Zeit Jesu eine solche Abweichung noch gar nicht stattge- funden haben kann; ohnehin vom Paschafest findet aus je- ner Zeit sich keine Spur, dass es von verschiedenen Par- teien an verschiedenen Tagen gefeiert worden wäre 10). Angenommen jedoch, jene Differenz in der Bestimmung des Neumonds habe schon damals obgewaltet, so würde die Festsetzung desselben nach der Phase, welcher Jesus ge- folgt sein soll, eher ein späteres als ein früheres Pascha zur Folge gehabt haben; wesswegen denn wirklich Einige vermutheten, Jesus möge sich vielmehr an den astronomi- schen Calcul gehalten haben 11).
Ausser dem, was sich auf diese Weise gegen jeden einzelnen der Versuche, die Angaben der Evangelisten über die Zeit des lezten Mahles Jesu gütlich zu vereinigen, sa- gen lässt, entscheidet gegen alle zusammen ein Umstand, welchen erst die neueste Kritik gehörig hervorgehoben hat. Es verhält sich nämlich mit diesem Widerstreite nicht so, dass unter grösstentheils harmonirenden Stellen nur etwa Eine Äusserung von scheinbar entgegengeseztem Sinne vor- käme, wobei man dann sagen könnte, der Verfasser habe sich hier eines ungenauen Ausdrucks bedient, der aus den übrigen Stellen zu erklären sei: sondern alle Zeitbestim- mungen der Synoptiker sind von der Art, dass nach ihnen Jesus das wahre Pascha noch mitgefeiert haben müsste, alle johanneischen dagegen so, dass er es nicht mitge- feiert haben kann 12). Da sich auf diese Weise zwei un- ter sich differirende Gesammtheiten evangelischer Stellen gegenüberstehen, die auf zwei verschiedene Grundansich- ten der Referenten über die Sache hinweisen: so kann es, wie Sieffert sehr wahr bemerkt, nicht mehr als wissen- schaftliche Auslegung, sondern nur als unwissenschaftliche
10) s. Paulus, exeg. Handbuch 3, a, S. 486 ff.
11)Michaelis, Anm. zu Joh. 13.
12)Sieffert, a. a. O.; Hase, L. J. §. 124.
Dritter Abschnitt.
Zeit Jesu eine solche Abweichung noch gar nicht stattge- funden haben kann; ohnehin vom Paschafest findet aus je- ner Zeit sich keine Spur, daſs es von verschiedenen Par- teien an verschiedenen Tagen gefeiert worden wäre 10). Angenommen jedoch, jene Differenz in der Bestimmung des Neumonds habe schon damals obgewaltet, so würde die Festsetzung desselben nach der Phase, welcher Jesus ge- folgt sein soll, eher ein späteres als ein früheres Pascha zur Folge gehabt haben; weſswegen denn wirklich Einige vermutheten, Jesus möge sich vielmehr an den astronomi- schen Calcul gehalten haben 11).
Ausser dem, was sich auf diese Weise gegen jeden einzelnen der Versuche, die Angaben der Evangelisten über die Zeit des lezten Mahles Jesu gütlich zu vereinigen, sa- gen läſst, entscheidet gegen alle zusammen ein Umstand, welchen erst die neueste Kritik gehörig hervorgehoben hat. Es verhält sich nämlich mit diesem Widerstreite nicht so, daſs unter gröſstentheils harmonirenden Stellen nur etwa Eine Äusserung von scheinbar entgegengeseztem Sinne vor- käme, wobei man dann sagen könnte, der Verfasser habe sich hier eines ungenauen Ausdrucks bedient, der aus den übrigen Stellen zu erklären sei: sondern alle Zeitbestim- mungen der Synoptiker sind von der Art, daſs nach ihnen Jesus das wahre Pascha noch mitgefeiert haben müſste, alle johanneischen dagegen so, daſs er es nicht mitge- feiert haben kann 12). Da sich auf diese Weise zwei un- ter sich differirende Gesammtheiten evangelischer Stellen gegenüberstehen, die auf zwei verschiedene Grundansich- ten der Referenten über die Sache hinweisen: so kann es, wie Sieffert sehr wahr bemerkt, nicht mehr als wissen- schaftliche Auslegung, sondern nur als unwissenschaftliche
10) s. Paulus, exeg. Handbuch 3, a, S. 486 ff.
11)Michaelis, Anm. zu Joh. 13.
12)Sieffert, a. a. O.; Hase, L. J. §. 124.
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Dritter Abschnitt.
Zeit Jesu eine solche Abweichung noch gar nicht stattge-
funden haben kann; ohnehin vom Paschafest findet aus je-
ner Zeit sich keine Spur, daſs es von verschiedenen Par-
teien an verschiedenen Tagen gefeiert worden wäre 10).
Angenommen jedoch, jene Differenz in der Bestimmung
des Neumonds habe schon damals obgewaltet, so würde die
Festsetzung desselben nach der Phase, welcher Jesus ge-
folgt sein soll, eher ein späteres als ein früheres Pascha
zur Folge gehabt haben; weſswegen denn wirklich Einige
vermutheten, Jesus möge sich vielmehr an den astronomi-
schen Calcul gehalten haben 11).
Ausser dem, was sich auf diese Weise gegen jeden
einzelnen der Versuche, die Angaben der Evangelisten über
die Zeit des lezten Mahles Jesu gütlich zu vereinigen, sa-
gen läſst, entscheidet gegen alle zusammen ein Umstand,
welchen erst die neueste Kritik gehörig hervorgehoben hat.
Es verhält sich nämlich mit diesem Widerstreite nicht so,
daſs unter gröſstentheils harmonirenden Stellen nur etwa
Eine Äusserung von scheinbar entgegengeseztem Sinne vor-
käme, wobei man dann sagen könnte, der Verfasser habe
sich hier eines ungenauen Ausdrucks bedient, der aus den
übrigen Stellen zu erklären sei: sondern alle Zeitbestim-
mungen der Synoptiker sind von der Art, daſs nach ihnen
Jesus das wahre Pascha noch mitgefeiert haben müſste,
alle johanneischen dagegen so, daſs er es nicht mitge-
feiert haben kann 12). Da sich auf diese Weise zwei un-
ter sich differirende Gesammtheiten evangelischer Stellen
gegenüberstehen, die auf zwei verschiedene Grundansich-
ten der Referenten über die Sache hinweisen: so kann es,
wie Sieffert sehr wahr bemerkt, nicht mehr als wissen-
schaftliche Auslegung, sondern nur als unwissenschaftliche
10) s. Paulus, exeg. Handbuch 3, a, S. 486 ff.
11) Michaelis, Anm. zu Joh. 13.
12) Sieffert, a. a. O.; Hase, L. J. §. 124.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/429>, abgerufen am 24.11.2024.
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