genähert, und wenn auch diess, so konnte er, der sich durch einen Gott feindseligen Dämon besessen glaubte, Jesum doch gewiss nicht bei Gott beschwören, wie Mar- kus den Dämonischen thun lässt 16). Kann demnach sei- ne Darstellung hier die ursprüngliche nicht sein, so ist die des Lukas ihr zu verwandt, und eigentlich nur um die Züge des Herzulaufens und Beschwörens einfacher, als dass wir sie für die dem Faktum nächste ansehen könnten. Son- dern die am reinsten gehaltene ist ohne Zweifel die des Matthäus, deren schreckenvolle Frage: elthes ode pro kairou basanisai emas; einem Dämon, der als Feind des Messiasreichs vom Messias keine Schonung zu erwarten hatte, weit natürlicher steht, als die Bitte um Schonung bei Markus und Lukas, wenn gleich Philostratus in einer Erzählung, die man als Nachbildung dieser evangelischen ansehen könnte, sich an die leztere Form gehalten hat 17).
Während man nach dem Bisherigen glauben musste, die Dämonen haben hier wie in der ersten Erzählung, oh- ne dass etwas von Seiten Jesu vorangegangen war, ihn auf die beschriebene Weise angesprochen: so holen nun die zwei mittleren Evangelisten nach, Jesus habe nämlich dem unsaubern Geiste geboten gehabt, den Menschen zu verlassen. Es fragt sich, wann Jesus diess gethan ha- ben soll. Das Nächste wäre: ehe der Mensch ihn anre- dete; aber mit dieser Anrede ist bei Lukas das prosepese, und mit diesem weiter rückwärts das anakr[a]xas so eng verbunden, dass man den Befehl Jesu vor den Schrei und Fussfall als deren Ursache setzen müsste. Nun aber ist als Ursache davon vielmehr der blosse Anblick Jesu ange- geben, so dass man bei Lukas nicht sieht, wo jenes Gebot
16) Diess finden auch Paulus S. 474. und Olsmausen S. 303. auf- fallend.
17) Es ist diess die Erzählung von der Entlarvung einer Empusa durch Apollonius von Tyana, vit. Ap. 4, 35; bei Baur S. 145.
Neuntes Kapitel. §. 89.
genähert, und wenn auch dieſs, so konnte er, der sich durch einen Gott feindseligen Dämon besessen glaubte, Jesum doch gewiſs nicht bei Gott beschwören, wie Mar- kus den Dämonischen thun läſst 16). Kann demnach sei- ne Darstellung hier die ursprüngliche nicht sein, so ist die des Lukas ihr zu verwandt, und eigentlich nur um die Züge des Herzulaufens und Beschwörens einfacher, als daſs wir sie für die dem Faktum nächste ansehen könnten. Son- dern die am reinsten gehaltene ist ohne Zweifel die des Matthäus, deren schreckenvolle Frage: ἦλϑες ὧδε πρὸ καιροῦ βασανίσαι ἡμᾶς; einem Dämon, der als Feind des Messiasreichs vom Messias keine Schonung zu erwarten hatte, weit natürlicher steht, als die Bitte um Schonung bei Markus und Lukas, wenn gleich Philostratus in einer Erzählung, die man als Nachbildung dieser evangelischen ansehen könnte, sich an die leztere Form gehalten hat 17).
Während man nach dem Bisherigen glauben muſste, die Dämonen haben hier wie in der ersten Erzählung, oh- ne daſs etwas von Seiten Jesu vorangegangen war, ihn auf die beschriebene Weise angesprochen: so holen nun die zwei mittleren Evangelisten nach, Jesus habe nämlich dem unsaubern Geiste geboten gehabt, den Menschen zu verlassen. Es fragt sich, wann Jesus dieſs gethan ha- ben soll. Das Nächste wäre: ehe der Mensch ihn anre- dete; aber mit dieser Anrede ist bei Lukas das προσέπεσε, und mit diesem weiter rückwärts das ἀνακρ[ά]ξας so eng verbunden, daſs man den Befehl Jesu vor den Schrei und Fuſsfall als deren Ursache setzen müſste. Nun aber ist als Ursache davon vielmehr der bloſse Anblick Jesu ange- geben, so daſs man bei Lukas nicht sieht, wo jenes Gebot
16) Diess finden auch Paulus S. 474. und Olsmausen S. 303. auf- fallend.
17) Es ist diess die Erzählung von der Entlarvung einer Empusa durch Apollonius von Tyana, vit. Ap. 4, 35; bei Baur S. 145.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0048"n="29"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Neuntes Kapitel</hi>. §. 89.</fw><lb/>
genähert, und wenn auch dieſs, so konnte er, der sich<lb/>
durch einen Gott feindseligen Dämon besessen glaubte,<lb/>
Jesum doch gewiſs nicht bei Gott beschwören, wie Mar-<lb/>
kus den Dämonischen thun läſst <noteplace="foot"n="16)">Diess finden auch <hirendition="#k">Paulus</hi> S. 474. und <hirendition="#k">Olsmausen</hi> S. 303. auf-<lb/>
fallend.</note>. Kann demnach sei-<lb/>
ne Darstellung hier die ursprüngliche nicht sein, so ist die<lb/>
des Lukas ihr zu verwandt, und eigentlich nur um die<lb/>
Züge des Herzulaufens und Beschwörens einfacher, als daſs<lb/>
wir sie für die dem Faktum nächste ansehen könnten. Son-<lb/>
dern die am reinsten gehaltene ist ohne Zweifel die des<lb/>
Matthäus, deren schreckenvolle Frage: <foreignxml:lang="ell">ἦλϑεςὧδεπρὸ<lb/>καιροῦβασανίσαιἡμᾶς;</foreign> einem Dämon, der als Feind des<lb/>
Messiasreichs vom Messias keine Schonung zu erwarten<lb/>
hatte, weit natürlicher steht, als die Bitte um Schonung<lb/>
bei Markus und Lukas, wenn gleich Philostratus in einer<lb/>
Erzählung, die man als Nachbildung dieser evangelischen<lb/>
ansehen könnte, sich an die leztere Form gehalten hat <noteplace="foot"n="17)">Es ist diess die Erzählung von der Entlarvung einer Empusa<lb/>
durch Apollonius von Tyana, vit. Ap. 4, 35; bei <hirendition="#k">Baur</hi> S. 145.</note>.</p><lb/><p>Während man nach dem Bisherigen glauben muſste,<lb/>
die Dämonen haben hier wie in der ersten Erzählung, oh-<lb/>
ne daſs etwas von Seiten Jesu vorangegangen war, ihn auf<lb/>
die beschriebene Weise angesprochen: so holen nun die<lb/>
zwei mittleren Evangelisten nach, Jesus habe nämlich<lb/>
dem unsaubern Geiste geboten gehabt, den Menschen zu<lb/>
verlassen. Es fragt sich, wann Jesus dieſs gethan ha-<lb/>
ben soll. Das Nächste wäre: ehe der Mensch ihn anre-<lb/>
dete; aber mit dieser Anrede ist bei Lukas das <foreignxml:lang="ell">προσέπεσε</foreign>,<lb/>
und mit diesem weiter rückwärts das <foreignxml:lang="ell">ἀνακρ<supplied>ά</supplied>ξας</foreign> so eng<lb/>
verbunden, daſs man den Befehl Jesu vor den Schrei und<lb/>
Fuſsfall als deren Ursache setzen müſste. Nun aber ist<lb/>
als Ursache davon vielmehr der bloſse Anblick Jesu ange-<lb/>
geben, so daſs man bei Lukas nicht sieht, wo jenes Gebot<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[29/0048]
Neuntes Kapitel. §. 89.
genähert, und wenn auch dieſs, so konnte er, der sich
durch einen Gott feindseligen Dämon besessen glaubte,
Jesum doch gewiſs nicht bei Gott beschwören, wie Mar-
kus den Dämonischen thun läſst 16). Kann demnach sei-
ne Darstellung hier die ursprüngliche nicht sein, so ist die
des Lukas ihr zu verwandt, und eigentlich nur um die
Züge des Herzulaufens und Beschwörens einfacher, als daſs
wir sie für die dem Faktum nächste ansehen könnten. Son-
dern die am reinsten gehaltene ist ohne Zweifel die des
Matthäus, deren schreckenvolle Frage: ἦλϑες ὧδε πρὸ
καιροῦ βασανίσαι ἡμᾶς; einem Dämon, der als Feind des
Messiasreichs vom Messias keine Schonung zu erwarten
hatte, weit natürlicher steht, als die Bitte um Schonung
bei Markus und Lukas, wenn gleich Philostratus in einer
Erzählung, die man als Nachbildung dieser evangelischen
ansehen könnte, sich an die leztere Form gehalten hat 17).
Während man nach dem Bisherigen glauben muſste,
die Dämonen haben hier wie in der ersten Erzählung, oh-
ne daſs etwas von Seiten Jesu vorangegangen war, ihn auf
die beschriebene Weise angesprochen: so holen nun die
zwei mittleren Evangelisten nach, Jesus habe nämlich
dem unsaubern Geiste geboten gehabt, den Menschen zu
verlassen. Es fragt sich, wann Jesus dieſs gethan ha-
ben soll. Das Nächste wäre: ehe der Mensch ihn anre-
dete; aber mit dieser Anrede ist bei Lukas das προσέπεσε,
und mit diesem weiter rückwärts das ἀνακράξας so eng
verbunden, daſs man den Befehl Jesu vor den Schrei und
Fuſsfall als deren Ursache setzen müſste. Nun aber ist
als Ursache davon vielmehr der bloſse Anblick Jesu ange-
geben, so daſs man bei Lukas nicht sieht, wo jenes Gebot
16) Diess finden auch Paulus S. 474. und Olsmausen S. 303. auf-
fallend.
17) Es ist diess die Erzählung von der Entlarvung einer Empusa
durch Apollonius von Tyana, vit. Ap. 4, 35; bei Baur S. 145.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/48>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.