sich nur etwa die historisch-mythische Erklärungsweise ab, aber eben sofern sie keine ächt-mythische, sondern mit der natürlichen identisch ist). Namentlich eine Erklärung der Wunder, meint Greiling, dürfe das Faktum selbst nicht verändern und durch die Auslegung taschenspielerisch ein andres unterschieben (was nur die natürliche Erklärung thut), sonst würde ja das dem Verstand anstössige Objekt nicht erklärt, sondern das vorausgesezte Faktum geleug- net, womit die Aufgabe nicht gelöst wäre (es ist falsch, zu behaupten, dass ein Faktum zur Erklärung vorliege; was unmittelbar vorliegt, ist nur ein Bericht, von welchem erst ausgemacht werden muss, ob ihm ein Faktum zum Grunde liegt, oder nicht). Statt dessen müssen nach dem angeführten Gelehrten namentlich die von Jesu verrichte- ten Wunder natürlich, näher psychologisch, erklärt wer- den, wobei man dann am wenigsten Ursache habe, die er- zählten Thatsachen zu verändern, zu beschneiden, mit Dichtungen so lange zu versetzen, bis sie selbst zur Dich- tung werden (mit welchem Rechte diess der natürlichen Erklärungsweise nachgerühmt wird, geht schon aus dem Bisherigen hervor) 7).
Ueberhaupt, durchgeht man die Gründe, mit welchen von den bezeichneten beiden Seiten die mythische Erklä- rungsweise bekämpft worden ist: so findet man zum grö- sseren Theile nur Missverständnisse und Cirkel im Beweise. Was soll man z. B. sagen, wenn Paulus die Einleitung zu seinem exegetischen Handbuch mit einer Freude darüber eröffnet, dass das Lukas-Evangelium in seinem Prologe uns recht angelegentlich von der Glaubwürdigkeit der ge- sammelten Thatsachen, und von der prüfenden Sorgfalt des Sammlers versichere; wenn er zuversichtlich fragt, was dadurch entschiedener werde, als dass wir in diesem Evan- gelium keine Mythen, sondern reine Thatsachen bekommen
7)Greiling in Henke's Museum 1, 4, S. 621 ff.
Einleitung. §. 12.
sich nur etwa die historisch-mythische Erklärungsweise ab, aber eben sofern sie keine ächt-mythische, sondern mit der natürlichen identisch ist). Namentlich eine Erklärung der Wunder, meint Greiling, dürfe das Faktum selbst nicht verändern und durch die Auslegung taschenspielerisch ein andres unterschieben (was nur die natürliche Erklärung thut), sonst würde ja das dem Verstand anstöſsige Objekt nicht erklärt, sondern das vorausgesezte Faktum geleug- net, womit die Aufgabe nicht gelöst wäre (es ist falsch, zu behaupten, daſs ein Faktum zur Erklärung vorliege; was unmittelbar vorliegt, ist nur ein Bericht, von welchem erst ausgemacht werden muſs, ob ihm ein Faktum zum Grunde liegt, oder nicht). Statt dessen müssen nach dem angeführten Gelehrten namentlich die von Jesu verrichte- ten Wunder natürlich, näher psychologisch, erklärt wer- den, wobei man dann am wenigsten Ursache habe, die er- zählten Thatsachen zu verändern, zu beschneiden, mit Dichtungen so lange zu versetzen, bis sie selbst zur Dich- tung werden (mit welchem Rechte dieſs der natürlichen Erklärungsweise nachgerühmt wird, geht schon aus dem Bisherigen hervor) 7).
Ueberhaupt, durchgeht man die Gründe, mit welchen von den bezeichneten beiden Seiten die mythische Erklä- rungsweise bekämpft worden ist: so findet man zum grö- ſseren Theile nur Miſsverständnisse und Cirkel im Beweise. Was soll man z. B. sagen, wenn Paulus die Einleitung zu seinem exegetischen Handbuch mit einer Freude darüber eröffnet, daſs das Lukas-Evangelium in seinem Prologe uns recht angelegentlich von der Glaubwürdigkeit der ge- sammelten Thatsachen, und von der prüfenden Sorgfalt des Sammlers versichere; wenn er zuversichtlich fragt, was dadurch entschiedener werde, als daſs wir in diesem Evan- gelium keine Mythen, sondern reine Thatsachen bekommen
7)Greiling in Henke's Museum 1, 4, S. 621 ff.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0080"n="56"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Einleitung</hi>. §. 12.</fw><lb/>
sich nur etwa die historisch-mythische Erklärungsweise ab,<lb/>
aber eben sofern sie keine ächt-mythische, sondern mit der<lb/>
natürlichen identisch ist). Namentlich eine Erklärung der<lb/>
Wunder, meint <hirendition="#k">Greiling</hi>, dürfe das Faktum selbst nicht<lb/>
verändern und durch die Auslegung taschenspielerisch ein<lb/>
andres unterschieben (was nur die natürliche Erklärung<lb/>
thut), sonst würde ja das dem Verstand anstöſsige Objekt<lb/>
nicht erklärt, sondern das vorausgesezte Faktum geleug-<lb/>
net, womit die Aufgabe nicht gelöst wäre (es ist falsch,<lb/>
zu behaupten, daſs ein Faktum zur Erklärung vorliege;<lb/>
was unmittelbar vorliegt, ist nur ein Bericht, von welchem<lb/>
erst ausgemacht werden muſs, ob ihm ein Faktum zum<lb/>
Grunde liegt, oder nicht). Statt dessen müssen nach dem<lb/>
angeführten Gelehrten namentlich die von Jesu verrichte-<lb/>
ten Wunder natürlich, näher psychologisch, erklärt wer-<lb/>
den, wobei man dann am wenigsten Ursache habe, die er-<lb/>
zählten Thatsachen zu verändern, zu beschneiden, mit<lb/>
Dichtungen so lange zu versetzen, bis sie selbst zur Dich-<lb/>
tung werden (mit welchem Rechte dieſs der natürlichen<lb/>
Erklärungsweise nachgerühmt wird, geht schon aus dem<lb/>
Bisherigen hervor) <noteplace="foot"n="7)"><hirendition="#k">Greiling</hi> in <hirendition="#k">Henke</hi>'s Museum 1, 4, S. 621 ff.</note>.</p><lb/><p>Ueberhaupt, durchgeht man die Gründe, mit welchen<lb/>
von den bezeichneten beiden Seiten die mythische Erklä-<lb/>
rungsweise bekämpft worden ist: so findet man zum grö-<lb/>ſseren Theile nur Miſsverständnisse und Cirkel im Beweise.<lb/>
Was soll man z. B. sagen, wenn <hirendition="#k">Paulus</hi> die Einleitung zu<lb/>
seinem exegetischen Handbuch mit einer Freude darüber<lb/>
eröffnet, daſs das Lukas-Evangelium in seinem Prologe<lb/>
uns recht angelegentlich von der Glaubwürdigkeit der ge-<lb/>
sammelten Thatsachen, und von der prüfenden Sorgfalt<lb/>
des Sammlers versichere; wenn er zuversichtlich fragt, was<lb/>
dadurch entschiedener werde, als daſs wir in diesem Evan-<lb/>
gelium keine Mythen, sondern reine Thatsachen bekommen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[56/0080]
Einleitung. §. 12.
sich nur etwa die historisch-mythische Erklärungsweise ab,
aber eben sofern sie keine ächt-mythische, sondern mit der
natürlichen identisch ist). Namentlich eine Erklärung der
Wunder, meint Greiling, dürfe das Faktum selbst nicht
verändern und durch die Auslegung taschenspielerisch ein
andres unterschieben (was nur die natürliche Erklärung
thut), sonst würde ja das dem Verstand anstöſsige Objekt
nicht erklärt, sondern das vorausgesezte Faktum geleug-
net, womit die Aufgabe nicht gelöst wäre (es ist falsch,
zu behaupten, daſs ein Faktum zur Erklärung vorliege;
was unmittelbar vorliegt, ist nur ein Bericht, von welchem
erst ausgemacht werden muſs, ob ihm ein Faktum zum
Grunde liegt, oder nicht). Statt dessen müssen nach dem
angeführten Gelehrten namentlich die von Jesu verrichte-
ten Wunder natürlich, näher psychologisch, erklärt wer-
den, wobei man dann am wenigsten Ursache habe, die er-
zählten Thatsachen zu verändern, zu beschneiden, mit
Dichtungen so lange zu versetzen, bis sie selbst zur Dich-
tung werden (mit welchem Rechte dieſs der natürlichen
Erklärungsweise nachgerühmt wird, geht schon aus dem
Bisherigen hervor) 7).
Ueberhaupt, durchgeht man die Gründe, mit welchen
von den bezeichneten beiden Seiten die mythische Erklä-
rungsweise bekämpft worden ist: so findet man zum grö-
ſseren Theile nur Miſsverständnisse und Cirkel im Beweise.
Was soll man z. B. sagen, wenn Paulus die Einleitung zu
seinem exegetischen Handbuch mit einer Freude darüber
eröffnet, daſs das Lukas-Evangelium in seinem Prologe
uns recht angelegentlich von der Glaubwürdigkeit der ge-
sammelten Thatsachen, und von der prüfenden Sorgfalt
des Sammlers versichere; wenn er zuversichtlich fragt, was
dadurch entschiedener werde, als daſs wir in diesem Evan-
gelium keine Mythen, sondern reine Thatsachen bekommen
7) Greiling in Henke's Museum 1, 4, S. 621 ff.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/80>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.