blickten, und diese Deutungen wurden Jesu statt derjeni- gen, welche er der Sitte gemäss bei jenem lezten Mahl gegeben hatte, in den Mund gelegt. Dass zur Vergegen- wärtigung des Leibes Jesu nicht das Paschalamm, sondern das Brot genommen wurde, hatte seinen Grund vielleicht in der Scheue, dem Hauptbestandtheil des Paschamahls sei- ne jüdische Bedeutung zu nehmen, so wie in der frühzei- tig hervortretenden Neigung, dieses Gedächtnissmahl vom Pascha zu lösen, und in öfterer Wiederholung zu begehen. Dass aber bei dem das Blut Jesu vorstellenden Weine die Bezeichnung: to aima tes kaines diathekes gewählt wurde, hat seinen Grund in der Rücksicht auf die Stelle 2. Mos. 24, 8, wo Moses von dem Blut, mit welchem er zur Ab- schliessung des Bundes zwischen Jehova und dem Volk in Bezug auf das Sinaitische Gesez die Israeliten besprengte, sagt: idou to aima tes diathekes, es dietheto Kurios pros umas peri panton ton logon touton (LXX.).
Doch dass Jesus bei jenem Mahle bereits sein unmit- telbar bevorstehendes Ende vorhergesehen, scheint die Ver- sicherung zu beweisen, welche er nach sämmtlichen syn- optischen Berichten seinen Jüngern giebt, dass er von dem Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken werde, bis er es neu geniessen werde im Reich seines Vaters. Sehen wir jedoch, wie bei Lukas dieser Versicherung in Bezug auf den Wein die Erklärung Jesu vorangeht, das Pascha werde er nicht mehr geniessen bis zur Erfüllung im Got- tesreich, so ist wohl ursprünglich auch unter dem gennema tes ampelou nicht Wein überhaupt, sondern speciell der Paschatrunk verstanden gewesen, wovon man auch bei Mat- thäus und Markus in dem toutou, welches sie zu gennematos setzen, eine Spur entdecken kann. Von Mahlzeiten im messianischen Reich sprach Jesus, gemäss den Vorstellun- gen seiner Zeit, öfters, und so mag er erwartet haben, dass in demselben namentlich das Paschamahl mit besonde- rer Feierlichkeit werde begangen werden. Wenn er nun
Zweites Kapitel. §. 120.
blickten, und diese Deutungen wurden Jesu statt derjeni- gen, welche er der Sitte gemäſs bei jenem lezten Mahl gegeben hatte, in den Mund gelegt. Daſs zur Vergegen- wärtigung des Leibes Jesu nicht das Paschalamm, sondern das Brot genommen wurde, hatte seinen Grund vielleicht in der Scheue, dem Hauptbestandtheil des Paschamahls sei- ne jüdische Bedeutung zu nehmen, so wie in der frühzei- tig hervortretenden Neigung, dieses Gedächtniſsmahl vom Pascha zu lösen, und in öfterer Wiederholung zu begehen. Daſs aber bei dem das Blut Jesu vorstellenden Weine die Bezeichnung: τὸ αἷμα τῆς καινῆς διαϑήκης gewählt wurde, hat seinen Grund in der Rücksicht auf die Stelle 2. Mos. 24, 8, wo Moses von dem Blut, mit welchem er zur Ab- schlieſsung des Bundes zwischen Jehova und dem Volk in Bezug auf das Sinaitische Gesez die Israëliten besprengte, sagt: ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαϑήκης, ἧς διέϑετο Κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τουτων (LXX.).
Doch daſs Jesus bei jenem Mahle bereits sein unmit- telbar bevorstehendes Ende vorhergesehen, scheint die Ver- sicherung zu beweisen, welche er nach sämmtlichen syn- optischen Berichten seinen Jüngern giebt, daſs er von dem Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken werde, bis er es neu genieſsen werde im Reich seines Vaters. Sehen wir jedoch, wie bei Lukas dieser Versicherung in Bezug auf den Wein die Erklärung Jesu vorangeht, das Pascha werde er nicht mehr genieſsen bis zur Erfüllung im Got- tesreich, so ist wohl ursprünglich auch unter dem γέννημα τῆς ἀμπέλου nicht Wein überhaupt, sondern speciell der Paschatrunk verstanden gewesen, wovon man auch bei Mat- thäus und Markus in dem τουτου, welches sie zu γεννήματος setzen, eine Spur entdecken kann. Von Mahlzeiten im messianischen Reich sprach Jesus, gemäſs den Vorstellun- gen seiner Zeit, öfters, und so mag er erwartet haben, daſs in demselben namentlich das Paschamahl mit besonde- rer Feierlichkeit werde begangen werden. Wenn er nun
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Zweites Kapitel. §. 120.
blickten, und diese Deutungen wurden Jesu statt derjeni-
gen, welche er der Sitte gemäſs bei jenem lezten Mahl
gegeben hatte, in den Mund gelegt. Daſs zur Vergegen-
wärtigung des Leibes Jesu nicht das Paschalamm, sondern
das Brot genommen wurde, hatte seinen Grund vielleicht
in der Scheue, dem Hauptbestandtheil des Paschamahls sei-
ne jüdische Bedeutung zu nehmen, so wie in der frühzei-
tig hervortretenden Neigung, dieses Gedächtniſsmahl vom
Pascha zu lösen, und in öfterer Wiederholung zu begehen.
Daſs aber bei dem das Blut Jesu vorstellenden Weine die
Bezeichnung: τὸ αἷμα τῆς καινῆς διαϑήκης gewählt wurde,
hat seinen Grund in der Rücksicht auf die Stelle 2. Mos.
24, 8, wo Moses von dem Blut, mit welchem er zur Ab-
schlieſsung des Bundes zwischen Jehova und dem Volk in
Bezug auf das Sinaitische Gesez die Israëliten besprengte,
sagt: ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαϑήκης, ἧς διέϑετο Κύριος πρὸς
ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τουτων (LXX.).
Doch daſs Jesus bei jenem Mahle bereits sein unmit-
telbar bevorstehendes Ende vorhergesehen, scheint die Ver-
sicherung zu beweisen, welche er nach sämmtlichen syn-
optischen Berichten seinen Jüngern giebt, daſs er von dem
Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken werde, bis
er es neu genieſsen werde im Reich seines Vaters. Sehen
wir jedoch, wie bei Lukas dieser Versicherung in Bezug
auf den Wein die Erklärung Jesu vorangeht, das Pascha
werde er nicht mehr genieſsen bis zur Erfüllung im Got-
tesreich, so ist wohl ursprünglich auch unter dem γέννημα
τῆς ἀμπέλου nicht Wein überhaupt, sondern speciell der
Paschatrunk verstanden gewesen, wovon man auch bei Mat-
thäus und Markus in dem τουτου, welches sie zu γεννήματος
setzen, eine Spur entdecken kann. Von Mahlzeiten im
messianischen Reich sprach Jesus, gemäſs den Vorstellun-
gen seiner Zeit, öfters, und so mag er erwartet haben,
daſs in demselben namentlich das Paschamahl mit besonde-
rer Feierlichkeit werde begangen werden. Wenn er nun
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/460>, abgerufen am 22.11.2024.
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