, ihm sagt: σὺ εἶ Σίμων, ὑ υἱὸς Ἰωνᾶ klingt nach Bengel's richtiger Beobachtung 8) so, als sollte hier Jesu eine übernatürliche Kenntniſs des Namens und der Abkunft eines ihm sonst unbekannten Mannes zu- geschrieben werden, in demselben Sinne, wie er von den Männern der Samariterin und in unserer Stelle von dem 8) Gnomon, z. d. St.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/551>, abgerufen am 22.11.2024.