stimmend und besänftigend auf die vernunftlose und selbst auf die leblose Natur einwirkte: so wirkt er in denjenigen Erzählungen, zu deren Betrachtung wir jezt fortschreiten, sogar vermehrend nicht allein auf Naturgegenstände, son- dern selbst auf künstlich verarbeitete Naturprodukte.
Dass Jesus zubereitete Nahrungsmittel auf wunderbare Weise vermehrt, mit wenigen Broten und Fischen eine grosse Menschenmenge gespeist habe, erzählen uns mit sel- tener Einstimmigkeit sämmtliche Evangelisten (Matth. 14, 13 ff. Marc. 6, 30 ff. Luc. 9, 10 ff. Joh. 6, 1 ff.). Und glauben wir den beiden ersten von ihnen, so hat Jesus diess nicht bloss Einmal gethan, sondern Matth. 15, 32 ff. Marc. 8, 1 ff. wird eine zweite Speisung erzählt, bei der es im Wesentlichen ebenso wie bei der ersten zugieng. Sie fällt der Zeit nach etwas später; der Ort ist etwas an- ders bezeichnet, und die Dauer des Aufenthalts der Menge bei Jesu abweichend angegeben; auch ist, was mehr besa- gen will, das Grössenverhältniss zwischen dem Speisevor- rath und der Menschenmenge ein verschiedenes, indem das erstemal mit 5 Broten und 2 Fischen 5000, das zweitemal mit 7 Broten und wenigen Fischen 4000 Mann gesättigt werden, und dort 12, hier 7 Körbe mit Brocken übrig bleiben. Demungeachtet ist nicht nur die Substanz der Geschichte auf beiden Seiten ganz dieselbe: Sättigung ei- ner Volksmenge mit unverhältnissmässig wenigen Nahrungs- mitteln, sondern auch die Ausmalung der Scene ist in den Grundzügen ganz analog: beidemale das Lokal eine einsa- me Gegend in der Nähe des galiläischen Sees; beidemale die Veranlassung des Wunders ein zu langes Verweilen des Volks bei Jesu; beidemale bezeigt Jesus Lust, die Menge aus eigenen Mitteln zu speisen, was die Jünger als eine unmögliche Sache betrachten; beidemale besteht der disponible Speisevorrath in Broten und Fischen; beidemale lässt Jesus die Leute sich lagern und theilt ihnen nach gesprochenem Dankgebet durch Vermittlung seiner Jünger
Zweiter Abschnitt.
stimmend und besänftigend auf die vernunftlose und selbst auf die leblose Natur einwirkte: so wirkt er in denjenigen Erzählungen, zu deren Betrachtung wir jezt fortschreiten, sogar vermehrend nicht allein auf Naturgegenstände, son- dern selbst auf künstlich verarbeitete Naturprodukte.
Daſs Jesus zubereitete Nahrungsmittel auf wunderbare Weise vermehrt, mit wenigen Broten und Fischen eine groſse Menschenmenge gespeist habe, erzählen uns mit sel- tener Einstimmigkeit sämmtliche Evangelisten (Matth. 14, 13 ff. Marc. 6, 30 ff. Luc. 9, 10 ff. Joh. 6, 1 ff.). Und glauben wir den beiden ersten von ihnen, so hat Jesus dieſs nicht bloſs Einmal gethan, sondern Matth. 15, 32 ff. Marc. 8, 1 ff. wird eine zweite Speisung erzählt, bei der es im Wesentlichen ebenso wie bei der ersten zugieng. Sie fällt der Zeit nach etwas später; der Ort ist etwas an- ders bezeichnet, und die Dauer des Aufenthalts der Menge bei Jesu abweichend angegeben; auch ist, was mehr besa- gen will, das Gröſsenverhältniſs zwischen dem Speisevor- rath und der Menschenmenge ein verschiedenes, indem das erstemal mit 5 Broten und 2 Fischen 5000, das zweitemal mit 7 Broten und wenigen Fischen 4000 Mann gesättigt werden, und dort 12, hier 7 Körbe mit Brocken übrig bleiben. Demungeachtet ist nicht nur die Substanz der Geschichte auf beiden Seiten ganz dieselbe: Sättigung ei- ner Volksmenge mit unverhältniſsmäſsig wenigen Nahrungs- mitteln, sondern auch die Ausmalung der Scene ist in den Grundzügen ganz analog: beidemale das Lokal eine einsa- me Gegend in der Nähe des galiläischen Sees; beidemale die Veranlassung des Wunders ein zu langes Verweilen des Volks bei Jesu; beidemale bezeigt Jesus Lust, die Menge aus eigenen Mitteln zu speisen, was die Jünger als eine unmögliche Sache betrachten; beidemale besteht der disponible Speisevorrath in Broten und Fischen; beidemale läſst Jesus die Leute sich lagern und theilt ihnen nach gesprochenem Dankgebet durch Vermittlung seiner Jünger
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0217"n="198"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
stimmend und besänftigend auf die vernunftlose und selbst<lb/>
auf die leblose Natur einwirkte: so wirkt er in denjenigen<lb/>
Erzählungen, zu deren Betrachtung wir jezt fortschreiten,<lb/>
sogar vermehrend nicht allein auf Naturgegenstände, son-<lb/>
dern selbst auf künstlich verarbeitete Naturprodukte.</p><lb/><p>Daſs Jesus zubereitete Nahrungsmittel auf wunderbare<lb/>
Weise vermehrt, mit wenigen Broten und Fischen eine<lb/>
groſse Menschenmenge gespeist habe, erzählen uns mit sel-<lb/>
tener Einstimmigkeit sämmtliche Evangelisten (Matth. 14,<lb/>
13 ff. Marc. 6, 30 ff. Luc. 9, 10 ff. Joh. 6, 1 ff.). Und<lb/>
glauben wir den beiden ersten von ihnen, so hat Jesus<lb/>
dieſs nicht bloſs Einmal gethan, sondern Matth. 15, 32 ff.<lb/>
Marc. 8, 1 ff. wird eine zweite Speisung erzählt, bei der<lb/>
es im Wesentlichen ebenso wie bei der ersten zugieng.<lb/>
Sie fällt der Zeit nach etwas später; der Ort ist etwas an-<lb/>
ders bezeichnet, und die Dauer des Aufenthalts der Menge<lb/>
bei Jesu abweichend angegeben; auch ist, was mehr besa-<lb/>
gen will, das Gröſsenverhältniſs zwischen dem Speisevor-<lb/>
rath und der Menschenmenge ein verschiedenes, indem das<lb/>
erstemal mit 5 Broten und 2 Fischen 5000, das zweitemal<lb/>
mit 7 Broten und wenigen Fischen 4000 Mann gesättigt<lb/>
werden, und dort 12, hier 7 Körbe mit Brocken übrig<lb/>
bleiben. Demungeachtet ist nicht nur die Substanz der<lb/>
Geschichte auf beiden Seiten ganz dieselbe: Sättigung ei-<lb/>
ner Volksmenge mit unverhältniſsmäſsig wenigen Nahrungs-<lb/>
mitteln, sondern auch die Ausmalung der Scene ist in den<lb/>
Grundzügen ganz analog: beidemale das Lokal eine einsa-<lb/>
me Gegend in der Nähe des galiläischen Sees; beidemale<lb/>
die Veranlassung des Wunders ein zu langes Verweilen<lb/>
des Volks bei Jesu; beidemale bezeigt Jesus Lust, die<lb/>
Menge aus eigenen Mitteln zu speisen, was die Jünger als<lb/>
eine unmögliche Sache betrachten; beidemale besteht der<lb/>
disponible Speisevorrath in Broten und Fischen; beidemale<lb/>
läſst Jesus die Leute sich lagern und theilt ihnen nach<lb/>
gesprochenem Dankgebet durch Vermittlung seiner Jünger<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[198/0217]
Zweiter Abschnitt.
stimmend und besänftigend auf die vernunftlose und selbst
auf die leblose Natur einwirkte: so wirkt er in denjenigen
Erzählungen, zu deren Betrachtung wir jezt fortschreiten,
sogar vermehrend nicht allein auf Naturgegenstände, son-
dern selbst auf künstlich verarbeitete Naturprodukte.
Daſs Jesus zubereitete Nahrungsmittel auf wunderbare
Weise vermehrt, mit wenigen Broten und Fischen eine
groſse Menschenmenge gespeist habe, erzählen uns mit sel-
tener Einstimmigkeit sämmtliche Evangelisten (Matth. 14,
13 ff. Marc. 6, 30 ff. Luc. 9, 10 ff. Joh. 6, 1 ff.). Und
glauben wir den beiden ersten von ihnen, so hat Jesus
dieſs nicht bloſs Einmal gethan, sondern Matth. 15, 32 ff.
Marc. 8, 1 ff. wird eine zweite Speisung erzählt, bei der
es im Wesentlichen ebenso wie bei der ersten zugieng.
Sie fällt der Zeit nach etwas später; der Ort ist etwas an-
ders bezeichnet, und die Dauer des Aufenthalts der Menge
bei Jesu abweichend angegeben; auch ist, was mehr besa-
gen will, das Gröſsenverhältniſs zwischen dem Speisevor-
rath und der Menschenmenge ein verschiedenes, indem das
erstemal mit 5 Broten und 2 Fischen 5000, das zweitemal
mit 7 Broten und wenigen Fischen 4000 Mann gesättigt
werden, und dort 12, hier 7 Körbe mit Brocken übrig
bleiben. Demungeachtet ist nicht nur die Substanz der
Geschichte auf beiden Seiten ganz dieselbe: Sättigung ei-
ner Volksmenge mit unverhältniſsmäſsig wenigen Nahrungs-
mitteln, sondern auch die Ausmalung der Scene ist in den
Grundzügen ganz analog: beidemale das Lokal eine einsa-
me Gegend in der Nähe des galiläischen Sees; beidemale
die Veranlassung des Wunders ein zu langes Verweilen
des Volks bei Jesu; beidemale bezeigt Jesus Lust, die
Menge aus eigenen Mitteln zu speisen, was die Jünger als
eine unmögliche Sache betrachten; beidemale besteht der
disponible Speisevorrath in Broten und Fischen; beidemale
läſst Jesus die Leute sich lagern und theilt ihnen nach
gesprochenem Dankgebet durch Vermittlung seiner Jünger
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/217>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.