Hat daher die neuere Kritik mit Recht hier eine Ab- weichung der Relationen zugegeben, so findet sie die ge- nauere Darstellung des Hergangs einstimmig auf Seiten der mittleren Evangelisten, sei es, dass man mit Schonung des Matthäus in seiner Darstellung eine Abkürzung findet, wie sie auch von einem Augenzeugen veranstaltet sein könn- te 4), oder dass man diese mindere Genauigkeit als Zeichen eines nichtapostolischen Ursprungs des ersten Evangeliums ansieht 5). Dass nun Markus und Lukas den von Matthäus verschwiegenen Namen des Bittstellers angeben, und auch seinen Stand genauer als jener bestimmen, kann ebenso- wohl zu Ungunsten, als, wie gewöhnlich, zu Gunsten je- ner beiden ausgelegt werden, da die namentliche Bezeich- nung der Personen, wie schon früher bemerkt, nicht sel- ten Zuthat der späteren Sage ist, wie die blutflüssige Frau erst in der Tradition eines Joh. Malala Veronika 6), das kananäische Weib erst in den Klementinen Justa heisst 7), und die beiden Mitgekreuzigten Jesu erst im Evangelium Nicodemi Gestas und Demas 8). Das monogenes des Lu- kas ohnehin dient nur, die Scene rührender zu machen, und das eton dodeka konnte er und nach ihm Markus aus der Geschichte der Blutflüssigen heraufnehmen. Die Dif- ferenz, dass nach Matthäus das Mädchen schon Anfangs als gestorben, nach den beiden andern erst als sterbend angekündigt wird, müsste man sehr oberflächlich angese- hen haben, wenn man dieselbe nach unserem eigenen Ka- non zu Ungunsten des Matthäus unter dem Vorwand ge-
macher, über den Lukas, S. 132. und Fritzsche, in Matth. p. 347 f.
4)Olshausen, 1, S. 323.
5)Schleiermacher, a. a. O. S. 131 ff.; Schulz, über das Abendm. S. 316 f.
6) s. Fabricius, Cod. apocr. N. T. 2, S. 449 ff.
7) Homil. 2, 19.
8) Cap. 10.
Neuntes Kapitel. §. 96.
Hat daher die neuere Kritik mit Recht hier eine Ab- weichung der Relationen zugegeben, so findet sie die ge- nauere Darstellung des Hergangs einstimmig auf Seiten der mittleren Evangelisten, sei es, daſs man mit Schonung des Matthäus in seiner Darstellung eine Abkürzung findet, wie sie auch von einem Augenzeugen veranstaltet sein könn- te 4), oder daſs man diese mindere Genauigkeit als Zeichen eines nichtapostolischen Ursprungs des ersten Evangeliums ansieht 5). Daſs nun Markus und Lukas den von Matthäus verschwiegenen Namen des Bittstellers angeben, und auch seinen Stand genauer als jener bestimmen, kann ebenso- wohl zu Ungunsten, als, wie gewöhnlich, zu Gunsten je- ner beiden ausgelegt werden, da die namentliche Bezeich- nung der Personen, wie schon früher bemerkt, nicht sel- ten Zuthat der späteren Sage ist, wie die blutflüssige Frau erst in der Tradition eines Joh. Malala Veronika 6), das kananäische Weib erst in den Klementinen Justa heiſst 7), und die beiden Mitgekreuzigten Jesu erst im Evangelium Nicodemi Gestas und Demas 8). Das μονογενὴς des Lu- kas ohnehin dient nur, die Scene rührender zu machen, und das ἐτῶν δώδεκα konnte er und nach ihm Markus aus der Geschichte der Blutflüssigen heraufnehmen. Die Dif- ferenz, daſs nach Matthäus das Mädchen schon Anfangs als gestorben, nach den beiden andern erst als sterbend angekündigt wird, müſste man sehr oberflächlich angese- hen haben, wenn man dieselbe nach unserem eigenen Ka- non zu Ungunsten des Matthäus unter dem Vorwand ge-
macher, über den Lukas, S. 132. und Fritzsche, in Matth. p. 347 f.
4)Olshausen, 1, S. 323.
5)Schleiermacher, a. a. O. S. 131 ff.; Schulz, über das Abendm. S. 316 f.
6) s. Fabricius, Cod. apocr. N. T. 2, S. 449 ff.
7) Homil. 2, 19.
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Neuntes Kapitel. §. 96.
Hat daher die neuere Kritik mit Recht hier eine Ab-
weichung der Relationen zugegeben, so findet sie die ge-
nauere Darstellung des Hergangs einstimmig auf Seiten der
mittleren Evangelisten, sei es, daſs man mit Schonung des
Matthäus in seiner Darstellung eine Abkürzung findet, wie
sie auch von einem Augenzeugen veranstaltet sein könn-
te 4), oder daſs man diese mindere Genauigkeit als Zeichen
eines nichtapostolischen Ursprungs des ersten Evangeliums
ansieht 5). Daſs nun Markus und Lukas den von Matthäus
verschwiegenen Namen des Bittstellers angeben, und auch
seinen Stand genauer als jener bestimmen, kann ebenso-
wohl zu Ungunsten, als, wie gewöhnlich, zu Gunsten je-
ner beiden ausgelegt werden, da die namentliche Bezeich-
nung der Personen, wie schon früher bemerkt, nicht sel-
ten Zuthat der späteren Sage ist, wie die blutflüssige Frau
erst in der Tradition eines Joh. Malala Veronika 6), das
kananäische Weib erst in den Klementinen Justa heiſst 7),
und die beiden Mitgekreuzigten Jesu erst im Evangelium
Nicodemi Gestas und Demas 8). Das μονογενὴς des Lu-
kas ohnehin dient nur, die Scene rührender zu machen,
und das ἐτῶν δώδεκα konnte er und nach ihm Markus aus
der Geschichte der Blutflüssigen heraufnehmen. Die Dif-
ferenz, daſs nach Matthäus das Mädchen schon Anfangs
als gestorben, nach den beiden andern erst als sterbend
angekündigt wird, müſste man sehr oberflächlich angese-
hen haben, wenn man dieselbe nach unserem eigenen Ka-
non zu Ungunsten des Matthäus unter dem Vorwand ge-
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4) Olshausen, 1, S. 323.
5) Schleiermacher, a. a. O. S. 131 ff.; Schulz, über das Abendm.
S. 316 f.
6) s. Fabricius, Cod. apocr. N. T. 2, S. 449 ff.
7) Homil. 2, 19.
8) Cap. 10.
3) macher, über den Lukas, S. 132. und Fritzsche, in Matth.
p. 347 f.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/154>, abgerufen am 21.11.2024.
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