Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Einleitung. §. 10. des Mythus ein Merkmal in [s]ich aufgenommen, welchesihn leicht wieder zu der kaum verlassenen natürlichen Er- klärungsweise hinunterziehen konnte. Auch bei'm histori- schen Mythus entstand ja für den Kritiker die Aufgabe, aus der unhistorischen, wunderhaften Ausschmückung ei- nen natürlichen und als geschichtlich festzuhaltenden Kern herauszuschälen, -- und durch den allerdings wesentlichen Unterschied, dass bei der Annahme eines historischen My- thus jene Ausschmückung nicht wie bei der natürlichen Er- klärungsart aus dem Urtheil der Betheiligten und der Er- zähler selbst, sondern aus der Tradition hergeleitet wird, liess man das Verfahren nur wenig modificirt werden. Konnte der Rationalist, ohne seine Methode wesentlich zu verändern, historische Mythen in der Bibel aufzeigen: so war auch dem Supranaturalisten die Annahme historischer Mythen, durch welche doch die geschichtliche Auffassung der heiligen Erzählungen nicht ganz aufgehoben wird, we- niger anstössig, als die Voraussetzung sogenannter philoso- phischer, bei welchen auch die lezte historische Grundlage aufgegeben wird. Kein Wunder daher, dass die Ausleger, wo sie den mythischen Gesichtspunkt in Anwendung brach- ten, fast durchaus nur von historischen Mythen sprachen, dass Bauer unter einer ziemlichen Anzahl von Mythen, die er aus dem N. T. namhaft macht, nur einen einzigen phi- losophischen hat, und dass ein Gemische von mythischer und natürlicher Erklärung entstand, welches noch wider- sprechender als die rein natürliche Auslegung war, deren Schwierigkeiten man hatte entgehen wollen. So glaubte Bauer 1) die Erzählung von der Verheissung Jehova's an Abraham historisch-mythisch zu erklären, wenn er als das zum Grunde liegende Faktum diess annahm, dass Abraham bei Betrachtung des sternbesäten Himmels seine Hoffnung auf zahlreiche Nachkommenschaft neubelebt gefunden ha- 1) Geschichte der hebr. Nation, Thl. I. S. 123.
Einleitung. §. 10. des Mythus ein Merkmal in [s]ich aufgenommen, welchesihn leicht wieder zu der kaum verlassenen natürlichen Er- klärungsweise hinunterziehen konnte. Auch bei'm histori- schen Mythus entstand ja für den Kritiker die Aufgabe, aus der unhistorischen, wunderhaften Ausschmückung ei- nen natürlichen und als geschichtlich festzuhaltenden Kern herauszuschälen, — und durch den allerdings wesentlichen Unterschied, daſs bei der Annahme eines historischen My- thus jene Ausschmückung nicht wie bei der natürlichen Er- klärungsart aus dem Urtheil der Betheiligten und der Er- zähler selbst, sondern aus der Tradition hergeleitet wird, lieſs man das Verfahren nur wenig modificirt werden. Konnte der Rationalist, ohne seine Methode wesentlich zu verändern, historische Mythen in der Bibel aufzeigen: so war auch dem Supranaturalisten die Annahme historischer Mythen, durch welche doch die geschichtliche Auffassung der heiligen Erzählungen nicht ganz aufgehoben wird, we- niger anstöſsig, als die Voraussetzung sogenannter philoso- phischer, bei welchen auch die lezte historische Grundlage aufgegeben wird. Kein Wunder daher, daſs die Ausleger, wo sie den mythischen Gesichtspunkt in Anwendung brach- ten, fast durchaus nur von historischen Mythen sprachen, daſs Bauer unter einer ziemlichen Anzahl von Mythen, die er aus dem N. T. namhaft macht, nur einen einzigen phi- losophischen hat, und daſs ein Gemische von mythischer und natürlicher Erklärung entstand, welches noch wider- sprechender als die rein natürliche Auslegung war, deren Schwierigkeiten man hatte entgehen wollen. So glaubte Bauer 1) die Erzählung von der Verheiſsung Jehova's an Abraham historisch-mythisch zu erklären, wenn er als das zum Grunde liegende Faktum dieſs annahm, daſs Abraham bei Betrachtung des sternbesäten Himmels seine Hoffnung auf zahlreiche Nachkommenschaft neubelebt gefunden ha- 1) Geschichte der hebr. Nation, Thl. I. S. 123.
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Einleitung. §. 10.
des Mythus ein Merkmal in sich aufgenommen, welches
ihn leicht wieder zu der kaum verlassenen natürlichen Er-
klärungsweise hinunterziehen konnte. Auch bei'm histori-
schen Mythus entstand ja für den Kritiker die Aufgabe,
aus der unhistorischen, wunderhaften Ausschmückung ei-
nen natürlichen und als geschichtlich festzuhaltenden Kern
herauszuschälen, — und durch den allerdings wesentlichen
Unterschied, daſs bei der Annahme eines historischen My-
thus jene Ausschmückung nicht wie bei der natürlichen Er-
klärungsart aus dem Urtheil der Betheiligten und der Er-
zähler selbst, sondern aus der Tradition hergeleitet wird,
lieſs man das Verfahren nur wenig modificirt werden.
Konnte der Rationalist, ohne seine Methode wesentlich zu
verändern, historische Mythen in der Bibel aufzeigen: so
war auch dem Supranaturalisten die Annahme historischer
Mythen, durch welche doch die geschichtliche Auffassung
der heiligen Erzählungen nicht ganz aufgehoben wird, we-
niger anstöſsig, als die Voraussetzung sogenannter philoso-
phischer, bei welchen auch die lezte historische Grundlage
aufgegeben wird. Kein Wunder daher, daſs die Ausleger,
wo sie den mythischen Gesichtspunkt in Anwendung brach-
ten, fast durchaus nur von historischen Mythen sprachen,
daſs Bauer unter einer ziemlichen Anzahl von Mythen, die
er aus dem N. T. namhaft macht, nur einen einzigen phi-
losophischen hat, und daſs ein Gemische von mythischer
und natürlicher Erklärung entstand, welches noch wider-
sprechender als die rein natürliche Auslegung war, deren
Schwierigkeiten man hatte entgehen wollen. So glaubte
Bauer 1) die Erzählung von der Verheiſsung Jehova's an
Abraham historisch-mythisch zu erklären, wenn er als das
zum Grunde liegende Faktum dieſs annahm, daſs Abraham
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