Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. von seiner Ankunft wusste, und eines späteren, nachdemman schon erfahren hatte, dass er in Bethanien sei, ist die Differenz günstig, dass nach der synoptischen Erzäh- lung die Huldigenden nur proagontes und akolouthountes (Matth. V. 9.), nach der johanneischen aber upantesantes (V. 13. 18.) sind. Fragt man nun aber: warum geben denn unsre sämmtlichen Referenten jeder nur Einen Ein- zug, und findet sich bei keinem derselben von zweien eine Spur? so bekommt man in Bezug auf den Johannes die Antwort, dieser verschweige den ersten Einzug wahrschein- lich desswegen, weil er ihn nicht mitgemacht habe, indem er während desselben nach Bethanien möge verschickt ge- wesen sein, um die Ankunft Jesu anzumelden 3). Da in- dess nach unsern Grundsätzen, wenn vom Verfasser des vierten Evangeliums, dann auch von dem des ersten vor- ausgesezt werden darf, dass er der in der Überschrift ge- nannte Apostel gewesen: so fragt man vergebens, wohin denn nun bei'm zweiten Einzug Matthäus solle verschickt gewesen sein, dass er von diesem nichts zu erzählen wuss- te? da sich bei dem wiederholten Gang von Bethanien nach Jerusalem kein Anlass einer solchen Sendung denken lässt. Übrigens auch in Bezug auf den Johannes ist sie reine Er- dichtung; abgesehen davon, dass, auch wenn die beiden Evangelisten nicht persönlich zugegen waren, sie doch von einer im Kreise der Jünger so vielbesprochenen Begeben- heit, wie der feierliche Einzug gewiss auch in seiner Wie- derholung war, das Genaueste erfahren mussten. Haupt- sächlich aber, wie die Erzählung der Synoptiker nicht so lautet, als ob nach dem von ihnen beschriebenen Einzug noch ein zweiter erfolgt wäre: so ist die johanneische von der Art, dass vor dem Einzug, dessen sie Meldung thut, ein anderer unmöglich gedacht werden kann. Ihr zufolge gehen nämlich am Tag vor dem johanneischen Einzug, also der Voraussetzung gemäss an demselben Tage mit dem syn- 3) Schleiermacher, a. a. O.
Zweiter Abschnitt. von seiner Ankunft wuſste, und eines späteren, nachdemman schon erfahren hatte, daſs er in Bethanien sei, ist die Differenz günstig, daſs nach der synoptischen Erzäh- lung die Huldigenden nur προάγοντες und ἀκολουϑοῦντες (Matth. V. 9.), nach der johanneischen aber ὑπαντήσαντες (V. 13. 18.) sind. Fragt man nun aber: warum geben denn unsre sämmtlichen Referenten jeder nur Einen Ein- zug, und findet sich bei keinem derselben von zweien eine Spur? so bekommt man in Bezug auf den Johannes die Antwort, dieser verschweige den ersten Einzug wahrschein- lich deſswegen, weil er ihn nicht mitgemacht habe, indem er während desselben nach Bethanien möge verschickt ge- wesen sein, um die Ankunft Jesu anzumelden 3). Da in- deſs nach unsern Grundsätzen, wenn vom Verfasser des vierten Evangeliums, dann auch von dem des ersten vor- ausgesezt werden darf, daſs er der in der Überschrift ge- nannte Apostel gewesen: so fragt man vergebens, wohin denn nun bei'm zweiten Einzug Matthäus solle verschickt gewesen sein, daſs er von diesem nichts zu erzählen wuſs- te? da sich bei dem wiederholten Gang von Bethanien nach Jerusalem kein Anlaſs einer solchen Sendung denken läſst. Übrigens auch in Bezug auf den Johannes ist sie reine Er- dichtung; abgesehen davon, daſs, auch wenn die beiden Evangelisten nicht persönlich zugegen waren, sie doch von einer im Kreise der Jünger so vielbesprochenen Begeben- heit, wie der feierliche Einzug gewiſs auch in seiner Wie- derholung war, das Genaueste erfahren muſsten. Haupt- sächlich aber, wie die Erzählung der Synoptiker nicht so lautet, als ob nach dem von ihnen beschriebenen Einzug noch ein zweiter erfolgt wäre: so ist die johanneische von der Art, daſs vor dem Einzug, dessen sie Meldung thut, ein anderer unmöglich gedacht werden kann. Ihr zufolge gehen nämlich am Tag vor dem johanneischen Einzug, also der Voraussetzung gemäſs an demselben Tage mit dem syn- 3) Schleiermacher, a. a. O.
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Zweiter Abschnitt.
von seiner Ankunft wuſste, und eines späteren, nachdem
man schon erfahren hatte, daſs er in Bethanien sei, ist
die Differenz günstig, daſs nach der synoptischen Erzäh-
lung die Huldigenden nur προάγοντες und ἀκολουϑοῦντες
(Matth. V. 9.), nach der johanneischen aber ὑπαντήσαντες
(V. 13. 18.) sind. Fragt man nun aber: warum geben
denn unsre sämmtlichen Referenten jeder nur Einen Ein-
zug, und findet sich bei keinem derselben von zweien eine
Spur? so bekommt man in Bezug auf den Johannes die
Antwort, dieser verschweige den ersten Einzug wahrschein-
lich deſswegen, weil er ihn nicht mitgemacht habe, indem
er während desselben nach Bethanien möge verschickt ge-
wesen sein, um die Ankunft Jesu anzumelden 3). Da in-
deſs nach unsern Grundsätzen, wenn vom Verfasser des
vierten Evangeliums, dann auch von dem des ersten vor-
ausgesezt werden darf, daſs er der in der Überschrift ge-
nannte Apostel gewesen: so fragt man vergebens, wohin
denn nun bei'm zweiten Einzug Matthäus solle verschickt
gewesen sein, daſs er von diesem nichts zu erzählen wuſs-
te? da sich bei dem wiederholten Gang von Bethanien nach
Jerusalem kein Anlaſs einer solchen Sendung denken läſst.
Übrigens auch in Bezug auf den Johannes ist sie reine Er-
dichtung; abgesehen davon, daſs, auch wenn die beiden
Evangelisten nicht persönlich zugegen waren, sie doch von
einer im Kreise der Jünger so vielbesprochenen Begeben-
heit, wie der feierliche Einzug gewiſs auch in seiner Wie-
derholung war, das Genaueste erfahren muſsten. Haupt-
sächlich aber, wie die Erzählung der Synoptiker nicht so
lautet, als ob nach dem von ihnen beschriebenen Einzug
noch ein zweiter erfolgt wäre: so ist die johanneische von
der Art, daſs vor dem Einzug, dessen sie Meldung thut,
ein anderer unmöglich gedacht werden kann. Ihr zufolge
gehen nämlich am Tag vor dem johanneischen Einzug, also
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