Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. sezt hatte, weggelassen habe 28). Diese Auskunft hatGabler in erweiterte Anwendung gebracht. Nicht bloss über den bezeichneten Ausspruch theilt er die Paulus'sche Vermuthung, sondern schon V. 4. ist er geneigt, das uper tes doxes tou theou nur auf Rechnung des Evangelisten zu schreiben; ebenso V. 15., bei dem khairo di umas, ina piseu- sete, oti ouk emen ekei, vermuthet er eine kleine, von Jo- hannes nach dem Erfolg angebrachte Verstärkung; endlich auch bei den Worten der Martha, V. 22.: alla kai nun oida k. t. l. giebt er dem Gedanken an einen eigenen Zu- saz des Referenten Raum 29). Durch diese Wendung hat die natürliche Auslegungsweise sich selbst als unfähig be- kannt, mit der johanneischen Erzählung fertig zu wer- den. Denn wenn sie, um sich an derselben geltend ma- chen zu können, mehrere, gerade der bezeichnendsten Stellen ausmerzen muss, so gesteht sie damit eben, dass die Erzählung, so wie sie vorliegt, eine natürliche Deu- tung nicht zulässt. Zwar sind die Stellen, deren Unver- träglichkeit mit der rationalistischen Erklärungsart durch Ausscheidung derselben eingestanden wird, sehr sparsam gewählt: allein aus der obigen Darstellung erhellt, dass, wollte man alle in diesem Abschnitt vorkommende Züge, welche der natürlichen Ansicht vom ganzen Hergang wi- derstreben, auf Rechnung des Evangelisten schreiben, am Ende nur nicht gar Alles, was hier verhandelt wird, als spätere Erdichtung angesehen werden müsste. Hiemit ist, was bei den früher betrachteten zwei Berichten von Tod- 28) So im Commentar, 4, S. 537; im L. J. 1, b, S. 57, und 2, b, S. 46. wird diese Vermuthung nicht mehr angewendet. 29) a. a. O. S. 272 ff. Wie Gabler diese Äusserungen nicht von
Jesu, sondern nur von Johannes, so glaubte sie Dieffenbach, in Bertholdt's krit. Journal, 5, S. 7 ff., auch nicht von Jo- hannes ableiten zu können, und da er das übrige Evangelium für johanneisch hielt, so erklärte er jene Stellen für Inter- polationen. Zweiter Abschnitt. sezt hatte, weggelassen habe 28). Diese Auskunft hatGabler in erweiterte Anwendung gebracht. Nicht bloſs über den bezeichneten Ausspruch theilt er die Paulus'sche Vermuthung, sondern schon V. 4. ist er geneigt, das ὑπὲρ τῆς δόξης τοῦ ϑεοῦ nur auf Rechnung des Evangelisten zu schreiben; ebenso V. 15., bei dem χαίρω δἰ ὑμᾶς, ἵνα πιςεύ- σητε, ὅτι ουκ ἤμην ἐκεῖ, vermuthet er eine kleine, von Jo- hannes nach dem Erfolg angebrachte Verstärkung; endlich auch bei den Worten der Martha, V. 22.: ἀλλὰ καὶ νῦν οἶδα κ. τ. λ. giebt er dem Gedanken an einen eigenen Zu- saz des Referenten Raum 29). Durch diese Wendung hat die natürliche Auslegungsweise sich selbst als unfähig be- kannt, mit der johanneischen Erzählung fertig zu wer- den. Denn wenn sie, um sich an derselben geltend ma- chen zu können, mehrere, gerade der bezeichnendsten Stellen ausmerzen muſs, so gesteht sie damit eben, daſs die Erzählung, so wie sie vorliegt, eine natürliche Deu- tung nicht zuläſst. Zwar sind die Stellen, deren Unver- träglichkeit mit der rationalistischen Erklärungsart durch Ausscheidung derselben eingestanden wird, sehr sparsam gewählt: allein aus der obigen Darstellung erhellt, daſs, wollte man alle in diesem Abschnitt vorkommende Züge, welche der natürlichen Ansicht vom ganzen Hergang wi- derstreben, auf Rechnung des Evangelisten schreiben, am Ende nur nicht gar Alles, was hier verhandelt wird, als spätere Erdichtung angesehen werden müſste. Hiemit ist, was bei den früher betrachteten zwei Berichten von Tod- 28) So im Commentar, 4, S. 537; im L. J. 1, b, S. 57, und 2, b, S. 46. wird diese Vermuthung nicht mehr angewendet. 29) a. a. O. S. 272 ff. Wie Gabler diese Äusserungen nicht von
Jesu, sondern nur von Johannes, so glaubte sie Dieffenbach, in Bertholdt's krit. Journal, 5, S. 7 ff., auch nicht von Jo- hannes ableiten zu können, und da er das übrige Evangelium für johanneisch hielt, so erklärte er jene Stellen für Inter- polationen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0171" n="152"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> sezt hatte, weggelassen habe <note place="foot" n="28)">So im Commentar, 4, S. 537; im L. J. 1, b, S. 57, und 2,<lb/> b, S. 46. wird diese Vermuthung nicht mehr angewendet.</note>. Diese Auskunft hat<lb/><hi rendition="#k">Gabler</hi> in erweiterte Anwendung gebracht. Nicht bloſs<lb/> über den bezeichneten Ausspruch theilt er die <hi rendition="#k">Paulus</hi>'sche<lb/> Vermuthung, sondern schon V. 4. ist er geneigt, das <foreign xml:lang="ell">ὑπὲρ<lb/> τῆς δόξης τοῦ ϑεοῦ</foreign> nur auf Rechnung des Evangelisten zu<lb/> schreiben; ebenso V. 15., bei dem <foreign xml:lang="ell">χαίρω δἰ ὑμᾶς, ἵνα πιςεύ-<lb/> σητε, ὅτι ουκ ἤμην ἐκεῖ</foreign>, vermuthet er eine kleine, von Jo-<lb/> hannes nach dem Erfolg angebrachte Verstärkung; endlich<lb/> auch bei den Worten der Martha, V. 22.: <foreign xml:lang="ell">ἀλλὰ καὶ νῦν<lb/> οἶδα κ. τ. λ.</foreign> giebt er dem Gedanken an einen eigenen Zu-<lb/> saz des Referenten Raum <note place="foot" n="29)">a. a. O. S. 272 ff. Wie <hi rendition="#k">Gabler</hi> diese Äusserungen nicht von<lb/> Jesu, sondern nur von Johannes, so glaubte sie <hi rendition="#k">Dieffenbach</hi>,<lb/> in <hi rendition="#k">Bertholdt</hi>'s krit. Journal, 5, S. 7 ff., auch nicht von Jo-<lb/> hannes ableiten zu können, und da er das übrige Evangelium<lb/> für johanneisch hielt, so erklärte er jene Stellen für Inter-<lb/> polationen.</note>. Durch diese Wendung hat<lb/> die natürliche Auslegungsweise sich selbst als unfähig be-<lb/> kannt, mit der johanneischen Erzählung fertig zu wer-<lb/> den. Denn wenn sie, um sich an derselben geltend ma-<lb/> chen zu können, mehrere, gerade der bezeichnendsten<lb/> Stellen ausmerzen muſs, so gesteht sie damit eben, daſs<lb/> die Erzählung, so wie sie vorliegt, eine natürliche Deu-<lb/> tung nicht zuläſst. Zwar sind die Stellen, deren Unver-<lb/> träglichkeit mit der rationalistischen Erklärungsart durch<lb/> Ausscheidung derselben eingestanden wird, sehr sparsam<lb/> gewählt: allein aus der obigen Darstellung erhellt, daſs,<lb/> wollte man alle in diesem Abschnitt vorkommende Züge,<lb/> welche der natürlichen Ansicht vom ganzen Hergang wi-<lb/> derstreben, auf Rechnung des Evangelisten schreiben, am<lb/> Ende nur nicht gar Alles, was hier verhandelt wird, als<lb/> spätere Erdichtung angesehen werden müſste. Hiemit ist,<lb/> was bei den früher betrachteten zwei Berichten von Tod-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [152/0171]
Zweiter Abschnitt.
sezt hatte, weggelassen habe 28). Diese Auskunft hat
Gabler in erweiterte Anwendung gebracht. Nicht bloſs
über den bezeichneten Ausspruch theilt er die Paulus'sche
Vermuthung, sondern schon V. 4. ist er geneigt, das ὑπὲρ
τῆς δόξης τοῦ ϑεοῦ nur auf Rechnung des Evangelisten zu
schreiben; ebenso V. 15., bei dem χαίρω δἰ ὑμᾶς, ἵνα πιςεύ-
σητε, ὅτι ουκ ἤμην ἐκεῖ, vermuthet er eine kleine, von Jo-
hannes nach dem Erfolg angebrachte Verstärkung; endlich
auch bei den Worten der Martha, V. 22.: ἀλλὰ καὶ νῦν
οἶδα κ. τ. λ. giebt er dem Gedanken an einen eigenen Zu-
saz des Referenten Raum 29). Durch diese Wendung hat
die natürliche Auslegungsweise sich selbst als unfähig be-
kannt, mit der johanneischen Erzählung fertig zu wer-
den. Denn wenn sie, um sich an derselben geltend ma-
chen zu können, mehrere, gerade der bezeichnendsten
Stellen ausmerzen muſs, so gesteht sie damit eben, daſs
die Erzählung, so wie sie vorliegt, eine natürliche Deu-
tung nicht zuläſst. Zwar sind die Stellen, deren Unver-
träglichkeit mit der rationalistischen Erklärungsart durch
Ausscheidung derselben eingestanden wird, sehr sparsam
gewählt: allein aus der obigen Darstellung erhellt, daſs,
wollte man alle in diesem Abschnitt vorkommende Züge,
welche der natürlichen Ansicht vom ganzen Hergang wi-
derstreben, auf Rechnung des Evangelisten schreiben, am
Ende nur nicht gar Alles, was hier verhandelt wird, als
spätere Erdichtung angesehen werden müſste. Hiemit ist,
was bei den früher betrachteten zwei Berichten von Tod-
28) So im Commentar, 4, S. 537; im L. J. 1, b, S. 57, und 2,
b, S. 46. wird diese Vermuthung nicht mehr angewendet.
29) a. a. O. S. 272 ff. Wie Gabler diese Äusserungen nicht von
Jesu, sondern nur von Johannes, so glaubte sie Dieffenbach,
in Bertholdt's krit. Journal, 5, S. 7 ff., auch nicht von Jo-
hannes ableiten zu können, und da er das übrige Evangelium
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