Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Neuntes Kapitel. §. 96. waltsamem Zurückdrängen des Schmerzens über den Toddes Freundes verstanden, der sich hierauf in dem edakru- sen Luft gemacht habe. Allein sowohl nach der Etymolo- gie, nach welcher es fremere in aliquem oder in se heisst, als nach der Analogie des N. T.lichen Sprachgebrauchs, wo es Matth. 9, 30. Marc. 1, 43. 14, 5. immer nur im Sinne von increpare aliquem vorkommt, bezeichnet embrimasthai eine Bewegung des Zorns, nicht des Schmerzens, und zwar müsste es hier, wo es nicht mit dem Dativ einer andern Person, sondern mit to pneumati und en eauto verbunden ist, von einem stillen, verhaltenen Unwillen verstanden wer- den. In diesem Sinne würde es V. 38, wo es zum zwei- tenmal vorkommt, ganz wohl passen, denn in der voran- gegangenen Äusserung der Juden: ouk edunato outos, o anoixas tous ophthalmous tou tuphlou, poiesai ina kai outos me apothane; liegt jedenfalls ein skandalizesthai, indem Jesu frühere That sie an seinem jetzigen Benehmen, und dieses hinwiederum an jener irre machte. Wo aber das erstemal von einem embrimasthai die Rede ist, V. 33, scheint zwar das allgemeine Weinen Jesum eher zu einer wehmüthigen als unwilligen Bewegung haben veranlassen zu können: doch war auch hier eine starke Missbilligung der sich zei- genden oligopistia möglich. Dass hierauf Jesus selbst in Thränen ausbrach, beweist nur, dass sein Unwille über die genea apisos um ihn her sich in Wehmuth auflöste, nicht aber, dass Wehmuth von Anfang an seine Empfin- dung war. Endlich, dass die Juden (V. 36.) die Thränen Jesu als Zeichen auslegten, pos ephilei auton, diess scheint eher gegen als für diejenigen zu sprechen, welche die Ge- müthsbewegung Jesu als Schmerz über den Tod des Freun- des und Mitgefühl mit dessen Schwestern betrachten, da, wie der Charakter der johanneischen Darstellung überhaupt eher einen Gegensaz zwischen dem wirklichen Sinn des Be- nehmens Jesu und der Art, wie die Zuschauer es auffass- ten, erwarten lässt, so insbesondere oi Ioudaioi in diesem 10 *
Neuntes Kapitel. §. 96. waltsamem Zurückdrängen des Schmerzens über den Toddes Freundes verstanden, der sich hierauf in dem ἐδάκρυ- σεν Luft gemacht habe. Allein sowohl nach der Etymolo- gie, nach welcher es fremere in aliquem oder in se heiſst, als nach der Analogie des N. T.lichen Sprachgebrauchs, wo es Matth. 9, 30. Marc. 1, 43. 14, 5. immer nur im Sinne von increpare aliquem vorkommt, bezeichnet ἐμβριμᾶσϑαι eine Bewegung des Zorns, nicht des Schmerzens, und zwar müſste es hier, wo es nicht mit dem Dativ einer andern Person, sondern mit τῷ πνεύματι und ἐν ἑαυτῷ verbunden ist, von einem stillen, verhaltenen Unwillen verstanden wer- den. In diesem Sinne würde es V. 38, wo es zum zwei- tenmal vorkommt, ganz wohl passen, denn in der voran- gegangenen Äusserung der Juden: οὐκ ἠδύνατο οὗτος, ὁ ἀνοίξας τοὺς ὀφϑαλμοὺς τοῦ τυφλοῦ, ποιῆσαι ἵνα καὶ οὗτος μὴ ἀποϑάνῃ; liegt jedenfalls ein σκανδαλίζεσϑαι, indem Jesu frühere That sie an seinem jetzigen Benehmen, und dieses hinwiederum an jener irre machte. Wo aber das erstemal von einem ἐμβριμᾶσϑαι die Rede ist, V. 33, scheint zwar das allgemeine Weinen Jesum eher zu einer wehmüthigen als unwilligen Bewegung haben veranlassen zu können: doch war auch hier eine starke Miſsbilligung der sich zei- genden ὀλιγοπιστία möglich. Daſs hierauf Jesus selbst in Thränen ausbrach, beweist nur, daſs sein Unwille über die γενεὰ ἄπιςος um ihn her sich in Wehmuth auflöste, nicht aber, daſs Wehmuth von Anfang an seine Empfin- dung war. Endlich, daſs die Juden (V. 36.) die Thränen Jesu als Zeichen auslegten, πῶς ἐφίλει αὐτὸν, dieſs scheint eher gegen als für diejenigen zu sprechen, welche die Ge- müthsbewegung Jesu als Schmerz über den Tod des Freun- des und Mitgefühl mit dessen Schwestern betrachten, da, wie der Charakter der johanneischen Darstellung überhaupt eher einen Gegensaz zwischen dem wirklichen Sinn des Be- nehmens Jesu und der Art, wie die Zuschauer es auffaſs- ten, erwarten läſst, so insbesondere οἱ Ἰουδαῖοι in diesem 10 *
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Neuntes Kapitel. §. 96.
waltsamem Zurückdrängen des Schmerzens über den Tod
des Freundes verstanden, der sich hierauf in dem ἐδάκρυ-
σεν Luft gemacht habe. Allein sowohl nach der Etymolo-
gie, nach welcher es fremere in aliquem oder in se heiſst,
als nach der Analogie des N. T.lichen Sprachgebrauchs, wo
es Matth. 9, 30. Marc. 1, 43. 14, 5. immer nur im Sinne
von increpare aliquem vorkommt, bezeichnet ἐμβριμᾶσϑαι
eine Bewegung des Zorns, nicht des Schmerzens, und zwar
müſste es hier, wo es nicht mit dem Dativ einer andern
Person, sondern mit τῷ πνεύματι und ἐν ἑαυτῷ verbunden
ist, von einem stillen, verhaltenen Unwillen verstanden wer-
den. In diesem Sinne würde es V. 38, wo es zum zwei-
tenmal vorkommt, ganz wohl passen, denn in der voran-
gegangenen Äusserung der Juden: οὐκ ἠδύνατο οὗτος, ὁ
ἀνοίξας τοὺς ὀφϑαλμοὺς τοῦ τυφλοῦ, ποιῆσαι ἵνα καὶ οὗτος μὴ
ἀποϑάνῃ; liegt jedenfalls ein σκανδαλίζεσϑαι, indem Jesu
frühere That sie an seinem jetzigen Benehmen, und dieses
hinwiederum an jener irre machte. Wo aber das erstemal
von einem ἐμβριμᾶσϑαι die Rede ist, V. 33, scheint zwar
das allgemeine Weinen Jesum eher zu einer wehmüthigen
als unwilligen Bewegung haben veranlassen zu können:
doch war auch hier eine starke Miſsbilligung der sich zei-
genden ὀλιγοπιστία möglich. Daſs hierauf Jesus selbst in
Thränen ausbrach, beweist nur, daſs sein Unwille über
die γενεὰ ἄπιςος um ihn her sich in Wehmuth auflöste,
nicht aber, daſs Wehmuth von Anfang an seine Empfin-
dung war. Endlich, daſs die Juden (V. 36.) die Thränen
Jesu als Zeichen auslegten, πῶς ἐφίλει αὐτὸν, dieſs scheint
eher gegen als für diejenigen zu sprechen, welche die Ge-
müthsbewegung Jesu als Schmerz über den Tod des Freun-
des und Mitgefühl mit dessen Schwestern betrachten, da,
wie der Charakter der johanneischen Darstellung überhaupt
eher einen Gegensaz zwischen dem wirklichen Sinn des Be-
nehmens Jesu und der Art, wie die Zuschauer es auffaſs-
ten, erwarten läſst, so insbesondere οἱ Ἰουδαῖοι in diesem
10 *
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