Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. Orte steht, veranlasst nämlich durch die schlechte Aufnah-me, welche Jesus in seiner Vaterstadt Nazaret fand, die er desswegen wieder verliess: so erscheint er bei Johannes umgekehrt wie ein Motiv der Reise Jesu in seine Heimath Galiläa, wo er übrigens sofort gut aufgenommen wurde. Da ihn die in jenem Diktum ausgesprochene Erfahrung viel- mehr hätte abhalten, als antreiben müssen, eine Reise nach Galiläa zu unternehmen, so läge allerdings dem Bedürfniss die Erklärung am nächsten, welche noch Kuinöl aufgenom- men hat, das gar geradezu für obgleich zu nehmen, wenn sie nur nicht die sprachwidrigste Gewalthülfe wäre. In- dessen, da es dabei bleibt, dass, wenn Jesus diese Stellung des Propheten zu seiner patris kannte, er vielmehr nicht dahin gehen musste: so war man sofort veranlasst, patris nicht von der Provinz, sondern im engeren Sinne von der Vaterstadt zu verstehen, und nach der Angabe, dass er nach Galiläa gegangen, zu suppliren, dass er sich jedoch in seine Vaterstadt Nazaret aus dem angezeigten Grunde nicht begeben habe 1); allein eine Ellipse, wie sie bei die- ser Erklärung angenommen wird, gehört nicht minder zu den Unmöglichkeiten, als jene Umdeutung von gar bei der vorigen. Da man hienach eine Angabe, wie man sie bedürfte, dass Jesus gar nicht in seine patris gegangen, in unsre Stelle nicht hineinbringen kann: so glaubte man wenigstens das in ihr zu finden, dass er nicht bald dahin zurückgekehrt sei, wovon dann das oti prophetes k. t. l. ganz passend den Grund anzugeben schien 2). Sollte die- 1) So Cyrill, Erasmus. Was Tholuck's (S. 100.) Auskunft, wel- cher auch Olshausen (2, S. 122.) beitritt, das emarturesen als Plusquamperfectum und das gar explanativ zu nehmen, helfen soll, sehe ich nicht ein, da auch so durch gar und oun; (V. 45.) ein Verhältniss der Übereinstimmung zwischen zwei Sätzen bleibt, zwischen welchen man einen, etwa durch men und de angezeigten Gegensaz erwarten sollte. 2) Paulus, Comm. 4, S. 251. 56.
Zweiter Abschnitt. Orte steht, veranlaſst nämlich durch die schlechte Aufnah-me, welche Jesus in seiner Vaterstadt Nazaret fand, die er deſswegen wieder verlieſs: so erscheint er bei Johannes umgekehrt wie ein Motiv der Reise Jesu in seine Heimath Galiläa, wo er übrigens sofort gut aufgenommen wurde. Da ihn die in jenem Diktum ausgesprochene Erfahrung viel- mehr hätte abhalten, als antreiben müssen, eine Reise nach Galiläa zu unternehmen, so läge allerdings dem Bedürfniſs die Erklärung am nächsten, welche noch Kuinöl aufgenom- men hat, das γὰρ geradezu für obgleich zu nehmen, wenn sie nur nicht die sprachwidrigste Gewalthülfe wäre. In- dessen, da es dabei bleibt, daſs, wenn Jesus diese Stellung des Propheten zu seiner πατρὶς kannte, er vielmehr nicht dahin gehen muſste: so war man sofort veranlaſst, πατρὶς nicht von der Provinz, sondern im engeren Sinne von der Vaterstadt zu verstehen, und nach der Angabe, daſs er nach Galiläa gegangen, zu suppliren, daſs er sich jedoch in seine Vaterstadt Nazaret aus dem angezeigten Grunde nicht begeben habe 1); allein eine Ellipse, wie sie bei die- ser Erklärung angenommen wird, gehört nicht minder zu den Unmöglichkeiten, als jene Umdeutung von γὰρ bei der vorigen. Da man hienach eine Angabe, wie man sie bedürfte, daſs Jesus gar nicht in seine πατρὶς gegangen, in unsre Stelle nicht hineinbringen kann: so glaubte man wenigstens das in ihr zu finden, daſs er nicht bald dahin zurückgekehrt sei, wovon dann das ὅτι προφήτης κ. τ. λ. ganz passend den Grund anzugeben schien 2). Sollte die- 1) So Cyrill, Erasmus. Was Tholuck's (S. 100.) Auskunft, wel- cher auch Olshausen (2, S. 122.) beitritt, das ἐμαρτύρησεν als Plusquamperfectum und das γὰρ explanativ zu nehmen, helfen soll, sehe ich nicht ein, da auch so durch γὰρ und οὖν; (V. 45.) ein Verhältniss der Übereinstimmung zwischen zwei Sätzen bleibt, zwischen welchen man einen, etwa durch μὲν und δὲ angezeigten Gegensaz erwarten sollte. 2) Paulus, Comm. 4, S. 251. 56.
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Zweiter Abschnitt.
Orte steht, veranlaſst nämlich durch die schlechte Aufnah-
me, welche Jesus in seiner Vaterstadt Nazaret fand, die
er deſswegen wieder verlieſs: so erscheint er bei Johannes
umgekehrt wie ein Motiv der Reise Jesu in seine Heimath
Galiläa, wo er übrigens sofort gut aufgenommen wurde. Da
ihn die in jenem Diktum ausgesprochene Erfahrung viel-
mehr hätte abhalten, als antreiben müssen, eine Reise nach
Galiläa zu unternehmen, so läge allerdings dem Bedürfniſs
die Erklärung am nächsten, welche noch Kuinöl aufgenom-
men hat, das γὰρ geradezu für obgleich zu nehmen, wenn
sie nur nicht die sprachwidrigste Gewalthülfe wäre. In-
dessen, da es dabei bleibt, daſs, wenn Jesus diese Stellung
des Propheten zu seiner πατρὶς kannte, er vielmehr nicht
dahin gehen muſste: so war man sofort veranlaſst, πατρὶς
nicht von der Provinz, sondern im engeren Sinne von der
Vaterstadt zu verstehen, und nach der Angabe, daſs er
nach Galiläa gegangen, zu suppliren, daſs er sich jedoch
in seine Vaterstadt Nazaret aus dem angezeigten Grunde
nicht begeben habe 1); allein eine Ellipse, wie sie bei die-
ser Erklärung angenommen wird, gehört nicht minder zu
den Unmöglichkeiten, als jene Umdeutung von γὰρ bei der
vorigen. Da man hienach eine Angabe, wie man sie
bedürfte, daſs Jesus gar nicht in seine πατρὶς gegangen,
in unsre Stelle nicht hineinbringen kann: so glaubte man
wenigstens das in ihr zu finden, daſs er nicht bald dahin
zurückgekehrt sei, wovon dann das ὅτι προφήτης κ. τ. λ.
ganz passend den Grund anzugeben schien 2). Sollte die-
1) So Cyrill, Erasmus. Was Tholuck's (S. 100.) Auskunft, wel-
cher auch Olshausen (2, S. 122.) beitritt, das ἐμαρτύρησεν
als Plusquamperfectum und das γὰρ explanativ zu nehmen,
helfen soll, sehe ich nicht ein, da auch so durch γὰρ und οὖν;
(V. 45.) ein Verhältniss der Übereinstimmung zwischen zwei
Sätzen bleibt, zwischen welchen man einen, etwa durch μὲν
und δὲ angezeigten Gegensaz erwarten sollte.
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