Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuntes Kapitel. §. 88.
die grelle Ungleichheit, dieselben Krankheiten in der ei-
nen Zeit sämmtlich als natürliche, in der andern sämmtlich
als übernatürliche denken zu müssen.

Die schlimmste Schwierigkeit aber erwächst für den
Olshausen'schen Vermittlungsversuch zwischen der jüdisch-
neutestamentlichen Dämonologie und der Bildung unsrer
Zeit daraus, dass dieses leztere Element in ihm der An-
nahme persönlicher Dämonen widerstrebt. Dasselbe, der
Bildung des gedachten Theologen durch die Naturphiloso-
phie angehörige Streben, das im N. T. als ein Heer dis-
creter Individuen Gedachte emanatistisch in das Con-
tinuum einer Substanz aufzulösen, welche zwar einzelne
Kräfte aus sich hervortreten, diese jedoch nicht zu selbst-
ständigen Individuen sich fixiren, sondern als Accidenzien
wieder in die Einheit der Substanz zurückkehren lässt, --
dieses Streben sahen wir schon in Olshausen's Angelolo-
gie hindurchleuchten, und entschiedener tritt es nun in der
Dämonologie hervor. Dämonische Persönlichkeiten sind
zu widrig, bei den angeblich Besessenen namentlich das,
wie es Olshausen selbst ausdrückt 28), Stecken zweier
Subjekte in Einem Individuum zu undenkbar, als dass man
sich eine solche Vorstellung zumuthen könnte. Daher wird
überall nur in schwebender Allgemeinheit von einem Rei-
che des Bösen und der Finsterniss geredet, und zwar ein
persönlicher Fürst desselben vorausgesezt, aber unter den
Dämonen nur die einzelnen Ausflüsse und Wirkungen ver-
standen, in welchen das böse Princip sich manifestirt. Da-
her, und hieran ist Olshausen's Ansicht von den Dämo-
nen am bestimmtesten zu ergreifen, ist es ihm zu viel, dass
Jesus den Dämon im Gadarener um seinen Namen gefragt
haben soll: so bestimmt kann doch Christus die von dem
Ausleger bezweifelte Persönlichkeit jener Ausflüsse des
finstern Reiches nicht vorausgesezt haben; wesswegen

28) S. 295 f.
Das Leben Jesu II. Band. 2

Neuntes Kapitel. §. 88.
die grelle Ungleichheit, dieselben Krankheiten in der ei-
nen Zeit sämmtlich als natürliche, in der andern sämmtlich
als übernatürliche denken zu müssen.

Die schlimmste Schwierigkeit aber erwächst für den
Olshausen'schen Vermittlungsversuch zwischen der jüdisch-
neutestamentlichen Dämonologie und der Bildung unsrer
Zeit daraus, daſs dieses leztere Element in ihm der An-
nahme persönlicher Dämonen widerstrebt. Dasselbe, der
Bildung des gedachten Theologen durch die Naturphiloso-
phie angehörige Streben, das im N. T. als ein Heer dis-
creter Individuen Gedachte emanatistisch in das Con-
tinuum einer Substanz aufzulösen, welche zwar einzelne
Kräfte aus sich hervortreten, diese jedoch nicht zu selbst-
ständigen Individuen sich fixiren, sondern als Accidenzien
wieder in die Einheit der Substanz zurückkehren läſst, —
dieses Streben sahen wir schon in Olshausen's Angelolo-
gie hindurchleuchten, und entschiedener tritt es nun in der
Dämonologie hervor. Dämonische Persönlichkeiten sind
zu widrig, bei den angeblich Besessenen namentlich das,
wie es Olshausen selbst ausdrückt 28), Stecken zweier
Subjekte in Einem Individuum zu undenkbar, als daſs man
sich eine solche Vorstellung zumuthen könnte. Daher wird
überall nur in schwebender Allgemeinheit von einem Rei-
che des Bösen und der Finsterniſs geredet, und zwar ein
persönlicher Fürst desselben vorausgesezt, aber unter den
Dämonen nur die einzelnen Ausflüsse und Wirkungen ver-
standen, in welchen das böse Princip sich manifestirt. Da-
her, und hieran ist Olshausen's Ansicht von den Dämo-
nen am bestimmtesten zu ergreifen, ist es ihm zu viel, daſs
Jesus den Dämon im Gadarener um seinen Namen gefragt
haben soll: so bestimmt kann doch Christus die von dem
Ausleger bezweifelte Persönlichkeit jener Ausflüsse des
finstern Reiches nicht vorausgesezt haben; weſswegen

28) S. 295 f.
Das Leben Jesu II. Band. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0036" n="17"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Kapitel</hi>. §. 88.</fw><lb/>
die grelle Ungleichheit, dieselben Krankheiten in der ei-<lb/>
nen Zeit sämmtlich als natürliche, in der andern sämmtlich<lb/>
als übernatürliche denken zu müssen.</p><lb/>
          <p>Die schlimmste Schwierigkeit aber erwächst für den<lb/><hi rendition="#k">Olshausen</hi>'schen Vermittlungsversuch zwischen der jüdisch-<lb/>
neutestamentlichen Dämonologie und der Bildung unsrer<lb/>
Zeit daraus, da&#x017F;s dieses leztere Element in ihm der An-<lb/>
nahme persönlicher Dämonen widerstrebt. Dasselbe, der<lb/>
Bildung des gedachten Theologen durch die Naturphiloso-<lb/>
phie angehörige Streben, das im N. T. als ein Heer dis-<lb/>
creter Individuen Gedachte emanatistisch in das Con-<lb/>
tinuum einer Substanz aufzulösen, welche zwar einzelne<lb/>
Kräfte aus sich hervortreten, diese jedoch nicht zu selbst-<lb/>
ständigen Individuen sich fixiren, sondern als Accidenzien<lb/>
wieder in die Einheit der Substanz zurückkehren lä&#x017F;st, &#x2014;<lb/>
dieses Streben sahen wir schon in <hi rendition="#k">Olshausen's</hi> Angelolo-<lb/>
gie hindurchleuchten, und entschiedener tritt es nun in der<lb/>
Dämonologie hervor. Dämonische Persönlichkeiten sind<lb/>
zu widrig, bei den angeblich Besessenen namentlich das,<lb/>
wie es <hi rendition="#k">Olshausen</hi> selbst ausdrückt <note place="foot" n="28)">S. 295 f.</note>, Stecken zweier<lb/>
Subjekte in Einem Individuum zu undenkbar, als da&#x017F;s man<lb/>
sich eine solche Vorstellung zumuthen könnte. Daher wird<lb/>
überall nur in schwebender Allgemeinheit von einem Rei-<lb/>
che des Bösen und der Finsterni&#x017F;s geredet, und zwar ein<lb/>
persönlicher Fürst desselben vorausgesezt, aber unter den<lb/>
Dämonen nur die einzelnen Ausflüsse und Wirkungen ver-<lb/>
standen, in welchen das böse Princip sich manifestirt. Da-<lb/>
her, und hieran ist <hi rendition="#k">Olshausen's</hi> Ansicht von den Dämo-<lb/>
nen am bestimmtesten zu ergreifen, ist es ihm zu viel, da&#x017F;s<lb/>
Jesus den Dämon im Gadarener um seinen Namen gefragt<lb/>
haben soll: so bestimmt kann doch Christus die von dem<lb/>
Ausleger bezweifelte Persönlichkeit jener Ausflüsse des<lb/>
finstern Reiches nicht vorausgesezt haben; we&#x017F;swegen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#i">Das Leben Jesu II. Band.</hi> 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0036] Neuntes Kapitel. §. 88. die grelle Ungleichheit, dieselben Krankheiten in der ei- nen Zeit sämmtlich als natürliche, in der andern sämmtlich als übernatürliche denken zu müssen. Die schlimmste Schwierigkeit aber erwächst für den Olshausen'schen Vermittlungsversuch zwischen der jüdisch- neutestamentlichen Dämonologie und der Bildung unsrer Zeit daraus, daſs dieses leztere Element in ihm der An- nahme persönlicher Dämonen widerstrebt. Dasselbe, der Bildung des gedachten Theologen durch die Naturphiloso- phie angehörige Streben, das im N. T. als ein Heer dis- creter Individuen Gedachte emanatistisch in das Con- tinuum einer Substanz aufzulösen, welche zwar einzelne Kräfte aus sich hervortreten, diese jedoch nicht zu selbst- ständigen Individuen sich fixiren, sondern als Accidenzien wieder in die Einheit der Substanz zurückkehren läſst, — dieses Streben sahen wir schon in Olshausen's Angelolo- gie hindurchleuchten, und entschiedener tritt es nun in der Dämonologie hervor. Dämonische Persönlichkeiten sind zu widrig, bei den angeblich Besessenen namentlich das, wie es Olshausen selbst ausdrückt 28), Stecken zweier Subjekte in Einem Individuum zu undenkbar, als daſs man sich eine solche Vorstellung zumuthen könnte. Daher wird überall nur in schwebender Allgemeinheit von einem Rei- che des Bösen und der Finsterniſs geredet, und zwar ein persönlicher Fürst desselben vorausgesezt, aber unter den Dämonen nur die einzelnen Ausflüsse und Wirkungen ver- standen, in welchen das böse Princip sich manifestirt. Da- her, und hieran ist Olshausen's Ansicht von den Dämo- nen am bestimmtesten zu ergreifen, ist es ihm zu viel, daſs Jesus den Dämon im Gadarener um seinen Namen gefragt haben soll: so bestimmt kann doch Christus die von dem Ausleger bezweifelte Persönlichkeit jener Ausflüsse des finstern Reiches nicht vorausgesezt haben; weſswegen 28) S. 295 f. Das Leben Jesu II. Band. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/36
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/36>, abgerufen am 21.11.2024.