nicht das Positive grenzt, dass jenes Wissen wohl nur ein natürliches gewesen, sondern das, dass die evangelischen Erzähler ein Interesse gehabt haben müssen, eine überna- türliche Kunde Jesu von seinem bevorstehenden Leiden zu behaupten, ein Interesse, welches schon oben auseinander- gesezt worden ist.
Was nun aber der Grund war, das Vorherwissen zu einem wirklichen Vorgefühl zu steigern, und so die Scene in Gethsemane auszubilden, liegt gleichfalls nahe. Einer- seits nämlich giebt es keine augenscheinlichere Probe, dass von einem Erfolg oder Zustand ein Vorherwissen stattge- funden hat, als wenn es bis zur Lebendigkeit eines Vor- gefühls gestiegen ist, andrerseits muss das Leiden um so furchtbarer erscheinen, wenn es schon im blossen Vorge- fühl dem dazu Bestimmten Angst bis zum blutigen Schweiss und die Bitte um Enthebung auspresst. Ferner zeigte sich das Leiden Jesu in höherem Sinn als ein freiwilliges, wenn er, ehe es äusserlich an ihn kam, sich innerlich in dassel- be ergab; und endlich musste es der urchristlichen An- dacht erwünscht sein, den eigentlichen Kern dieses Lei- dens den profanen Augen, welchen er am Kreuze ausge- sezt war, zu entziehen, und als ein Mysterium in den engeren Kreis einiger Geweihten zu verlegen. Zur Ausstattung dieser Scene bot sich neben der Schilderung des Schmer- zens und Gebets, welche sich von selbst ergab, theils das von Jesu selber (Matth. 20, 22 f.) zur Bezeichnung seines Leidens gebrauchte Bild eines poterion, theils A. T. liche Stellen in Klagepsalmen, 42, 6. 12. 43, 5., wo in der LXX. die psukhe perilupos vorkommt, wobei das eos thanatou Jon. 4, 9. um so näher lag, da Jesus hier wirklich dem Tode entgegengieng. Frühzeitig muss diese Darstellung entstan- den sein, weil sich schon im Hebräerbrief (5, 7.) eine An- spielung, ohne Zweifel auf diese Scene, findet. -- Es war al- so zu wenig gesagt, wenn Gabler die Engelserscheinung für mythis he Einkleidung der Thatsache erklärte, dass
Drittes Kapitel. §. 122.
nicht das Positive grenzt, daſs jenes Wissen wohl nur ein natürliches gewesen, sondern das, daſs die evangelischen Erzähler ein Interesse gehabt haben müssen, eine überna- türliche Kunde Jesu von seinem bevorstehenden Leiden zu behaupten, ein Interesse, welches schon oben auseinander- gesezt worden ist.
Was nun aber der Grund war, das Vorherwissen zu einem wirklichen Vorgefühl zu steigern, und so die Scene in Gethsemane auszubilden, liegt gleichfalls nahe. Einer- seits nämlich giebt es keine augenscheinlichere Probe, daſs von einem Erfolg oder Zustand ein Vorherwissen stattge- funden hat, als wenn es bis zur Lebendigkeit eines Vor- gefühls gestiegen ist, andrerseits muſs das Leiden um so furchtbarer erscheinen, wenn es schon im bloſsen Vorge- fühl dem dazu Bestimmten Angst bis zum blutigen Schweiſs und die Bitte um Enthebung auspreſst. Ferner zeigte sich das Leiden Jesu in höherem Sinn als ein freiwilliges, wenn er, ehe es äusserlich an ihn kam, sich innerlich in dassel- be ergab; und endlich muſste es der urchristlichen An- dacht erwünscht sein, den eigentlichen Kern dieses Lei- dens den profanen Augen, welchen er am Kreuze ausge- sezt war, zu entziehen, und als ein Mysterium in den engeren Kreis einiger Geweihten zu verlegen. Zur Ausstattung dieser Scene bot sich neben der Schilderung des Schmer- zens und Gebets, welche sich von selbst ergab, theils das von Jesu selber (Matth. 20, 22 f.) zur Bezeichnung seines Leidens gebrauchte Bild eines ποτήριον, theils A. T. liche Stellen in Klagepsalmen, 42, 6. 12. 43, 5., wo in der LXX. die ψυχὴ περίλυπος vorkommt, wobei das ἕως ϑανάτου Jon. 4, 9. um so näher lag, da Jesus hier wirklich dem Tode entgegengieng. Frühzeitig muſs diese Darstellung entstan- den sein, weil sich schon im Hebräerbrief (5, 7.) eine An- spielung, ohne Zweifel auf diese Scene, findet. — Es war al- so zu wenig gesagt, wenn Gabler die Engelserscheinung für mythis he Einkleidung der Thatsache erklärte, daſs
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Drittes Kapitel. §. 122.
nicht das Positive grenzt, daſs jenes Wissen wohl nur ein
natürliches gewesen, sondern das, daſs die evangelischen
Erzähler ein Interesse gehabt haben müssen, eine überna-
türliche Kunde Jesu von seinem bevorstehenden Leiden zu
behaupten, ein Interesse, welches schon oben auseinander-
gesezt worden ist.
Was nun aber der Grund war, das Vorherwissen zu
einem wirklichen Vorgefühl zu steigern, und so die Scene
in Gethsemane auszubilden, liegt gleichfalls nahe. Einer-
seits nämlich giebt es keine augenscheinlichere Probe, daſs
von einem Erfolg oder Zustand ein Vorherwissen stattge-
funden hat, als wenn es bis zur Lebendigkeit eines Vor-
gefühls gestiegen ist, andrerseits muſs das Leiden um so
furchtbarer erscheinen, wenn es schon im bloſsen Vorge-
fühl dem dazu Bestimmten Angst bis zum blutigen Schweiſs
und die Bitte um Enthebung auspreſst. Ferner zeigte sich
das Leiden Jesu in höherem Sinn als ein freiwilliges, wenn
er, ehe es äusserlich an ihn kam, sich innerlich in dassel-
be ergab; und endlich muſste es der urchristlichen An-
dacht erwünscht sein, den eigentlichen Kern dieses Lei-
dens den profanen Augen, welchen er am Kreuze ausge-
sezt war, zu entziehen, und als ein Mysterium in den engeren
Kreis einiger Geweihten zu verlegen. Zur Ausstattung
dieser Scene bot sich neben der Schilderung des Schmer-
zens und Gebets, welche sich von selbst ergab, theils das
von Jesu selber (Matth. 20, 22 f.) zur Bezeichnung seines
Leidens gebrauchte Bild eines ποτήριον, theils A. T. liche
Stellen in Klagepsalmen, 42, 6. 12. 43, 5., wo in der LXX.
die ψυχὴ περίλυπος vorkommt, wobei das ἕως ϑανάτου Jon.
4, 9. um so näher lag, da Jesus hier wirklich dem Tode
entgegengieng. Frühzeitig muſs diese Darstellung entstan-
den sein, weil sich schon im Hebräerbrief (5, 7.) eine An-
spielung, ohne Zweifel auf diese Scene, findet. — Es war al-
so zu wenig gesagt, wenn Gabler die Engelserscheinung
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/490>, abgerufen am 22.11.2024.
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