Geschichte retten zu wollen, da vielmehr mit dem Einzel- nen auch das Ganze dem poetischen und mythischen Ge- biete verfällt. So, wenn der Bund Gottes mit Abraham 9) in dieser Gestalt als Factum aufgegeben, aber doch eine geschichtliche Grundlage der Erzählung festgehalten wird, nämlich die, es habe zwar nicht ein objektiver Verkehr Gottes mit Abraham stattgefunden, wohl aber subjektiv im Gemüthe des Mannes seien in der Vision oder im natürli- chen Wachen Gedanken aufgestiegen, welche er im Geiste der alten Welt auf Gott zurückgeführt habe: so richtet de Wftte an so verfahrende Ausleger die Frage, woher sie denn wissen, dass Abraham aus sich selber diese Ge- danken gehabt habe? Unsre Relation, bemerkt er, leitet dieselben von Gott ab; nehmen wir diess nicht an, so wis- sen wir von solchen Gedanken Abrahams gar nichts mehr, auch davon nicht, dass sie ihm natürlich aufgestiegen. Über- haupt haben solche Hoffnungen, wie sie den Inhalt jenes Bundes bilden, Stammvater eines Volks zu werden, wel- ches das Land Kanaan besitzen sollte, natürlicherweise gar nicht in Abraham entstehen können; wohl aber sei das na- türlich, dass die zum Volke gewordenen und in den Be- sitz des Landes gekommenen Israeliten jenen Bund ihrem Stammvater zur Verherrlichung angedichtet haben, -- so dass die natürliche Erklärungsweise durch ihre eigne Un- natürlichkeit immer wieder zur mythischen hinführe.
Eichhorn selbst hat die Unzulässigkeit der natürlichen Erklärungsweise, welche er in Bezug auf das A. T. aus- gebildet hatte, in Betreff der evangelischen Geschichte ein- gesehen. Was in diesen Erzählungen einen übernatürlichen Anstrich hat, bemerkt er 10), dürfen wir nicht verlangen, in ein natürliches Ereigniss umzubilden, weil diess ohne Zwang nicht möglich sei. Wenn nämlich einmal in einer
9) S. 59 ff.
10) Einleitung in das N. T. I, S. 408 ff.
Einleitung. §. 8.
Geschichte retten zu wollen, da vielmehr mit dem Einzel- nen auch das Ganze dem poëtischen und mythischen Ge- biete verfällt. So, wenn der Bund Gottes mit Abraham 9) in dieser Gestalt als Factum aufgegeben, aber doch eine geschichtliche Grundlage der Erzählung festgehalten wird, nämlich die, es habe zwar nicht ein objektiver Verkehr Gottes mit Abraham stattgefunden, wohl aber subjektiv im Gemüthe des Mannes seien in der Vision oder im natürli- chen Wachen Gedanken aufgestiegen, welche er im Geiste der alten Welt auf Gott zurückgeführt habe: so richtet de Wftte an so verfahrende Ausleger die Frage, woher sie denn wissen, daſs Abraham aus sich selber diese Ge- danken gehabt habe? Unsre Relation, bemerkt er, leitet dieselben von Gott ab; nehmen wir dieſs nicht an, so wis- sen wir von solchen Gedanken Abrahams gar nichts mehr, auch davon nicht, daſs sie ihm natürlich aufgestiegen. Über- haupt haben solche Hoffnungen, wie sie den Inhalt jenes Bundes bilden, Stammvater eines Volks zu werden, wel- ches das Land Kanaan besitzen sollte, natürlicherweise gar nicht in Abraham entstehen können; wohl aber sei das na- türlich, daſs die zum Volke gewordenen und in den Be- sitz des Landes gekommenen Israëliten jenen Bund ihrem Stammvater zur Verherrlichung angedichtet haben, — so daſs die natürliche Erklärungsweise durch ihre eigne Un- natürlichkeit immer wieder zur mythischen hinführe.
Eichhorn selbst hat die Unzulässigkeit der natürlichen Erklärungsweise, welche er in Bezug auf das A. T. aus- gebildet hatte, in Betreff der evangelischen Geschichte ein- gesehen. Was in diesen Erzählungen einen übernatürlichen Anstrich hat, bemerkt er 10), dürfen wir nicht verlangen, in ein natürliches Ereigniſs umzubilden, weil dieſs ohne Zwang nicht möglich sei. Wenn nämlich einmal in einer
9) S. 59 ff.
10) Einleitung in das N. T. I, S. 408 ff.
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Einleitung. §. 8.
Geschichte retten zu wollen, da vielmehr mit dem Einzel-
nen auch das Ganze dem poëtischen und mythischen Ge-
biete verfällt. So, wenn der Bund Gottes mit Abraham 9)
in dieser Gestalt als Factum aufgegeben, aber doch eine
geschichtliche Grundlage der Erzählung festgehalten wird,
nämlich die, es habe zwar nicht ein objektiver Verkehr
Gottes mit Abraham stattgefunden, wohl aber subjektiv im
Gemüthe des Mannes seien in der Vision oder im natürli-
chen Wachen Gedanken aufgestiegen, welche er im Geiste
der alten Welt auf Gott zurückgeführt habe: so richtet
de Wftte an so verfahrende Ausleger die Frage, woher
sie denn wissen, daſs Abraham aus sich selber diese Ge-
danken gehabt habe? Unsre Relation, bemerkt er, leitet
dieselben von Gott ab; nehmen wir dieſs nicht an, so wis-
sen wir von solchen Gedanken Abrahams gar nichts mehr,
auch davon nicht, daſs sie ihm natürlich aufgestiegen. Über-
haupt haben solche Hoffnungen, wie sie den Inhalt jenes
Bundes bilden, Stammvater eines Volks zu werden, wel-
ches das Land Kanaan besitzen sollte, natürlicherweise gar
nicht in Abraham entstehen können; wohl aber sei das na-
türlich, daſs die zum Volke gewordenen und in den Be-
sitz des Landes gekommenen Israëliten jenen Bund ihrem
Stammvater zur Verherrlichung angedichtet haben, — so
daſs die natürliche Erklärungsweise durch ihre eigne Un-
natürlichkeit immer wieder zur mythischen hinführe.
Eichhorn selbst hat die Unzulässigkeit der natürlichen
Erklärungsweise, welche er in Bezug auf das A. T. aus-
gebildet hatte, in Betreff der evangelischen Geschichte ein-
gesehen. Was in diesen Erzählungen einen übernatürlichen
Anstrich hat, bemerkt er 10), dürfen wir nicht verlangen,
in ein natürliches Ereigniſs umzubilden, weil dieſs ohne
Zwang nicht möglich sei. Wenn nämlich einmal in einer
9) S. 59 ff.
10) Einleitung in das N. T. I, S. 408 ff.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/58>, abgerufen am 16.02.2025.
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