gemeint haben sollte, im Palaste des Kaiphas geleugnet zu haben, so hätte doch gewiss Johannes, der in diesen Ta- gen um den Petrus war, seine Aussage gleich damals be- richtigt, so dass jene irrige Meinung sich gar nicht hätte fixiren können. Umgekehrt, den Synoptikern recht gege- ben hat man aus Respect vor Johannes immer nur so, dass man durch eine jener Künsteleien diesen gütlich auf ihre Seite zu ziehen, und auch das von ihm Berichtete als et- was im Lokal des Kaiphas Vorgefallenes darzustellen suchte. Statt dessen müsste aber vielmehr, wer den Synoptikern recht geben wollte, den Johannes; des Irrthums beschuldi- gen, wie, wer ihm beistimmt, die Synoptiker; ein Dilem- ma, in welchem uns für die eine oder andere Seite zu ent- scheiden, wir nicht die erforlichen Mittel haben.
In Bezug auf die einzelnen Akte der Verleugnung stim- men sämmtliche Evangelisten darin zusammen, dass es de- ren, gemäss der Vorhersage Jesu, drei gewesen seien; aber in der Beschreibung derselben weichen sie von einander ab. Zuerst Orte und Personen betreffend, geschieht nach Jo- hannes die erste Verleugnung bereits bei'm Eintritt des Pe- trus gegen eine paidiske thuroros (V. 17.): bei den Syn- optikern erst im innern Hofraum, wo Petrus am Feuer sass, gegen eine paidiske (Matth. V. 69 f. parall.). Die zweite geschieht nach Johannes (V. 25.) und auch nach Lukas, der wenigstens keine Veränderung des Standpunkts anmerkt (V. 58.), am Feuer: bei Matthäus (V. 71.) und Markus (V. 68 ff.), nachdem Petrus in den vorderen Hof (pulon, proaulion) hinausgegangen war; ferner nach Jo- hannes gegen mehrere, nach Lukas gegen Einen Mann; nach Matthäus gegen eine andere, nach Markus gegen die- selbe Magd, vor welcher er das erstemal geleugnet hatte. Die dritte Verleugnung geschah nach Matthäus und Mar- kus, die keine Ortsveränderung gegen die zweite bemer- ken, gleichfalls im vorderen Hof: nach Lukas und Johan- nes, sofern sie gleichfalls keines Lokalwechsels gedenken,
Dritter Abschnitt.
gemeint haben sollte, im Palaste des Kaiphas geleugnet zu haben, so hätte doch gewiſs Johannes, der in diesen Ta- gen um den Petrus war, seine Aussage gleich damals be- richtigt, so daſs jene irrige Meinung sich gar nicht hätte fixiren können. Umgekehrt, den Synoptikern recht gege- ben hat man aus Respect vor Johannes immer nur so, daſs man durch eine jener Künsteleien diesen gütlich auf ihre Seite zu ziehen, und auch das von ihm Berichtete als et- was im Lokal des Kaiphas Vorgefallenes darzustellen suchte. Statt dessen müſste aber vielmehr, wer den Synoptikern recht geben wollte, den Johannes; des Irrthums beschuldi- gen, wie, wer ihm beistimmt, die Synoptiker; ein Dilem- ma, in welchem uns für die eine oder andere Seite zu ent- scheiden, wir nicht die erforlichen Mittel haben.
In Bezug auf die einzelnen Akte der Verleugnung stim- men sämmtliche Evangelisten darin zusammen, daſs es de- ren, gemäſs der Vorhersage Jesu, drei gewesen seien; aber in der Beschreibung derselben weichen sie von einander ab. Zuerst Orte und Personen betreffend, geschieht nach Jo- hannes die erste Verleugnung bereits bei'm Eintritt des Pe- trus gegen eine παιδίσκη ϑυρωρός (V. 17.): bei den Syn- optikern erst im innern Hofraum, wo Petrus am Feuer saſs, gegen eine παιδίσκη (Matth. V. 69 f. parall.). Die zweite geschieht nach Johannes (V. 25.) und auch nach Lukas, der wenigstens keine Veränderung des Standpunkts anmerkt (V. 58.), am Feuer: bei Matthäus (V. 71.) und Markus (V. 68 ff.), nachdem Petrus in den vorderen Hof (πυλων, προαύλιον) hinausgegangen war; ferner nach Jo- hannes gegen mehrere, nach Lukas gegen Einen Mann; nach Matthäus gegen eine andere, nach Markus gegen die- selbe Magd, vor welcher er das erstemal geleugnet hatte. Die dritte Verleugnung geschah nach Matthäus und Mar- kus, die keine Ortsveränderung gegen die zweite bemer- ken, gleichfalls im vorderen Hof: nach Lukas und Johan- nes, sofern sie gleichfalls keines Lokalwechsels gedenken,
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Dritter Abschnitt.
gemeint haben sollte, im Palaste des Kaiphas geleugnet zu
haben, so hätte doch gewiſs Johannes, der in diesen Ta-
gen um den Petrus war, seine Aussage gleich damals be-
richtigt, so daſs jene irrige Meinung sich gar nicht hätte
fixiren können. Umgekehrt, den Synoptikern recht gege-
ben hat man aus Respect vor Johannes immer nur so, daſs
man durch eine jener Künsteleien diesen gütlich auf ihre
Seite zu ziehen, und auch das von ihm Berichtete als et-
was im Lokal des Kaiphas Vorgefallenes darzustellen suchte.
Statt dessen müſste aber vielmehr, wer den Synoptikern
recht geben wollte, den Johannes; des Irrthums beschuldi-
gen, wie, wer ihm beistimmt, die Synoptiker; ein Dilem-
ma, in welchem uns für die eine oder andere Seite zu ent-
scheiden, wir nicht die erforlichen Mittel haben.
In Bezug auf die einzelnen Akte der Verleugnung stim-
men sämmtliche Evangelisten darin zusammen, daſs es de-
ren, gemäſs der Vorhersage Jesu, drei gewesen seien; aber
in der Beschreibung derselben weichen sie von einander ab.
Zuerst Orte und Personen betreffend, geschieht nach Jo-
hannes die erste Verleugnung bereits bei'm Eintritt des Pe-
trus gegen eine παιδίσκη ϑυρωρός (V. 17.): bei den Syn-
optikern erst im innern Hofraum, wo Petrus am Feuer
saſs, gegen eine παιδίσκη (Matth. V. 69 f. parall.). Die
zweite geschieht nach Johannes (V. 25.) und auch nach
Lukas, der wenigstens keine Veränderung des Standpunkts
anmerkt (V. 58.), am Feuer: bei Matthäus (V. 71.) und
Markus (V. 68 ff.), nachdem Petrus in den vorderen Hof
(πυλων, προαύλιον) hinausgegangen war; ferner nach Jo-
hannes gegen mehrere, nach Lukas gegen Einen Mann;
nach Matthäus gegen eine andere, nach Markus gegen die-
selbe Magd, vor welcher er das erstemal geleugnet hatte.
Die dritte Verleugnung geschah nach Matthäus und Mar-
kus, die keine Ortsveränderung gegen die zweite bemer-
ken, gleichfalls im vorderen Hof: nach Lukas und Johan-
nes, sofern sie gleichfalls keines Lokalwechsels gedenken,
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/511>, abgerufen am 22.11.2024.
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