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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
mit denselben Worten, niederzuschlagen sucht, wie nach
Matthäus und Markus die über die Bitte der Zebedaiden
unter den Jüngern entstandene aganaktesis, worunter ein
Ausspruch sich findet, den Lukas selbst und Markus auch
bei der Aufstellung des Kindes schon fast ebenso gehabt
haben, und welchen Matthäus, ausser bei der Bitte der Sa-
lome, auch noch in der grossen antipharisäischen Rede hat
(vgl. Luc. 22, 26. Marc. 9, 35. Luc. 9, 48. Matth. 20, 26 f.
23, 11.). So glaublich es nun auch sein mag, dass bei den
weltlichen Messiashoffnungen der Jünger öfters Rangstrei-
tigkeiten unter ihnen zu dämpfen waren, so ist es doch
keineswegs wahrscheinlich, dass z. B. die Sentenz: wer
unter euch der grösste sein will, sei Aller Diener, 1) bei
der Aufstellung des Kindes, 2) aus Anlass der Bitte der
Zebedaiden, 3) in der antipharisäischen Rede, und 4) bei
dem lezten Mahle gesprochen worden sei. Sondern hier
findet augenscheinlich eine traditionelle Verwirrung statt,
sei es nun, dass, wie Sieffert in solchen Fällen gerne an-
nimmt, mehrere ursprünglich verschiedene Vorgänge in
der Sage assimilirt, d. h. hier dieselben Reden irrig bei
verschiedenen Anlässen wiederholt, oder dass aus Einem
Falle durch die Sage mehrere gemacht, d. h. hier zu den-
selben Reden verschiedene Veranlassungen erdacht worden
sind. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten wird darnach
entschieden werden müssen, ob die verschiedenen Fakta,
an welche die analogen Demuthsreden sich knüpfen, eher
das unselbstständige Ansehen blosser Rahmen für die Re-
den, oder das selbstständige von Vorgängen haben, welche
ihre Wahrheit und Bedeutsamkeit in sich selbst tragen.

Hier nun wird vor Allen der Bitte der Zebedaiden
nicht abgesprochen werden können, für sich schon etwas
so Bestimmtes und Merkwürdiges zu sein, dass sie gar
nicht darnach aussieht, nur als Einfassung der folgenden
Reden sich angesezt zu haben, und ebenso wird man über
die Aufstellung des Kindes urtheilen müssen: so dass wir

Zweiter Abschnitt.
mit denselben Worten, niederzuschlagen sucht, wie nach
Matthäus und Markus die über die Bitte der Zebedaiden
unter den Jüngern entstandene ἀγανάκτησις, worunter ein
Ausspruch sich findet, den Lukas selbst und Markus auch
bei der Aufstellung des Kindes schon fast ebenso gehabt
haben, und welchen Matthäus, ausser bei der Bitte der Sa-
lome, auch noch in der groſsen antipharisäischen Rede hat
(vgl. Luc. 22, 26. Marc. 9, 35. Luc. 9, 48. Matth. 20, 26 f.
23, 11.). So glaublich es nun auch sein mag, daſs bei den
weltlichen Messiashoffnungen der Jünger öfters Rangstrei-
tigkeiten unter ihnen zu dämpfen waren, so ist es doch
keineswegs wahrscheinlich, daſs z. B. die Sentenz: wer
unter euch der gröſste sein will, sei Aller Diener, 1) bei
der Aufstellung des Kindes, 2) aus Anlaſs der Bitte der
Zebedaiden, 3) in der antipharisäischen Rede, und 4) bei
dem lezten Mahle gesprochen worden sei. Sondern hier
findet augenscheinlich eine traditionelle Verwirrung statt,
sei es nun, daſs, wie Sieffert in solchen Fällen gerne an-
nimmt, mehrere ursprünglich verschiedene Vorgänge in
der Sage assimilirt, d. h. hier dieselben Reden irrig bei
verschiedenen Anlässen wiederholt, oder daſs aus Einem
Falle durch die Sage mehrere gemacht, d. h. hier zu den-
selben Reden verschiedene Veranlassungen erdacht worden
sind. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten wird darnach
entschieden werden müssen, ob die verschiedenen Fakta,
an welche die analogen Demuthsreden sich knüpfen, eher
das unselbstständige Ansehen bloſser Rahmen für die Re-
den, oder das selbstständige von Vorgängen haben, welche
ihre Wahrheit und Bedeutsamkeit in sich selbst tragen.

Hier nun wird vor Allen der Bitte der Zebedaiden
nicht abgesprochen werden können, für sich schon etwas
so Bestimmtes und Merkwürdiges zu sein, daſs sie gar
nicht darnach aussieht, nur als Einfassung der folgenden
Reden sich angesezt zu haben, und ebenso wird man über
die Aufstellung des Kindes urtheilen müssen: so daſs wir

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[698/0722] Zweiter Abschnitt. mit denselben Worten, niederzuschlagen sucht, wie nach Matthäus und Markus die über die Bitte der Zebedaiden unter den Jüngern entstandene ἀγανάκτησις, worunter ein Ausspruch sich findet, den Lukas selbst und Markus auch bei der Aufstellung des Kindes schon fast ebenso gehabt haben, und welchen Matthäus, ausser bei der Bitte der Sa- lome, auch noch in der groſsen antipharisäischen Rede hat (vgl. Luc. 22, 26. Marc. 9, 35. Luc. 9, 48. Matth. 20, 26 f. 23, 11.). So glaublich es nun auch sein mag, daſs bei den weltlichen Messiashoffnungen der Jünger öfters Rangstrei- tigkeiten unter ihnen zu dämpfen waren, so ist es doch keineswegs wahrscheinlich, daſs z. B. die Sentenz: wer unter euch der gröſste sein will, sei Aller Diener, 1) bei der Aufstellung des Kindes, 2) aus Anlaſs der Bitte der Zebedaiden, 3) in der antipharisäischen Rede, und 4) bei dem lezten Mahle gesprochen worden sei. Sondern hier findet augenscheinlich eine traditionelle Verwirrung statt, sei es nun, daſs, wie Sieffert in solchen Fällen gerne an- nimmt, mehrere ursprünglich verschiedene Vorgänge in der Sage assimilirt, d. h. hier dieselben Reden irrig bei verschiedenen Anlässen wiederholt, oder daſs aus Einem Falle durch die Sage mehrere gemacht, d. h. hier zu den- selben Reden verschiedene Veranlassungen erdacht worden sind. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten wird darnach entschieden werden müssen, ob die verschiedenen Fakta, an welche die analogen Demuthsreden sich knüpfen, eher das unselbstständige Ansehen bloſser Rahmen für die Re- den, oder das selbstständige von Vorgängen haben, welche ihre Wahrheit und Bedeutsamkeit in sich selbst tragen. Hier nun wird vor Allen der Bitte der Zebedaiden nicht abgesprochen werden können, für sich schon etwas so Bestimmtes und Merkwürdiges zu sein, daſs sie gar nicht darnach aussieht, nur als Einfassung der folgenden Reden sich angesezt zu haben, und ebenso wird man über die Aufstellung des Kindes urtheilen müssen: so daſs wir

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 698. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/722>, abgerufen am 26.11.2024.