gehöriger geschildert, so dass, wenn die Wirklichkeit des Todes im ersten Falle bezweifelt werden konnte, diess bei'm zweiten schon schwerer, bei'm dritten so viel wie unmöglich ist 31). In dieser Abstufung steigt dann auch die Schwierigkeit, die drei Begebenheiten sich denkbar zu machen: wenn anders, wo die Sache selbst undenkbar ist, zwischen verschiedenen Modificationen derselben eine Stei- gerung der Undenkbarkeit stattfinden kann. Wäre näm- lich eine Todtenerweckung überhaupt möglich, so müsste sie wohl eher möglich sein bei einem so eben verschiede- nen, noch lebenswarmen Individuum, als bei einem erkal- teten, das schon zu Grabe getragen wird, und wiederum bei diesem eher als bei einem solchen, an welchem wegen bereits viertägigen Aufenthalts im Grabe der Anfang der Verwesung als eingetreten vorausgesezt, und dass sich diese Voraussetzung bestätigt habe, wenigstens nicht ver- neint wird.
Doch auch abgesehen von dem Wunderbaren ist von den betrachteten Geschichten immer die folgende theils in- nerlich unwahrscheinlicher, theils äusserlich unverbürgter als die vorhergehende. Was die innere Unwahrscheinlich- keit betrifft, so tritt ein Moment derselben, welches an sich zwar in allen, und somit auch in der ersten liegt, doch bei der zweiten besonders hervor. Als Motiv, war- um Jesus den Jüngling zu Nain erweckte, wird hier das Mitleiden mit seiner Mutter bezeichnet (V. 13.). Damit ist nach Olshausen eine Beziehung dieser Handlung auf den Erweckten selbst nicht ausgeschlossen. Denn der Mensch, bemerkt er, kann als bewusstes Wesen nie bloss als Mittel behandelt werden, wie es hier der Fall wäre, wenn man die Freude der Mutter als alleinigen Zweck Jesu bei der Auferweckung des Jünglings betrachten woll- te 32). Hiedurch hat Olshausen auf dankenswerthe Weise
31)Bretschneider, Probab. S. 61.
32) 1, S. 276.
Neuntes Kapitel. §. 96.
gehöriger geschildert, so daſs, wenn die Wirklichkeit des Todes im ersten Falle bezweifelt werden konnte, dieſs bei'm zweiten schon schwerer, bei'm dritten so viel wie unmöglich ist 31). In dieser Abstufung steigt dann auch die Schwierigkeit, die drei Begebenheiten sich denkbar zu machen: wenn anders, wo die Sache selbst undenkbar ist, zwischen verschiedenen Modificationen derselben eine Stei- gerung der Undenkbarkeit stattfinden kann. Wäre näm- lich eine Todtenerweckung überhaupt möglich, so müſste sie wohl eher möglich sein bei einem so eben verschiede- nen, noch lebenswarmen Individuum, als bei einem erkal- teten, das schon zu Grabe getragen wird, und wiederum bei diesem eher als bei einem solchen, an welchem wegen bereits viertägigen Aufenthalts im Grabe der Anfang der Verwesung als eingetreten vorausgesezt, und daſs sich diese Voraussetzung bestätigt habe, wenigstens nicht ver- neint wird.
Doch auch abgesehen von dem Wunderbaren ist von den betrachteten Geschichten immer die folgende theils in- nerlich unwahrscheinlicher, theils äusserlich unverbürgter als die vorhergehende. Was die innere Unwahrscheinlich- keit betrifft, so tritt ein Moment derselben, welches an sich zwar in allen, und somit auch in der ersten liegt, doch bei der zweiten besonders hervor. Als Motiv, war- um Jesus den Jüngling zu Nain erweckte, wird hier das Mitleiden mit seiner Mutter bezeichnet (V. 13.). Damit ist nach Olshausen eine Beziehung dieser Handlung auf den Erweckten selbst nicht ausgeschlossen. Denn der Mensch, bemerkt er, kann als bewuſstes Wesen nie bloſs als Mittel behandelt werden, wie es hier der Fall wäre, wenn man die Freude der Mutter als alleinigen Zweck Jesu bei der Auferweckung des Jünglings betrachten woll- te 32). Hiedurch hat Olshausen auf dankenswerthe Weise
31)Bretschneider, Probab. S. 61.
32) 1, S. 276.
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Neuntes Kapitel. §. 96.
gehöriger geschildert, so daſs, wenn die Wirklichkeit des
Todes im ersten Falle bezweifelt werden konnte, dieſs
bei'm zweiten schon schwerer, bei'm dritten so viel wie
unmöglich ist 31). In dieser Abstufung steigt dann auch
die Schwierigkeit, die drei Begebenheiten sich denkbar zu
machen: wenn anders, wo die Sache selbst undenkbar ist,
zwischen verschiedenen Modificationen derselben eine Stei-
gerung der Undenkbarkeit stattfinden kann. Wäre näm-
lich eine Todtenerweckung überhaupt möglich, so müſste
sie wohl eher möglich sein bei einem so eben verschiede-
nen, noch lebenswarmen Individuum, als bei einem erkal-
teten, das schon zu Grabe getragen wird, und wiederum
bei diesem eher als bei einem solchen, an welchem wegen
bereits viertägigen Aufenthalts im Grabe der Anfang der
Verwesung als eingetreten vorausgesezt, und daſs sich
diese Voraussetzung bestätigt habe, wenigstens nicht ver-
neint wird.
Doch auch abgesehen von dem Wunderbaren ist von
den betrachteten Geschichten immer die folgende theils in-
nerlich unwahrscheinlicher, theils äusserlich unverbürgter
als die vorhergehende. Was die innere Unwahrscheinlich-
keit betrifft, so tritt ein Moment derselben, welches an
sich zwar in allen, und somit auch in der ersten liegt,
doch bei der zweiten besonders hervor. Als Motiv, war-
um Jesus den Jüngling zu Nain erweckte, wird hier das
Mitleiden mit seiner Mutter bezeichnet (V. 13.). Damit
ist nach Olshausen eine Beziehung dieser Handlung auf
den Erweckten selbst nicht ausgeschlossen. Denn der
Mensch, bemerkt er, kann als bewuſstes Wesen nie bloſs
als Mittel behandelt werden, wie es hier der Fall wäre,
wenn man die Freude der Mutter als alleinigen Zweck
Jesu bei der Auferweckung des Jünglings betrachten woll-
te 32). Hiedurch hat Olshausen auf dankenswerthe Weise
31) Bretschneider, Probab. S. 61.
32) 1, S. 276.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/174>, abgerufen am 21.11.2024.
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