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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Erstes Kapitel. §. 111.
die entgegengesezte Seite, und wagte den Versuch, die be-
treffenden Reden Jesu in ihrem ganzen Verlauf nur auf
die Zerstörung Jerusalems, und was ihr zunächst voran-
gieng und folgte, zu beziehen 4). Dieser Auslegung zu-
folge soll das Ende, von welchem die Rede ist, nur das
Aufhören der jüdisch-heidnischen Weltgestaltung; das von
der Ankunft Christi in den Wolken Gesagte nur bildliche
Bezeichnung der Verbreitung und des Siegs seiner Lehre;
die Versammlung der Völker zum Gericht und die Verwei-
sung der einen in die Seligkeit, der andern in die Ver-
dammniss ein Bild für die beglückenden Folgen sein, wel-
che die Aneignung der Lehre und Sache Jesu, und für die
Übel, welche die Gleichgültigkeit oder gar Feindschaft ge-
gen dieselbe mit sich führe. Allein hiebei wird ein Ab-
stand der Bilder von den Ideen angenommen, der sowohl
an sich unerhört, als im Besondern hier nicht denkbar ist,
wo Jesus zu jüdisch Gebildeten redend, wissen musste, dass
sie, was er von Ankunft des Messias in den Wolken, vom
Gericht und Ende der gegenwärtigen Weltperiode sagte,
im eigentlichsten Verstande nehmen würden.

Lässt auf diese Weise die Rede Jesu ihrer ganzen
Länge nach weder auf die Zerstörung des jüdischen Staats,
noch auf die Vorgänge am Ende der Dinge sich beziehen:
so müsste sie auf etwas von beidem Verschiedenes bezogen
werden, wenn jedesmal an einem und ebendemselben Zug
jene gedoppelte Unmöglichkeit haften würde. So aber liegt
die Sache nicht, sondern während auf das ferne Ende der
Welt nicht bezogen werden kann, was Matth. 24, 2. 3.
15 ff. von Verwüstung des Tempels u. s. w. gesagt wird:
kann umgekehrt auf die Zerstörung Jerusalems das nicht
gehen, was 25, 31 ff. von dem durch des Menschen Sohn

4) Bahrdt, Übersetzung des N. T.s, 1, S. 1103, 3te Ausg.;
Eckermann, Handbuch der Glaubenslehre, 2, S. 579. 3, S. 427.
437. 709 ff., und Andere, bei Schott, a. a. O.

Erstes Kapitel. §. 111.
die entgegengesezte Seite, und wagte den Versuch, die be-
treffenden Reden Jesu in ihrem ganzen Verlauf nur auf
die Zerstörung Jerusalems, und was ihr zunächst voran-
gieng und folgte, zu beziehen 4). Dieser Auslegung zu-
folge soll das Ende, von welchem die Rede ist, nur das
Aufhören der jüdisch-heidnischen Weltgestaltung; das von
der Ankunft Christi in den Wolken Gesagte nur bildliche
Bezeichnung der Verbreitung und des Siegs seiner Lehre;
die Versammlung der Völker zum Gericht und die Verwei-
sung der einen in die Seligkeit, der andern in die Ver-
dammniſs ein Bild für die beglückenden Folgen sein, wel-
che die Aneignung der Lehre und Sache Jesu, und für die
Übel, welche die Gleichgültigkeit oder gar Feindschaft ge-
gen dieselbe mit sich führe. Allein hiebei wird ein Ab-
stand der Bilder von den Ideen angenommen, der sowohl
an sich unerhört, als im Besondern hier nicht denkbar ist,
wo Jesus zu jüdisch Gebildeten redend, wissen muſste, daſs
sie, was er von Ankunft des Messias in den Wolken, vom
Gericht und Ende der gegenwärtigen Weltperiode sagte,
im eigentlichsten Verstande nehmen würden.

Läſst auf diese Weise die Rede Jesu ihrer ganzen
Länge nach weder auf die Zerstörung des jüdischen Staats,
noch auf die Vorgänge am Ende der Dinge sich beziehen:
so müſste sie auf etwas von beidem Verschiedenes bezogen
werden, wenn jedesmal an einem und ebendemselben Zug
jene gedoppelte Unmöglichkeit haften würde. So aber liegt
die Sache nicht, sondern während auf das ferne Ende der
Welt nicht bezogen werden kann, was Matth. 24, 2. 3.
15 ff. von Verwüstung des Tempels u. s. w. gesagt wird:
kann umgekehrt auf die Zerstörung Jerusalems das nicht
gehen, was 25, 31 ff. von dem durch des Menschen Sohn

4) Bahrdt, Übersetzung des N. T.s, 1, S. 1103, 3te Ausg.;
Eckermann, Handbuch der Glaubenslehre, 2, S. 579. 3, S. 427.
437. 709 ff., und Andere, bei Schott, a. a. O.
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[347/0366] Erstes Kapitel. §. 111. die entgegengesezte Seite, und wagte den Versuch, die be- treffenden Reden Jesu in ihrem ganzen Verlauf nur auf die Zerstörung Jerusalems, und was ihr zunächst voran- gieng und folgte, zu beziehen 4). Dieser Auslegung zu- folge soll das Ende, von welchem die Rede ist, nur das Aufhören der jüdisch-heidnischen Weltgestaltung; das von der Ankunft Christi in den Wolken Gesagte nur bildliche Bezeichnung der Verbreitung und des Siegs seiner Lehre; die Versammlung der Völker zum Gericht und die Verwei- sung der einen in die Seligkeit, der andern in die Ver- dammniſs ein Bild für die beglückenden Folgen sein, wel- che die Aneignung der Lehre und Sache Jesu, und für die Übel, welche die Gleichgültigkeit oder gar Feindschaft ge- gen dieselbe mit sich führe. Allein hiebei wird ein Ab- stand der Bilder von den Ideen angenommen, der sowohl an sich unerhört, als im Besondern hier nicht denkbar ist, wo Jesus zu jüdisch Gebildeten redend, wissen muſste, daſs sie, was er von Ankunft des Messias in den Wolken, vom Gericht und Ende der gegenwärtigen Weltperiode sagte, im eigentlichsten Verstande nehmen würden. Läſst auf diese Weise die Rede Jesu ihrer ganzen Länge nach weder auf die Zerstörung des jüdischen Staats, noch auf die Vorgänge am Ende der Dinge sich beziehen: so müſste sie auf etwas von beidem Verschiedenes bezogen werden, wenn jedesmal an einem und ebendemselben Zug jene gedoppelte Unmöglichkeit haften würde. So aber liegt die Sache nicht, sondern während auf das ferne Ende der Welt nicht bezogen werden kann, was Matth. 24, 2. 3. 15 ff. von Verwüstung des Tempels u. s. w. gesagt wird: kann umgekehrt auf die Zerstörung Jerusalems das nicht gehen, was 25, 31 ff. von dem durch des Menschen Sohn 4) Bahrdt, Übersetzung des N. T.s, 1, S. 1103, 3te Ausg.; Eckermann, Handbuch der Glaubenslehre, 2, S. 579. 3, S. 427. 437. 709 ff., und Andere, bei Schott, a. a. O.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/366>, abgerufen am 25.11.2024.