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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Drittes Kapitel. §. 123.
den Hohenpriestern und Ältesten, und war nach Lukas von
den srategois tou ierou angeführt, also wahrscheinlich eine
Abtheilung Tempelsoldaten, an welche sich übrigens, aus
der Bezeichnung als okhlos und ihrer theilweisen Bewaff-
nung mit xulois zu schliessen, noch anderes Gesindel
tumultuarisch angeschlossen zu haben scheint; der Darstel-
lung bei Johannes zufolge, welcher neben den uperetais
ton arkhiereon kai pharisaion von einer speira und einem
khiliarkhos, ohne Erwähnung tumultuarischer Bewaffnung,
spricht, scheint es, als hätten sich die jüdischen Obern
auch eine Abtheilung römischen Militärs zur Unterstützung
ausgebeten gehabt 1).

Während sofort nach den drei ersten Evangelisten Ju-
das vortritt und Jesum küsst, um ihn durch dieses verab-
redete Zeichen der anrückenden Schaar als denjenigen kennt-
lich zu machen, welchen sie zu greifen hätte: geht laut
des vierten Evangeliums umgekehrt Jesus ihnen, wie es
scheint, vor den Garten hinaus (exelthon), entgegen, und
bezeichnet sich selbst als denjenigen, welchen sie suchen.
Diese abweichenden Darstellungen zu vereinigen, haben
Einige den Hergang sich so gedacht, dass, um eine Ver-
haftung seiner Jünger zu verhüten, Jesus gleich zuerst dem
Haufen entgegengegangen sei, und sich zu erkennen gege-
ben habe; hierauf erst sei Judas hervorgetreten, und habe
ihn durch den Kuss bezeichnet 2). Allein, hatte sich Je-
sus bereits selbst zu erkennen gegeben, so konnte Judas
den Kuss ersparen; denn dass die Leute der Angabe Jesn,
er sei es, den sie suchen, nicht geglaubt, und noch auf
die Bekräftigung derselben durch den Kuss des bestoche-
nen Jüngers gewartet haben, kann nicht gesagt werden,
wenn nach der Angabe des vierten Evangeliums jenes ega
eimi so starken Eindruck auf sie machte, dass sie zu Bo-

1) s. Lücke, z. d. St. Hase, L. J. §. 135.
2) Paulus ex., Handb. 3, b, S. 567.

Drittes Kapitel. §. 123.
den Hohenpriestern und Ältesten, und war nach Lukas von
den ςρατηγοῖς τοῦ ἱεροῦ angeführt, also wahrscheinlich eine
Abtheilung Tempelsoldaten, an welche sich übrigens, aus
der Bezeichnung als ὄχλος und ihrer theilweisen Bewaff-
nung mit ξύλοις zu schlieſsen, noch anderes Gesindel
tumultuarisch angeschlossen zu haben scheint; der Darstel-
lung bei Johannes zufolge, welcher neben den ὑπηρέταις
τῶν ἀρχιερέων καὶ φαρισαίων von einer σπεῖρα und einem
χιλίαρχος, ohne Erwähnung tumultuarischer Bewaffnung,
spricht, scheint es, als hätten sich die jüdischen Obern
auch eine Abtheilung römischen Militärs zur Unterstützung
ausgebeten gehabt 1).

Während sofort nach den drei ersten Evangelisten Ju-
das vortritt und Jesum küſst, um ihn durch dieses verab-
redete Zeichen der anrückenden Schaar als denjenigen kennt-
lich zu machen, welchen sie zu greifen hätte: geht laut
des vierten Evangeliums umgekehrt Jesus ihnen, wie es
scheint, vor den Garten hinaus (ἐξελϑὼν), entgegen, und
bezeichnet sich selbst als denjenigen, welchen sie suchen.
Diese abweichenden Darstellungen zu vereinigen, haben
Einige den Hergang sich so gedacht, daſs, um eine Ver-
haftung seiner Jünger zu verhüten, Jesus gleich zuerst dem
Haufen entgegengegangen sei, und sich zu erkennen gege-
ben habe; hierauf erst sei Judas hervorgetreten, und habe
ihn durch den Kuſs bezeichnet 2). Allein, hatte sich Je-
sus bereits selbst zu erkennen gegeben, so konnte Judas
den Kuſs ersparen; denn daſs die Leute der Angabe Jesn,
er sei es, den sie suchen, nicht geglaubt, und noch auf
die Bekräftigung derselben durch den Kuſs des bestoche-
nen Jüngers gewartet haben, kann nicht gesagt werden,
wenn nach der Angabe des vierten Evangeliums jenes ἐγά
εἰμι so starken Eindruck auf sie machte, daſs sie zu Bo-

1) s. Lücke, z. d. St. Hase, L. J. §. 135.
2) Paulus ex., Handb. 3, b, S. 567.
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[473/0492] Drittes Kapitel. §. 123. den Hohenpriestern und Ältesten, und war nach Lukas von den ςρατηγοῖς τοῦ ἱεροῦ angeführt, also wahrscheinlich eine Abtheilung Tempelsoldaten, an welche sich übrigens, aus der Bezeichnung als ὄχλος und ihrer theilweisen Bewaff- nung mit ξύλοις zu schlieſsen, noch anderes Gesindel tumultuarisch angeschlossen zu haben scheint; der Darstel- lung bei Johannes zufolge, welcher neben den ὑπηρέταις τῶν ἀρχιερέων καὶ φαρισαίων von einer σπεῖρα und einem χιλίαρχος, ohne Erwähnung tumultuarischer Bewaffnung, spricht, scheint es, als hätten sich die jüdischen Obern auch eine Abtheilung römischen Militärs zur Unterstützung ausgebeten gehabt 1). Während sofort nach den drei ersten Evangelisten Ju- das vortritt und Jesum küſst, um ihn durch dieses verab- redete Zeichen der anrückenden Schaar als denjenigen kennt- lich zu machen, welchen sie zu greifen hätte: geht laut des vierten Evangeliums umgekehrt Jesus ihnen, wie es scheint, vor den Garten hinaus (ἐξελϑὼν), entgegen, und bezeichnet sich selbst als denjenigen, welchen sie suchen. Diese abweichenden Darstellungen zu vereinigen, haben Einige den Hergang sich so gedacht, daſs, um eine Ver- haftung seiner Jünger zu verhüten, Jesus gleich zuerst dem Haufen entgegengegangen sei, und sich zu erkennen gege- ben habe; hierauf erst sei Judas hervorgetreten, und habe ihn durch den Kuſs bezeichnet 2). Allein, hatte sich Je- sus bereits selbst zu erkennen gegeben, so konnte Judas den Kuſs ersparen; denn daſs die Leute der Angabe Jesn, er sei es, den sie suchen, nicht geglaubt, und noch auf die Bekräftigung derselben durch den Kuſs des bestoche- nen Jüngers gewartet haben, kann nicht gesagt werden, wenn nach der Angabe des vierten Evangeliums jenes ἐγά εἰμι so starken Eindruck auf sie machte, daſs sie zu Bo- 1) s. Lücke, z. d. St. Hase, L. J. §. 135. 2) Paulus ex., Handb. 3, b, S. 567.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/492>, abgerufen am 22.11.2024.