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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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der Thätigkeit Jesu gewesen sein 44); endlich verbreitete
sich ja das Gerücht von dem Ereigniss, wie natürlich, weit
umher (V. 17.). Schleiermacher meint, die nichtapostoli-
schen Verfasser der ersten Aufzeichnungen aus dem Le-
ben Jesu haben weniger gewagt, die vielbeschäftigten Apo-
stel um Notizen anzugehen, sondern mehr die Freunde Je-
su zweiter Ordnung aufgesucht, und hiebei haben sie sich
natürlich am meisten an diejenigen Orte gewendet, wo sie
die reichste Ernte hoffen konnten, nach Kapernaum und
Jerusalem: was sich, wie die in Rede stehende Todtener-
weckung, an andern Orten zugetragen, das habe nicht so
leicht Gemeingut werden können. Allein diese Vorstellung
der Sache ist theils zu subjektiv, indem sie die Verbreitung
der Kunde von Jesu Thaten durch Nachfrage einzelner
Liebhaber und Anekdotensammler gehen lässt, theils, was
damit zusammenhängt, liegt von dergleichen Geschichten
die irrige Ansicht zum Grunde, als wären sie an den
Plätzen, wo sie vorgegangen, wie träge Klumpen zu Boden
gefallen, desselben Orts als todte Schätze verwahrt, und
nur denen, die sich an Ort und Stelle bemühten, vorgezeigt
worden: statt dass dieselben, vielmehr von dem Ort, wo
sie sich begeben oder gebildet haben, lebendig auffliegen,
allenthalben umherschweifen, und nicht selten das Band,
das sie mit dem Ort ihrer Entstehung verknüpft, ganz zer-
reissen, wie wir an unzähligen wahren oder erdichteten
Geschichten täglich sehen, welche als an den verschieden-
sten Orten vorgefallen dargestellt werden. Hat sich ein-
mal eine solche Erzählung gebildet, so ist sie die Substanz,
die angebliche Lokalität das Accidens, keineswegs, wie Schlei-
ermacher
es wendet, der Ort die Substanz, an welche die Er-
zählung als Accidens gebunden wäre. Lässt es sich dem-
nach nicht wohl denken, wie eine Begebenheit dieser Art,
wenn sie wirklich vorgefallen war, ausser der allgemei-
nen Überlieferung bleiben, und daher dem Verfasser des

44) vgl. Winer, b. Realw. d. A.

Zweiter Abschnitt.
der Thätigkeit Jesu gewesen sein 44); endlich verbreitete
sich ja das Gerücht von dem Ereigniſs, wie natürlich, weit
umher (V. 17.). Schleiermacher meint, die nichtapostoli-
schen Verfasser der ersten Aufzeichnungen aus dem Le-
ben Jesu haben weniger gewagt, die vielbeschäftigten Apo-
stel um Notizen anzugehen, sondern mehr die Freunde Je-
su zweiter Ordnung aufgesucht, und hiebei haben sie sich
natürlich am meisten an diejenigen Orte gewendet, wo sie
die reichste Ernte hoffen konnten, nach Kapernaum und
Jerusalem: was sich, wie die in Rede stehende Todtener-
weckung, an andern Orten zugetragen, das habe nicht so
leicht Gemeingut werden können. Allein diese Vorstellung
der Sache ist theils zu subjektiv, indem sie die Verbreitung
der Kunde von Jesu Thaten durch Nachfrage einzelner
Liebhaber und Anekdotensammler gehen läſst, theils, was
damit zusammenhängt, liegt von dergleichen Geschichten
die irrige Ansicht zum Grunde, als wären sie an den
Plätzen, wo sie vorgegangen, wie träge Klumpen zu Boden
gefallen, desselben Orts als todte Schätze verwahrt, und
nur denen, die sich an Ort und Stelle bemühten, vorgezeigt
worden: statt daſs dieselben, vielmehr von dem Ort, wo
sie sich begeben oder gebildet haben, lebendig auffliegen,
allenthalben umherschweifen, und nicht selten das Band,
das sie mit dem Ort ihrer Entstehung verknüpft, ganz zer-
reissen, wie wir an unzähligen wahren oder erdichteten
Geschichten täglich sehen, welche als an den verschieden-
sten Orten vorgefallen dargestellt werden. Hat sich ein-
mal eine solche Erzählung gebildet, so ist sie die Substanz,
die angebliche Lokalität das Accidens, keineswegs, wie Schlei-
ermacher
es wendet, der Ort die Substanz, an welche die Er-
zählung als Accidens gebunden wäre. Läſst es sich dem-
nach nicht wohl denken, wie eine Begebenheit dieser Art,
wenn sie wirklich vorgefallen war, ausser der allgemei-
nen Überlieferung bleiben, und daher dem Verfasser des

44) vgl. Winer, b. Realw. d. A.
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[164/0183] Zweiter Abschnitt. der Thätigkeit Jesu gewesen sein 44); endlich verbreitete sich ja das Gerücht von dem Ereigniſs, wie natürlich, weit umher (V. 17.). Schleiermacher meint, die nichtapostoli- schen Verfasser der ersten Aufzeichnungen aus dem Le- ben Jesu haben weniger gewagt, die vielbeschäftigten Apo- stel um Notizen anzugehen, sondern mehr die Freunde Je- su zweiter Ordnung aufgesucht, und hiebei haben sie sich natürlich am meisten an diejenigen Orte gewendet, wo sie die reichste Ernte hoffen konnten, nach Kapernaum und Jerusalem: was sich, wie die in Rede stehende Todtener- weckung, an andern Orten zugetragen, das habe nicht so leicht Gemeingut werden können. Allein diese Vorstellung der Sache ist theils zu subjektiv, indem sie die Verbreitung der Kunde von Jesu Thaten durch Nachfrage einzelner Liebhaber und Anekdotensammler gehen läſst, theils, was damit zusammenhängt, liegt von dergleichen Geschichten die irrige Ansicht zum Grunde, als wären sie an den Plätzen, wo sie vorgegangen, wie träge Klumpen zu Boden gefallen, desselben Orts als todte Schätze verwahrt, und nur denen, die sich an Ort und Stelle bemühten, vorgezeigt worden: statt daſs dieselben, vielmehr von dem Ort, wo sie sich begeben oder gebildet haben, lebendig auffliegen, allenthalben umherschweifen, und nicht selten das Band, das sie mit dem Ort ihrer Entstehung verknüpft, ganz zer- reissen, wie wir an unzähligen wahren oder erdichteten Geschichten täglich sehen, welche als an den verschieden- sten Orten vorgefallen dargestellt werden. Hat sich ein- mal eine solche Erzählung gebildet, so ist sie die Substanz, die angebliche Lokalität das Accidens, keineswegs, wie Schlei- ermacher es wendet, der Ort die Substanz, an welche die Er- zählung als Accidens gebunden wäre. Läſst es sich dem- nach nicht wohl denken, wie eine Begebenheit dieser Art, wenn sie wirklich vorgefallen war, ausser der allgemei- nen Überlieferung bleiben, und daher dem Verfasser des 44) vgl. Winer, b. Realw. d. A.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/183>, abgerufen am 21.11.2024.