gar nicht vor der Zeit aus der Gesellschaft entfernte, das Abendmahl mitgenossen.
Aber auch in der Art und Weise, wie Jesus seinen Verräther bezeichnet haben soll, weichen die Evangelisten nicht unbedeutend von einander ab. Bei Lukas giebt Jesus nur kurz die Versicherung, dass die Hand seines Verräthers mit ihm über Tische sei, worauf die Jünger unter sich fra- gen, wer es wohl sein möge, der so etwas zu thun im Stande wäre? Bei Matthäus und Markus sagt er zuerst, einer der Anwesenden werde ihn verrathen, und als von den Jüngern ihn jeder einzeln fragt, ob er es sei? erwie- dert er: der mit ihm in die Schüssel tauche; bis endlich nach einem über den Verräther ausgesprochenen Wehe dem Matthäus zufolge auch Judas jene Frage thut, worauf ihm Jesus eine bejahende Antwort giebt. Bei Johannes deu- tet Jesus zuerst während und nach der Fusswaschung an, dass nicht alle anwesenden Jünger rein seien, dass viel- mehr die Schrift erfüllt werden müsse: der mit mir das Brot isst, erhebt die Ferse gegen mich. Dann sagt er ge- radezu, einer von ihnen werde ihn verrathen, und als die Jünger forschend einander anblicken, wen er wohl meine, lässt Petrus durch den zunächst an Jesu liegenden Johan- nes fragen, wer es sei? worauf Jesus erwiedert, der, wel- chem er den Bissen eintauche und gebe, was er sofort dem Judas thut, mit beigefügter Erinnerung, die Ausführung seines Vorhabens zu beschleunigen; worauf dieser die Ge- sellschaft verlässt.
Die Harmonisten sind auch hier schnell damit fertig gewesen, die verschiedenen Scenen ineinander einzuschie- ben und miteinder verträglich zu machen. Da soll Jesus auf die Frage der einzelnen Jünger, ob sie es seien, zu- erst mit lauter Stimme erklärt haben, einer seiner Tisch- genossen werde ihn verrathen (Matth.); hierauf soll Jo- hannes leise gefragt haben, wer es näher sei, und Jesus ihm ebenso leise die Antwort ertheilt: der, dem er den
Zweites Kapitel. §. 119.
gar nicht vor der Zeit aus der Gesellschaft entfernte, das Abendmahl mitgenossen.
Aber auch in der Art und Weise, wie Jesus seinen Verräther bezeichnet haben soll, weichen die Evangelisten nicht unbedeutend von einander ab. Bei Lukas giebt Jesus nur kurz die Versicherung, daſs die Hand seines Verräthers mit ihm über Tische sei, worauf die Jünger unter sich fra- gen, wer es wohl sein möge, der so etwas zu thun im Stande wäre? Bei Matthäus und Markus sagt er zuerst, einer der Anwesenden werde ihn verrathen, und als von den Jüngern ihn jeder einzeln fragt, ob er es sei? erwie- dert er: der mit ihm in die Schüssel tauche; bis endlich nach einem über den Verräther ausgesprochenen Wehe dem Matthäus zufolge auch Judas jene Frage thut, worauf ihm Jesus eine bejahende Antwort giebt. Bei Johannes deu- tet Jesus zuerst während und nach der Fuſswaschung an, daſs nicht alle anwesenden Jünger rein seien, daſs viel- mehr die Schrift erfüllt werden müsse: der mit mir das Brot iſst, erhebt die Ferse gegen mich. Dann sagt er ge- radezu, einer von ihnen werde ihn verrathen, und als die Jünger forschend einander anblicken, wen er wohl meine, läſst Petrus durch den zunächst an Jesu liegenden Johan- nes fragen, wer es sei? worauf Jesus erwiedert, der, wel- chem er den Bissen eintauche und gebe, was er sofort dem Judas thut, mit beigefügter Erinnerung, die Ausführung seines Vorhabens zu beschleunigen; worauf dieser die Ge- sellschaft verläſst.
Die Harmonisten sind auch hier schnell damit fertig gewesen, die verschiedenen Scenen ineinander einzuschie- ben und miteinder verträglich zu machen. Da soll Jesus auf die Frage der einzelnen Jünger, ob sie es seien, zu- erst mit lauter Stimme erklärt haben, einer seiner Tisch- genossen werde ihn verrathen (Matth.); hierauf soll Jo- hannes leise gefragt haben, wer es näher sei, und Jesus ihm ebenso leise die Antwort ertheilt: der, dem er den
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Zweites Kapitel. §. 119.
gar nicht vor der Zeit aus der Gesellschaft entfernte, das
Abendmahl mitgenossen.
Aber auch in der Art und Weise, wie Jesus seinen
Verräther bezeichnet haben soll, weichen die Evangelisten
nicht unbedeutend von einander ab. Bei Lukas giebt Jesus
nur kurz die Versicherung, daſs die Hand seines Verräthers
mit ihm über Tische sei, worauf die Jünger unter sich fra-
gen, wer es wohl sein möge, der so etwas zu thun im
Stande wäre? Bei Matthäus und Markus sagt er zuerst,
einer der Anwesenden werde ihn verrathen, und als von
den Jüngern ihn jeder einzeln fragt, ob er es sei? erwie-
dert er: der mit ihm in die Schüssel tauche; bis endlich
nach einem über den Verräther ausgesprochenen Wehe dem
Matthäus zufolge auch Judas jene Frage thut, worauf ihm
Jesus eine bejahende Antwort giebt. Bei Johannes deu-
tet Jesus zuerst während und nach der Fuſswaschung an,
daſs nicht alle anwesenden Jünger rein seien, daſs viel-
mehr die Schrift erfüllt werden müsse: der mit mir das
Brot iſst, erhebt die Ferse gegen mich. Dann sagt er ge-
radezu, einer von ihnen werde ihn verrathen, und als die
Jünger forschend einander anblicken, wen er wohl meine,
läſst Petrus durch den zunächst an Jesu liegenden Johan-
nes fragen, wer es sei? worauf Jesus erwiedert, der, wel-
chem er den Bissen eintauche und gebe, was er sofort dem
Judas thut, mit beigefügter Erinnerung, die Ausführung
seines Vorhabens zu beschleunigen; worauf dieser die Ge-
sellschaft verläſst.
Die Harmonisten sind auch hier schnell damit fertig
gewesen, die verschiedenen Scenen ineinander einzuschie-
ben und miteinder verträglich zu machen. Da soll Jesus
auf die Frage der einzelnen Jünger, ob sie es seien, zu-
erst mit lauter Stimme erklärt haben, einer seiner Tisch-
genossen werde ihn verrathen (Matth.); hierauf soll Jo-
hannes leise gefragt haben, wer es näher sei, und Jesus
ihm ebenso leise die Antwort ertheilt: der, dem er den
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/446>, abgerufen am 23.11.2024.
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