benden Messias fehlen vor der babylonischen Gemara, wel- ehe im 5ten und 5ten Jahrhundert nach Christo gesammelt ist, und dem in Bezug auf sein Alter höchst zweifelhaften Buch Sohar, die sicheren Spuren 26).
Obschon es hienach nicht nachweislich und selbst nicht wahrscheinlich ist, dass die Vorstellung von einem leiden- den Messias zu Jesu Zeit schon unter den Juden vorhan- den gewesen: so bliebe doch immer möglich, dass auch ohne solchen Vorgang Jesus selbst durch Beobachtung der Verhältnisse, und Vergleichung derselben mit A. T.lichen Erzählungen und Weissagungen, auf den Gedanken gekom- men wäre, dass Leiden und Sterben zum Amt und zur Bestimmung des Messias gehöre; wobei dann aber na- türlicher wäre, dass er allmählig erst im Laufe seiner öf- fentlichen Wirksamkeit diese Überzeugung gefasst, und sie hauptsächlich nur seinen Vertrauten mitgetheilt, als dass er sie schon von Anfang an gehabt, und sie vor Gleich- gültigen, ja Feinden, ausgesprochen hätte: dieses die Art, wie Johannes, jenes, wie die Synoptiker die Sache dar- stellen.
Auch in Bezug auf die Äusserungen Jesu über den Zweck und die Wirkungen seines Todes können wir, wie oben bei der Vorherverkündigung des Todes selbst, einen mehr natürlichen Gesichtspunkt von einem mehr suprana- turalistischen unterscheiden. Wenn Jesus im vierten Evan- gelium sich mit dem treuen Hirten vergleicht, der für sei- ne Schafe das Leben lasse (10, 11. 15.): so kann diess den ganz natürlichen Sinn haben, dass er von seinem Hir- ten- und Lehramte nicht zu weichen gesonnen sei, sollte auch in Führung desselben der Tod ihm drohen (morali- sche Nothwendigkeit seines Todes) 27); der ahnungsvolle Ausspruch in demselben Evangelium (12, 24.), wenn das
26)de Wette, de morte Chr. p. 112. vgl. 53 ff.
27)Hase, L. J. §. 108.
Dritter Abschnitt.
benden Messias fehlen vor der babylonischen Gemara, wel- ehe im 5ten und 5ten Jahrhundert nach Christo gesammelt ist, und dem in Bezug auf sein Alter höchst zweifelhaften Buch Sohar, die sicheren Spuren 26).
Obschon es hienach nicht nachweislich und selbst nicht wahrscheinlich ist, daſs die Vorstellung von einem leiden- den Messias zu Jesu Zeit schon unter den Juden vorhan- den gewesen: so bliebe doch immer möglich, daſs auch ohne solchen Vorgang Jesus selbst durch Beobachtung der Verhältnisse, und Vergleichung derselben mit A. T.lichen Erzählungen und Weissagungen, auf den Gedanken gekom- men wäre, daſs Leiden und Sterben zum Amt und zur Bestimmung des Messias gehöre; wobei dann aber na- türlicher wäre, daſs er allmählig erst im Laufe seiner öf- fentlichen Wirksamkeit diese Überzeugung gefaſst, und sie hauptsächlich nur seinen Vertrauten mitgetheilt, als daſs er sie schon von Anfang an gehabt, und sie vor Gleich- gültigen, ja Feinden, ausgesprochen hätte: dieses die Art, wie Johannes, jenes, wie die Synoptiker die Sache dar- stellen.
Auch in Bezug auf die Äusserungen Jesu über den Zweck und die Wirkungen seines Todes können wir, wie oben bei der Vorherverkündigung des Todes selbst, einen mehr natürlichen Gesichtspunkt von einem mehr suprana- turalistischen unterscheiden. Wenn Jesus im vierten Evan- gelium sich mit dem treuen Hirten vergleicht, der für sei- ne Schafe das Leben lasse (10, 11. 15.): so kann dieſs den ganz natürlichen Sinn haben, daſs er von seinem Hir- ten- und Lehramte nicht zu weichen gesonnen sei, sollte auch in Führung desselben der Tod ihm drohen (morali- sche Nothwendigkeit seines Todes) 27); der ahnungsvolle Ausspruch in demselben Evangelium (12, 24.), wenn das
26)de Wette, de morte Chr. p. 112. vgl. 53 ff.
27)Hase, L. J. §. 108.
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Dritter Abschnitt.
benden Messias fehlen vor der babylonischen Gemara, wel-
ehe im 5ten und 5ten Jahrhundert nach Christo gesammelt
ist, und dem in Bezug auf sein Alter höchst zweifelhaften
Buch Sohar, die sicheren Spuren 26).
Obschon es hienach nicht nachweislich und selbst nicht
wahrscheinlich ist, daſs die Vorstellung von einem leiden-
den Messias zu Jesu Zeit schon unter den Juden vorhan-
den gewesen: so bliebe doch immer möglich, daſs auch
ohne solchen Vorgang Jesus selbst durch Beobachtung der
Verhältnisse, und Vergleichung derselben mit A. T.lichen
Erzählungen und Weissagungen, auf den Gedanken gekom-
men wäre, daſs Leiden und Sterben zum Amt und zur
Bestimmung des Messias gehöre; wobei dann aber na-
türlicher wäre, daſs er allmählig erst im Laufe seiner öf-
fentlichen Wirksamkeit diese Überzeugung gefaſst, und sie
hauptsächlich nur seinen Vertrauten mitgetheilt, als daſs
er sie schon von Anfang an gehabt, und sie vor Gleich-
gültigen, ja Feinden, ausgesprochen hätte: dieses die Art,
wie Johannes, jenes, wie die Synoptiker die Sache dar-
stellen.
Auch in Bezug auf die Äusserungen Jesu über den
Zweck und die Wirkungen seines Todes können wir, wie
oben bei der Vorherverkündigung des Todes selbst, einen
mehr natürlichen Gesichtspunkt von einem mehr suprana-
turalistischen unterscheiden. Wenn Jesus im vierten Evan-
gelium sich mit dem treuen Hirten vergleicht, der für sei-
ne Schafe das Leben lasse (10, 11. 15.): so kann dieſs
den ganz natürlichen Sinn haben, daſs er von seinem Hir-
ten- und Lehramte nicht zu weichen gesonnen sei, sollte
auch in Führung desselben der Tod ihm drohen (morali-
sche Nothwendigkeit seines Todes) 27); der ahnungsvolle
Ausspruch in demselben Evangelium (12, 24.), wenn das
26) de Wette, de morte Chr. p. 112. vgl. 53 ff.
27) Hase, L. J. §. 108.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/341>, abgerufen am 23.11.2024.
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