Elias, erschienen, sich mit ihm zu unterreden, und wie endlich aus einer lichten Wolke eine himmlische Stimme Jesum für Gottes Sohn, dem sie Gehör zu schenken hät- ten, erklärte.
Diese wenigen Züge der Geschichte regen eine Men- ge Fragen an, um deren Sammlung sich Gabler ein be- sonderes Verdienst erworben hat 2). Bei jedem der drei Momente des Vorgangs, dem Glanze, der Todtenerschei- nung, und der Stimme, lässt sich sowohl nach der Mög- lichkeit, als nach dem zureichenden Zwecke fragen. Wo- her soll vorerst der ausserordentliche Glanz an Jesum ge- kommen sein? Bedenkt man, dass von einem metamorphou- sthai Jesu die Rede ist, so scheint nicht an ein blosses Be- schienenwerden von aussen her, sondern an eine von innen kommende Verklärung gedacht werden zu müssen, so zu sagen an ein momentanes Durchleuchten der göttlichen doxa durch die menschliche Hülle, wie auch Olshausen diese Begebenheit als einen Hauptmoment in dem Läuterungs- und Verklärungsprocesse fasst, in welchem er die Leiblich- keit Jesu während seines ganzen Lebens bis zur Himmel- fahrt begriffen denkt 3). Allein, ohne das schon oben Gesagte hier weiter auszuführen, dass Jesus entweder kein wahrer Mensch war, oder die mit ihm während seines Le- bens vorgegangene Läuterung eine andere gewesen sein muss, als welche in einem Licht- und Leichtwerden des Körpers bestand: so ist in keinem Falle zu begreifen, wie an einem solchen Verklärungsprocess ausser seinem Lei- be auch seine Kleider theilnehmen konnten. Möchte man dieses lezteren Punktes wegen lieber an eine Beleuchtung von aussen denken, so wäre diess dann keine Metamorpho-
2) In einer Abhandlung über die Verklärungsgeschichte, in s. neuesten theol. Journal, 1. Bd. 5. Stück, S. 517 ff. Vgl. Bauer, hebr. Mythol. 2, S. 233 ff.
3) b. Comm. 1, S. 534 f.
Zehntes Kapitel. §. 101.
Elias, erschienen, sich mit ihm zu unterreden, und wie endlich aus einer lichten Wolke eine himmlische Stimme Jesum für Gottes Sohn, dem sie Gehör zu schenken hät- ten, erklärte.
Diese wenigen Züge der Geschichte regen eine Men- ge Fragen an, um deren Sammlung sich Gabler ein be- sonderes Verdienst erworben hat 2). Bei jedem der drei Momente des Vorgangs, dem Glanze, der Todtenerschei- nung, und der Stimme, läſst sich sowohl nach der Mög- lichkeit, als nach dem zureichenden Zwecke fragen. Wo- her soll vorerst der ausserordentliche Glanz an Jesum ge- kommen sein? Bedenkt man, daſs von einem μεταμορφοῦ- σϑαι Jesu die Rede ist, so scheint nicht an ein bloſses Be- schienenwerden von aussen her, sondern an eine von innen kommende Verklärung gedacht werden zu müssen, so zu sagen an ein momentanes Durchleuchten der göttlichen δόξα durch die menschliche Hülle, wie auch Olshausen diese Begebenheit als einen Hauptmoment in dem Läuterungs- und Verklärungsprocesse faſst, in welchem er die Leiblich- keit Jesu während seines ganzen Lebens bis zur Himmel- fahrt begriffen denkt 3). Allein, ohne das schon oben Gesagte hier weiter auszuführen, daſs Jesus entweder kein wahrer Mensch war, oder die mit ihm während seines Le- bens vorgegangene Läuterung eine andere gewesen sein muſs, als welche in einem Licht- und Leichtwerden des Körpers bestand: so ist in keinem Falle zu begreifen, wie an einem solchen Verklärungsproceſs ausser seinem Lei- be auch seine Kleider theilnehmen konnten. Möchte man dieses lezteren Punktes wegen lieber an eine Beleuchtung von aussen denken, so wäre dieſs dann keine Metamorpho-
2) In einer Abhandlung über die Verklärungsgeschichte, in s. neuesten theol. Journal, 1. Bd. 5. Stück, S. 517 ff. Vgl. Bauer, hebr. Mythol. 2, S. 233 ff.
3) b. Comm. 1, S. 534 f.
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Zehntes Kapitel. §. 101.
Elias, erschienen, sich mit ihm zu unterreden, und wie
endlich aus einer lichten Wolke eine himmlische Stimme
Jesum für Gottes Sohn, dem sie Gehör zu schenken hät-
ten, erklärte.
Diese wenigen Züge der Geschichte regen eine Men-
ge Fragen an, um deren Sammlung sich Gabler ein be-
sonderes Verdienst erworben hat 2). Bei jedem der drei
Momente des Vorgangs, dem Glanze, der Todtenerschei-
nung, und der Stimme, läſst sich sowohl nach der Mög-
lichkeit, als nach dem zureichenden Zwecke fragen. Wo-
her soll vorerst der ausserordentliche Glanz an Jesum ge-
kommen sein? Bedenkt man, daſs von einem μεταμορφοῦ-
σϑαι Jesu die Rede ist, so scheint nicht an ein bloſses Be-
schienenwerden von aussen her, sondern an eine von innen
kommende Verklärung gedacht werden zu müssen, so zu
sagen an ein momentanes Durchleuchten der göttlichen δόξα
durch die menschliche Hülle, wie auch Olshausen diese
Begebenheit als einen Hauptmoment in dem Läuterungs-
und Verklärungsprocesse faſst, in welchem er die Leiblich-
keit Jesu während seines ganzen Lebens bis zur Himmel-
fahrt begriffen denkt 3). Allein, ohne das schon oben
Gesagte hier weiter auszuführen, daſs Jesus entweder kein
wahrer Mensch war, oder die mit ihm während seines Le-
bens vorgegangene Läuterung eine andere gewesen sein
muſs, als welche in einem Licht- und Leichtwerden des
Körpers bestand: so ist in keinem Falle zu begreifen, wie
an einem solchen Verklärungsproceſs ausser seinem Lei-
be auch seine Kleider theilnehmen konnten. Möchte man
dieses lezteren Punktes wegen lieber an eine Beleuchtung
von aussen denken, so wäre dieſs dann keine Metamorpho-
2) In einer Abhandlung über die Verklärungsgeschichte, in s.
neuesten theol. Journal, 1. Bd. 5. Stück, S. 517 ff. Vgl.
Bauer, hebr. Mythol. 2, S. 233 ff.
3) b. Comm. 1, S. 534 f.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/272>, abgerufen am 22.11.2024.
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