ner der Orte, wo ascetische Grundsätze, wie sie damals zuverlässig unter den Essenern 10), wahrscheinlich aber noch weiter unter den Juden verbreitet waren, auch bei Jesu durchscheinen.
Die Streitreden, welche nach dem Einzug Jesu in Je- rusalem Matthäus fast durchaus in Übereinstimmung mit den beiden andern Synoptikern folgen lässt (21, 23--27. 22, 15--46.) 11), sind gewiss vorzüglich ächte Stücke, weil sie so ganz im Geist und Ton damaliger rabbinischer Dia- lektik gehalten sind. Unter ihnen sind die dritte und fünf- te dadurch besonders merkwürdig, dass sie Jesum als Schrifterklärer zeigen. In Bezug auf den ersteren Fall, wo Jesus den Sadducäern aus der mosaischen Benennung Gottes als theos Abraam kai Isaak kai Iakob, da doch Gott nicht theos nekron, sondern zonton sei, zu beweisen sucht, oti egeirontai nekroi (V. 31--33. parall.), giebt Pau- lus zwar zu, dass Jesus hier subtil argumentire, doch lie- ge in seiner Prämisse wirklich das, was er daraus ablei- te 12). Allein in dem zur Formel gewordenen elhoeyab@raham u. s. w. ist nichts enthalten, als dass Jehova, wie er der Schutzgott dieser Männer gewesen sei, so fort und fort auch für ihre Nachkommen es sein werde: an ein auch nach ihrem Tode fortdaurendes individuelles Verhältniss Jehova's zu jenen Männern wird sonst im Pentateuch nicht ge- dacht, und in unsre Worte konnte es nur durch rabbini- sche Hermeneutik zu einer Zeit hineingelegt werden, in
ten enesosan anagken empfohlen; dabei aber bleibt der Apo- stel nicht stehen, sondern führt V. 32 ff. in dem: o agamos merimna ta tou Kuriou -- o de gamesas ta tou kosmou einen Grund für die Ehelosigkeit an, der unter allen Umständen gültig sein müsste, und in den ascetischen Hintergrund der Ansichten des Paulus blicken lässt.
10) s. Gfrörer, Philo, 2, S. 310 f.
11) Eine bündige Erläuterung derselben giebt Hase, L. J. §. 118.
12) ex. Handb. 3, a, S. 233.
Sechstes Kapitel. §. 75.
ner der Orte, wo ascetische Grundsätze, wie sie damals zuverlässig unter den Essenern 10), wahrscheinlich aber noch weiter unter den Juden verbreitet waren, auch bei Jesu durchscheinen.
Die Streitreden, welche nach dem Einzug Jesu in Je- rusalem Matthäus fast durchaus in Übereinstimmung mit den beiden andern Synoptikern folgen läſst (21, 23—27. 22, 15—46.) 11), sind gewiſs vorzüglich ächte Stücke, weil sie so ganz im Geist und Ton damaliger rabbinischer Dia- lektik gehalten sind. Unter ihnen sind die dritte und fünf- te dadurch besonders merkwürdig, daſs sie Jesum als Schrifterklärer zeigen. In Bezug auf den ersteren Fall, wo Jesus den Sadducäern aus der mosaischen Benennung Gottes als ϑεὸς Ἀβραὰμ καὶ Ἰσαὰκ καὶ Ἰακὼβ, da doch Gott nicht ϑεὸς νεκρῶν, sondern ζώντων sei, zu beweisen sucht, ὅτι ἐγείρονται νεκροὶ (V. 31—33. parall.), giebt Pau- lus zwar zu, daſs Jesus hier subtil argumentire, doch lie- ge in seiner Prämisse wirklich das, was er daraus ablei- te 12). Allein in dem zur Formel gewordenen אֱלהֵֹי־אַבְרָהָם u. s. w. ist nichts enthalten, als daſs Jehova, wie er der Schutzgott dieser Männer gewesen sei, so fort und fort auch für ihre Nachkommen es sein werde: an ein auch nach ihrem Tode fortdaurendes individuelles Verhältniſs Jehova's zu jenen Männern wird sonst im Pentateuch nicht ge- dacht, und in unsre Worte konnte es nur durch rabbini- sche Hermeneutik zu einer Zeit hineingelegt werden, in
τὴν ἐνεςῶσαν ἀνάγκην empfohlen; dabei aber bleibt der Apo- stel nicht stehen, sondern führt V. 32 ff. in dem: ὁ ἄγαμος μεριμνᾷ τὰ τοῦ Κυρίου — ό δὲ γαμήσας τὰ τοῦ κόσμου einen Grund für die Ehelosigkeit an, der unter allen Umständen gültig sein müsste, und in den ascetischen Hintergrund der Ansichten des Paulus blicken lässt.
10) s. Gfrörer, Philo, 2, S. 310 f.
11) Eine bündige Erläuterung derselben giebt Hase, L. J. §. 118.
12) ex. Handb. 3, a, S. 233.
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Sechstes Kapitel. §. 75.
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noch weiter unter den Juden verbreitet waren, auch bei
Jesu durchscheinen.
Die Streitreden, welche nach dem Einzug Jesu in Je-
rusalem Matthäus fast durchaus in Übereinstimmung mit
den beiden andern Synoptikern folgen läſst (21, 23—27. 22,
15—46.) 11), sind gewiſs vorzüglich ächte Stücke, weil
sie so ganz im Geist und Ton damaliger rabbinischer Dia-
lektik gehalten sind. Unter ihnen sind die dritte und fünf-
te dadurch besonders merkwürdig, daſs sie Jesum als
Schrifterklärer zeigen. In Bezug auf den ersteren Fall,
wo Jesus den Sadducäern aus der mosaischen Benennung
Gottes als ϑεὸς Ἀβραὰμ καὶ Ἰσαὰκ καὶ Ἰακὼβ, da doch
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te 12). Allein in dem zur Formel gewordenen אֱלהֵֹי־אַבְרָהָם
u. s. w. ist nichts enthalten, als daſs Jehova, wie er der
Schutzgott dieser Männer gewesen sei, so fort und fort auch
für ihre Nachkommen es sein werde: an ein auch nach
ihrem Tode fortdaurendes individuelles Verhältniſs Jehova's
zu jenen Männern wird sonst im Pentateuch nicht ge-
dacht, und in unsre Worte konnte es nur durch rabbini-
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9)
10) s. Gfrörer, Philo, 2, S. 310 f.
11) Eine bündige Erläuterung derselben giebt Hase, L. J. §. 118.
12) ex. Handb. 3, a, S. 233.
9) τὴν ἐνεςῶσαν ἀνάγκην empfohlen; dabei aber bleibt der Apo-
stel nicht stehen, sondern führt V. 32 ff. in dem: ὁ ἄγαμος
μεριμνᾷ τὰ τοῦ Κυρίου — ό δὲ γαμήσας τὰ τοῦ κόσμου einen
Grund für die Ehelosigkeit an, der unter allen Umständen
gültig sein müsste, und in den ascetischen Hintergrund der
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/643>, abgerufen am 23.11.2024.
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