Heilkraft willen. Er musste sich also ganz aus eigenem Antrieb jene Aufgabe stellen, um seine Wundermacht in einer recht ausgezeichneten Probe zu beweisen. Aber that er auch je sonst ein Wunder so ohne Noth und selbst oh- ne Veranlassung, ganz eigenwillig, nur um ein Wunder zu verrichten? Ich weiss es nicht stark genug auszusprechen, wie unmöglich hier das Essen Jesu erster Gedanke sein, wie unmöglich er dem Volk sein Speisungswunder in die- ser Weise aufdringen konnte. Hier geht also die synopti- sche Darstellung, in welcher das Wunder doch einen An- lass hat, der des vierten Evangelisten bedeutend vor, wel- cher, zum Wunder eilend, die nöthige Motivirung dessel- ben überspringt, und Jesum die Gelegenheit zu demselben machen, nicht abwarten lässt. So konnte ein Augenzeuge nicht erzählen, und wenn somit der Bericht desjenigen Evangeliums, welchem man jezt die grösste Auktorität ein- räumt, als unhistorisch bei Seite gestellt werden muss: so sind bei den übrigen die oben beregten Schwierigkei- ten der Thatsache hinreichende Gründe, ihre historische Zuverlässigkeit zu bezweifeln, besonders wenn sich neben diesen negativen auch positive Gründe auffinden lassen, welche eine unhistorische Entstehung unsrer Erzählung denkbar machen.
Solche Veranlassungen finden sich wirklich sowohl innerhalb der evangelischen Berichte selbst, als ausserhalb ihrer in der A. T. lichen Geschichte und dem jüdischen Volksglauben. In ersterer Beziehung ist es bemerkenswerth, dass sowohl bei den Synoptikern als bei Johannes an die durch Jesum vollzogene Speisung mit eigentlichem Brote mehr oder minder unmittelbar Reden Jesu von Brot und Brotmasse in uneigentlichem Sinne angehängt sind, näm- lich hier die Aussprüche vom wahren Himmels- und Le- bensbrot, das Jesus gebe (Joh. 6, 27 ff.), dort die vom fal- schen Sauerteig der Pharisäer und Sadducäer, nämlich ih- rer falschen Lehre und Heuchelei (Matth. 16, 5 ff. Marc.
Neuntes Kapitel. §. 98.
Heilkraft willen. Er muſste sich also ganz aus eigenem Antrieb jene Aufgabe stellen, um seine Wundermacht in einer recht ausgezeichneten Probe zu beweisen. Aber that er auch je sonst ein Wunder so ohne Noth und selbst oh- ne Veranlassung, ganz eigenwillig, nur um ein Wunder zu verrichten? Ich weiſs es nicht stark genug auszusprechen, wie unmöglich hier das Essen Jesu erster Gedanke sein, wie unmöglich er dem Volk sein Speisungswunder in die- ser Weise aufdringen konnte. Hier geht also die synopti- sche Darstellung, in welcher das Wunder doch einen An- laſs hat, der des vierten Evangelisten bedeutend vor, wel- cher, zum Wunder eilend, die nöthige Motivirung dessel- ben überspringt, und Jesum die Gelegenheit zu demselben machen, nicht abwarten läſst. So konnte ein Augenzeuge nicht erzählen, und wenn somit der Bericht desjenigen Evangeliums, welchem man jezt die gröſste Auktorität ein- räumt, als unhistorisch bei Seite gestellt werden muſs: so sind bei den übrigen die oben beregten Schwierigkei- ten der Thatsache hinreichende Gründe, ihre historische Zuverlässigkeit zu bezweifeln, besonders wenn sich neben diesen negativen auch positive Gründe auffinden lassen, welche eine unhistorische Entstehung unsrer Erzählung denkbar machen.
Solche Veranlassungen finden sich wirklich sowohl innerhalb der evangelischen Berichte selbst, als ausserhalb ihrer in der A. T. lichen Geschichte und dem jüdischen Volksglauben. In ersterer Beziehung ist es bemerkenswerth, daſs sowohl bei den Synoptikern als bei Johannes an die durch Jesum vollzogene Speisung mit eigentlichem Brote mehr oder minder unmittelbar Reden Jesu von Brot und Brotmasse in uneigentlichem Sinne angehängt sind, näm- lich hier die Aussprüche vom wahren Himmels- und Le- bensbrot, das Jesus gebe (Joh. 6, 27 ff.), dort die vom fal- schen Sauerteig der Pharisäer und Sadducäer, nämlich ih- rer falschen Lehre und Heuchelei (Matth. 16, 5 ff. Marc.
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Neuntes Kapitel. §. 98.
Heilkraft willen. Er muſste sich also ganz aus eigenem
Antrieb jene Aufgabe stellen, um seine Wundermacht in
einer recht ausgezeichneten Probe zu beweisen. Aber that
er auch je sonst ein Wunder so ohne Noth und selbst oh-
ne Veranlassung, ganz eigenwillig, nur um ein Wunder zu
verrichten? Ich weiſs es nicht stark genug auszusprechen,
wie unmöglich hier das Essen Jesu erster Gedanke sein,
wie unmöglich er dem Volk sein Speisungswunder in die-
ser Weise aufdringen konnte. Hier geht also die synopti-
sche Darstellung, in welcher das Wunder doch einen An-
laſs hat, der des vierten Evangelisten bedeutend vor, wel-
cher, zum Wunder eilend, die nöthige Motivirung dessel-
ben überspringt, und Jesum die Gelegenheit zu demselben
machen, nicht abwarten läſst. So konnte ein Augenzeuge
nicht erzählen, und wenn somit der Bericht desjenigen
Evangeliums, welchem man jezt die gröſste Auktorität ein-
räumt, als unhistorisch bei Seite gestellt werden muſs:
so sind bei den übrigen die oben beregten Schwierigkei-
ten der Thatsache hinreichende Gründe, ihre historische
Zuverlässigkeit zu bezweifeln, besonders wenn sich neben
diesen negativen auch positive Gründe auffinden lassen,
welche eine unhistorische Entstehung unsrer Erzählung
denkbar machen.
Solche Veranlassungen finden sich wirklich sowohl
innerhalb der evangelischen Berichte selbst, als ausserhalb
ihrer in der A. T. lichen Geschichte und dem jüdischen
Volksglauben. In ersterer Beziehung ist es bemerkenswerth,
daſs sowohl bei den Synoptikern als bei Johannes an die
durch Jesum vollzogene Speisung mit eigentlichem Brote
mehr oder minder unmittelbar Reden Jesu von Brot und
Brotmasse in uneigentlichem Sinne angehängt sind, näm-
lich hier die Aussprüche vom wahren Himmels- und Le-
bensbrot, das Jesus gebe (Joh. 6, 27 ff.), dort die vom fal-
schen Sauerteig der Pharisäer und Sadducäer, nämlich ih-
rer falschen Lehre und Heuchelei (Matth. 16, 5 ff. Marc.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/232>, abgerufen am 21.11.2024.
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