die so anstössige Katastrophe ihres Messias mit Ängstlich- keit überall im A. T. Vorbilder und Weissagungen auf- suchte.
Noch einige Aussprüche Jesu finden sich im vierten Evangelium, welche schon als verhüllte Weissagungen der Auferstehung gefasst worden sind. Die Rede vom Wai- zenkorn zwar, 12, 24, bezieht sich zu augenscheinlich nur auf das durch seinen Tod zu fördernde Werk Jesu, als dass sie hier weiter in Betracht kommen könnte. Aber in den johanneischen Abschiedsreden finden sich einige Aus- sprüche, welche noch immer Manche von der Auferstehung verstehen möchten. Wenn Jesus sagt: ich werde euch nicht verwaist lassen, ich komme zu euch; noch kurze Zeit, so sieht die Welt mich nicht mehr, ihr aber sehet mich; über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht mehr sehen, und wieder über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen u. s. f. (14, 18 ff. 16, 16 ff.): so glauben Manche, die- se Reden, mit dem Verhältniss von mikron kai palin mikron, mit dem Gegensaz zwischen emphanizein emin (tois mathe- tais) kai oukhi to kosmo, mit dem von ganz persönlichem Wiedersehen lautenden palin opsomai und opsesthe, können auf nichts Anderes, als auf die Auferstehung bezogen wer- den, welche eben das kurz auf das Nichtsehen gefolgte Sehen, und zwar ein persönliches und auf die Freunde Jesu eingeschränktes, gewesen sei 11). Allein dieses ver- heissene Wiedersehen beschreibt Jesus hier zugleich auf eine Weise, welche für die Tage der Auferstehung nicht ganz passen will. Wenn das oti ego zo (14, 19.) seine Auferstehung bedeuten soll, so weiss man gar nicht, was in diesem Zusammenhang das kai umeis zesesthe heissen will; wenn Jesus sagt, bei jenem Wiedersehen werden seine Jünger sein Verhältniss zum Vater erkennen, und ihn nichts mehr zu fragen brauchen (14, 20. 16, 23.): so
11)Süskind, a. a. O. S. 184 ff.
Das Leben Jesu II. Band. 22
Erstes Kapitel. §. 110.
die so anstössige Katastrophe ihres Messias mit Ängstlich- keit überall im A. T. Vorbilder und Weissagungen auf- suchte.
Noch einige Aussprüche Jesu finden sich im vierten Evangelium, welche schon als verhüllte Weissagungen der Auferstehung gefaſst worden sind. Die Rede vom Wai- zenkorn zwar, 12, 24, bezieht sich zu augenscheinlich nur auf das durch seinen Tod zu fördernde Werk Jesu, als daſs sie hier weiter in Betracht kommen könnte. Aber in den johanneischen Abschiedsreden finden sich einige Aus- sprüche, welche noch immer Manche von der Auferstehung verstehen möchten. Wenn Jesus sagt: ich werde euch nicht verwaist lassen, ich komme zu euch; noch kurze Zeit, so sieht die Welt mich nicht mehr, ihr aber sehet mich; über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht mehr sehen, und wieder über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen u. s. f. (14, 18 ff. 16, 16 ff.): so glauben Manche, die- se Reden, mit dem Verhältniſs von μικρὸν καὶ πάλιν μικρὸν, mit dem Gegensaz zwischen ἐμφανίζειν ἡμῖν (τοῖς μαϑη- ταῖς) καὶ ουχὶ τῷ κόσμῳ, mit dem von ganz persönlichem Wiedersehen lautenden πάλιν ὄψομαι und ὄψεσϑε, können auf nichts Anderes, als auf die Auferstehung bezogen wer- den, welche eben das kurz auf das Nichtsehen gefolgte Sehen, und zwar ein persönliches und auf die Freunde Jesu eingeschränktes, gewesen sei 11). Allein dieses ver- heiſsene Wiedersehen beschreibt Jesus hier zugleich auf eine Weise, welche für die Tage der Auferstehung nicht ganz passen will. Wenn das ὅτι ἐγὼ ζῶ (14, 19.) seine Auferstehung bedeuten soll, so weiſs man gar nicht, was in diesem Zusammenhang das καὶ ὑμεῖς ζήσεσϑε heiſsen will; wenn Jesus sagt, bei jenem Wiedersehen werden seine Jünger sein Verhältniſs zum Vater erkennen, und ihn nichts mehr zu fragen brauchen (14, 20. 16, 23.): so
11)Süskind, a. a. O. S. 184 ff.
Das Leben Jesu II. Band. 22
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0356"n="337"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erstes Kapitel</hi>. §. 110.</fw><lb/>
die so anstössige Katastrophe ihres Messias mit Ängstlich-<lb/>
keit überall im A. T. Vorbilder und Weissagungen auf-<lb/>
suchte.</p><lb/><p>Noch einige Aussprüche Jesu finden sich im vierten<lb/>
Evangelium, welche schon als verhüllte Weissagungen der<lb/>
Auferstehung gefaſst worden sind. Die Rede vom Wai-<lb/>
zenkorn zwar, 12, 24, bezieht sich zu augenscheinlich nur<lb/>
auf das durch seinen Tod zu fördernde Werk Jesu, als<lb/>
daſs sie hier weiter in Betracht kommen könnte. Aber in<lb/>
den johanneischen Abschiedsreden finden sich einige Aus-<lb/>
sprüche, welche noch immer Manche von der Auferstehung<lb/>
verstehen möchten. Wenn Jesus sagt: ich werde euch<lb/>
nicht verwaist lassen, ich komme zu euch; noch kurze<lb/>
Zeit, so sieht die Welt mich nicht mehr, ihr aber sehet<lb/>
mich; über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht mehr<lb/>
sehen, und wieder über ein Kleines, so werdet ihr mich<lb/>
sehen u. s. f. (14, 18 ff. 16, 16 ff.): so glauben Manche, die-<lb/>
se Reden, mit dem Verhältniſs von <foreignxml:lang="ell">μικρὸνκαὶπάλινμικρὸν</foreign>,<lb/>
mit dem Gegensaz zwischen <foreignxml:lang="ell">ἐμφανίζεινἡμῖν (τοῖςμαϑη-<lb/>ταῖς) καὶουχὶτῷκόσμῳ</foreign>, mit dem von ganz persönlichem<lb/>
Wiedersehen lautenden <foreignxml:lang="ell">πάλινὄψομαι und ὄψεσϑε</foreign>, können<lb/>
auf nichts Anderes, als auf die Auferstehung bezogen wer-<lb/>
den, welche eben das kurz auf das Nichtsehen gefolgte<lb/>
Sehen, und zwar ein persönliches und auf die Freunde<lb/>
Jesu eingeschränktes, gewesen sei <noteplace="foot"n="11)"><hirendition="#k">Süskind</hi>, a. a. O. S. 184 ff.</note>. Allein dieses ver-<lb/>
heiſsene Wiedersehen beschreibt Jesus hier zugleich auf<lb/>
eine Weise, welche für die Tage der Auferstehung nicht<lb/>
ganz passen will. Wenn das <foreignxml:lang="ell">ὅτιἐγὼζῶ</foreign> (14, 19.) seine<lb/>
Auferstehung bedeuten soll, so weiſs man gar nicht, was<lb/>
in diesem Zusammenhang das καὶὑμεῖςζήσεσϑε heiſsen<lb/>
will; wenn Jesus sagt, bei jenem Wiedersehen werden<lb/>
seine Jünger sein Verhältniſs zum Vater erkennen, und<lb/>
ihn nichts mehr zu fragen brauchen (14, 20. 16, 23.): so<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#i">Das Leben Jesu II. Band.</hi> 22</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[337/0356]
Erstes Kapitel. §. 110.
die so anstössige Katastrophe ihres Messias mit Ängstlich-
keit überall im A. T. Vorbilder und Weissagungen auf-
suchte.
Noch einige Aussprüche Jesu finden sich im vierten
Evangelium, welche schon als verhüllte Weissagungen der
Auferstehung gefaſst worden sind. Die Rede vom Wai-
zenkorn zwar, 12, 24, bezieht sich zu augenscheinlich nur
auf das durch seinen Tod zu fördernde Werk Jesu, als
daſs sie hier weiter in Betracht kommen könnte. Aber in
den johanneischen Abschiedsreden finden sich einige Aus-
sprüche, welche noch immer Manche von der Auferstehung
verstehen möchten. Wenn Jesus sagt: ich werde euch
nicht verwaist lassen, ich komme zu euch; noch kurze
Zeit, so sieht die Welt mich nicht mehr, ihr aber sehet
mich; über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht mehr
sehen, und wieder über ein Kleines, so werdet ihr mich
sehen u. s. f. (14, 18 ff. 16, 16 ff.): so glauben Manche, die-
se Reden, mit dem Verhältniſs von μικρὸν καὶ πάλιν μικρὸν,
mit dem Gegensaz zwischen ἐμφανίζειν ἡμῖν (τοῖς μαϑη-
ταῖς) καὶ ουχὶ τῷ κόσμῳ, mit dem von ganz persönlichem
Wiedersehen lautenden πάλιν ὄψομαι und ὄψεσϑε, können
auf nichts Anderes, als auf die Auferstehung bezogen wer-
den, welche eben das kurz auf das Nichtsehen gefolgte
Sehen, und zwar ein persönliches und auf die Freunde
Jesu eingeschränktes, gewesen sei 11). Allein dieses ver-
heiſsene Wiedersehen beschreibt Jesus hier zugleich auf
eine Weise, welche für die Tage der Auferstehung nicht
ganz passen will. Wenn das ὅτι ἐγὼ ζῶ (14, 19.) seine
Auferstehung bedeuten soll, so weiſs man gar nicht, was
in diesem Zusammenhang das καὶ ὑμεῖς ζήσεσϑε heiſsen
will; wenn Jesus sagt, bei jenem Wiedersehen werden
seine Jünger sein Verhältniſs zum Vater erkennen, und
ihn nichts mehr zu fragen brauchen (14, 20. 16, 23.): so
11) Süskind, a. a. O. S. 184 ff.
Das Leben Jesu II. Band. 22
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/356>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.