sogar schon ehe er sich selbst als den Messias gefasst hatte, Boten des nahenden Messiasreichs ausgesendet habe, so sind wir zu einem solchen Zweifel schwerlich berechtigt.
Wie Johannes nichts von dieser Missionsreise der Synoptiker: so wissen diese nichts davon, was Johannes sagt, dass schon zu Lebzeiten Jesu seine Jünger getauft haben (4, 2.), sondern erst nach der Auferstehung, wie es scheint, giebt er ihnen hier zum Taufen die Vollmacht (Matth. 28, 19 parall.). Da jedoch der Taufritus schon von Johannes eingeführt war, so ist es, je mehr Jesus von Anfang an nur in dessen Fussstapfen zu treten beab- sichtigte, um so wahrscheinlicher, dass auch er mit seinen Jüngern sich der Taufe bedient habe, und nicht dieses positive Datum des vierten Evangeliums möchte zu be- zweifeln sein, vielmehr das negative, dass Iesous autos ouk ebaptizen (4, 2.), eine Notiz, die überdiess sehr nach- träglich auf ein wiederholtes ebaptizen und baptizei o Ie- sous (3, 22. 4, 1.) als Einschränkung folgt, könnte man aus der Tendenz des vierten Evangeliums, Jesum auf das Ent- schiedenste über den Täufer zu stellen, also aus einer Scheue, den Messias selbst die Funktion des blossen Vor- läufers ausüben zu lassen, erklären, unerachtet freilich bald hernach gerade diess der Kirche viele Skrupel machte, dass Jesus nicht wenigstens die Apostel getauft haben sollte.
Ausser jener Missionsreise gedenken die Evangelien keiner längeren Entfernung der Zwölfe von Jesu. Nur der Eifer harmonisirender Theologen, welche nach der ersten Berufung noch für eine zweite und dritte Raum gewinnen wollten, auf der einen, und die Bemühung prag- matischer Ausleger auf der andern Seite, das Auskommen so vieler unbemittelten Männer dadurch begreiflicher zu machen, dass man sie dazwischen hinein wieder durch Arbeit etwas verdienen liess, konnte aus den Evangelien solche Unterbrechungen des Zusammenseins Jesu mit den
Zweiter Abschnitt.
sogar schon ehe er sich selbst als den Messias gefasst hatte, Boten des nahenden Messiasreichs ausgesendet habe, so sind wir zu einem solchen Zweifel schwerlich berechtigt.
Wie Johannes nichts von dieser Missionsreise der Synoptiker: so wissen diese nichts davon, was Johannes sagt, daſs schon zu Lebzeiten Jesu seine Jünger getauft haben (4, 2.), sondern erst nach der Auferstehung, wie es scheint, giebt er ihnen hier zum Taufen die Vollmacht (Matth. 28, 19 parall.). Da jedoch der Taufritus schon von Johannes eingeführt war, so ist es, je mehr Jesus von Anfang an nur in dessen Fuſsstapfen zu treten beab- sichtigte, um so wahrscheinlicher, daſs auch er mit seinen Jüngern sich der Taufe bedient habe, und nicht dieses positive Datum des vierten Evangeliums möchte zu be- zweifeln sein, vielmehr das negative, daſs Ἰησοῦς αὐτὸς οὐκ ἐβάπτιζεν (4, 2.), eine Notiz, die überdieſs sehr nach- träglich auf ein wiederholtes ἐβάπτιζεν und βαπτίζει ὁ Ἰη- σοῦς (3, 22. 4, 1.) als Einschränkung folgt, könnte man aus der Tendenz des vierten Evangeliums, Jesum auf das Ent- schiedenste über den Täufer zu stellen, also aus einer Scheue, den Messias selbst die Funktion des bloſsen Vor- läufers ausüben zu lassen, erklären, unerachtet freilich bald hernach gerade dieſs der Kirche viele Skrupel machte, daſs Jesus nicht wenigstens die Apostel getauft haben sollte.
Ausser jener Missionsreise gedenken die Evangelien keiner längeren Entfernung der Zwölfe von Jesu. Nur der Eifer harmonisirender Theologen, welche nach der ersten Berufung noch für eine zweite und dritte Raum gewinnen wollten, auf der einen, und die Bemühung prag- matischer Ausleger auf der andern Seite, das Auskommen so vieler unbemittelten Männer dadurch begreiflicher zu machen, daſs man sie dazwischen hinein wieder durch Arbeit etwas verdienen lieſs, konnte aus den Evangelien solche Unterbrechungen des Zusammenseins Jesu mit den
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[552/0576]
Zweiter Abschnitt.
sogar schon ehe er sich selbst als den Messias gefasst
hatte, Boten des nahenden Messiasreichs ausgesendet habe,
so sind wir zu einem solchen Zweifel schwerlich berechtigt.
Wie Johannes nichts von dieser Missionsreise der
Synoptiker: so wissen diese nichts davon, was Johannes
sagt, daſs schon zu Lebzeiten Jesu seine Jünger getauft
haben (4, 2.), sondern erst nach der Auferstehung, wie es
scheint, giebt er ihnen hier zum Taufen die Vollmacht
(Matth. 28, 19 parall.). Da jedoch der Taufritus schon
von Johannes eingeführt war, so ist es, je mehr Jesus
von Anfang an nur in dessen Fuſsstapfen zu treten beab-
sichtigte, um so wahrscheinlicher, daſs auch er mit seinen
Jüngern sich der Taufe bedient habe, und nicht dieses
positive Datum des vierten Evangeliums möchte zu be-
zweifeln sein, vielmehr das negative, daſs Ἰησοῦς αὐτὸς
οὐκ ἐβάπτιζεν (4, 2.), eine Notiz, die überdieſs sehr nach-
träglich auf ein wiederholtes ἐβάπτιζεν und βαπτίζει ὁ Ἰη-
σοῦς (3, 22. 4, 1.) als Einschränkung folgt, könnte man aus
der Tendenz des vierten Evangeliums, Jesum auf das Ent-
schiedenste über den Täufer zu stellen, also aus einer
Scheue, den Messias selbst die Funktion des bloſsen Vor-
läufers ausüben zu lassen, erklären, unerachtet freilich
bald hernach gerade dieſs der Kirche viele Skrupel machte,
daſs Jesus nicht wenigstens die Apostel getauft haben
sollte.
Ausser jener Missionsreise gedenken die Evangelien
keiner längeren Entfernung der Zwölfe von Jesu. Nur
der Eifer harmonisirender Theologen, welche nach der
ersten Berufung noch für eine zweite und dritte Raum
gewinnen wollten, auf der einen, und die Bemühung prag-
matischer Ausleger auf der andern Seite, das Auskommen
so vieler unbemittelten Männer dadurch begreiflicher zu
machen, daſs man sie dazwischen hinein wieder durch
Arbeit etwas verdienen lieſs, konnte aus den Evangelien
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/576>, abgerufen am 21.11.2024.
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